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Deutsche Gastronomie in London
Der Brexit und die Würstchen-Lieferkette

In einer der begehrtesten Lagen Londons hat Bele Weiss ein bayerisches Restaurant eröffnet. Mit Sorge verfolgt die Gastronomin die Brexit-Verhandlungen. Denn sie ist auf den Import von Lebensmitteln aus Deutschland angewiesen und befürchtet Engpässe.

Von Sandra Pfister | 20.03.2019
Nürnberger Rostbratwürstchen auf dem Grill
Briten legen Wert auf Originalwürtschen, sagt die Gastronomin Weiss. Allerdings wären die nach einem Brexit schwieriger zu beschaffen. (imago stock&people)
"Jeden Morgen, wenn wir aufwachen, das erste, was wir ins Telefon tippen, ist: Brexit."
Und tagsüber tippt sie ihn dann noch viele ein Dutzend Mal. Bele Weiss, Ende 40, sportliche Figur, leger gekleidet, sitzt in ihrem neuen Restaurant an einem Tisch aus Fichtenholz, importiert von einem deutschen Schreiner. Viel helles Holz, ein Kronleuchter, der an einer alten Glocke befestigt aus der Decke hängt, eine Fototapete von einem bayerischen See im Hintergrund - und mitten im Raum eine lichtdurchflutete Bar aus mattem Messing und Glas: Das Stein's in Kensington ist schick und bodenständig, hip und gemütlich.
Die Familie Weiss hat sich in England viel aufgebaut; und sie hat erlebt, wie die Briten ihre Anfang der 90er-Jahre marode Infrastruktur modernisiert haben.
"Ich kann mich noch erinnern, wie ich früher hier in der Schule rübergekommen bin, ich war immer gerne in England, und dachte: Das ist so kurios und nett als Tourist, aber es hat so ein bisschen was von Dritte-Welt-Land. Und da wollen die wieder hin? So?"
"Fast unmöglich, gut arbeitende Engländer zu finden"
Die Regierung, jetzt schon sparsam, werde nach dem Brexit kaum noch Geld haben für öffentliche Ausgaben. Und viele Briten, glaubt die Restaurantbesitzerin, müssten den Gürtel enger schnallen. Und wer spare, gehe seltener essen. Doch noch ist davon nichts zu sehen.
Zur Lunchtime füllt sich der Raum schnell. Eine Gruppe junger Leute setzt sich und lässt sich die Lunchkarte zeigen. Rote-Bete-Salat mit Äpfeln, Schweinebauch, Spinatknödel mit Pilzsauce. Die Mitt-Zwanziger brauchen Übersetzungs- und Entscheidungshilfe. Am Ende gehen dann doch die Nürnberger Rostbratwürstchen am besten weg – ein Klassiker, verrät Alexander Zimmermann, der Koch.
"Am meisten Schnitzel, Nürnberger, Currywurst. Ja, die Klassiker, so ist es."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Mehr Beiträge zum Brexit finden Sie in unserem Portal „Countdown zum Brexit“ (AFP / Tolga Akmen)
Die Kellnerin kommt aus England, hat aber iranische Wurzeln, der Koch ist Deutscher – und das hängt nicht nur damit zusammen, sagt Bele Weiss, dass das Essen typisch deutsch sei und Engländer große Schwierigkeiten hätten, die Rezepte nachzukochen.
"Na, Engländer bewerben sich fast überhaupt nicht, und die paar, die wir hatten, waren in irgendeiner Form..., hatten eine schlechte Kindheit, hatten irgendwelche Probleme, haben uns alle mehr Ärger als Hilfe gebracht. Vielleicht in London speziell ist es eigentlich fast unmöglich, wirklich gut arbeitende Engländer zu finden für solche Jobs. Ich glaube, wir haben jetzt hier einen."
Gastronomie ohne Kontinentaleuropäer aufgeschmissen
Die Restaurantbesitzerin macht sich Sorgen, weil mit dem Brexit viel weniger Kontinentaleuropäer ins Land kämen. Ungarn, Polen, Rumänen, Spanier – ohne sie seien viele Gastronomiebetriebe genauso aufgeschmissen wie die Landwirtschaft.
"Der Nachschub ist ja jetzt schon viel viel geringer geworden, das wird ein großes Problem, wir müssen sehen, auch das wissen wir ja noch nicht, wie das passiert mit den neuen Gesetzen und ob das Leute dann überhaupt noch attraktiv finden und so weiter."
Das neue britische Zuwanderungsrecht sei für Kellner, Köche oder Barristas überhaupt nicht attraktiv, findet die Chefin.
"Also, ein Limit, dass man 30.000 Pfund im Jahr verdienen muss, um so eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, oder es ist immer nur für ein Jahr. Also, erst mal für ein Jahr, für jemanden rüberzukommen, seine Familie rüberzuholen, lohnt sich das für einen Koch – das ist halt die Frage."
Dieser Beitrag gehört zur Reportagereihe "Lost in Brexit – Französisch-britische Trennungsgeschichten" in der Sendung "Gesichter Europas".
Mit dem Brexit wollten viele Briten ihre guten alten Zeiten zurück. Im Endeffekt könnten die hohen Hürden für Zuwanderer aus der EU aber das Gegenteil bewirken:
"Das Kassensystem hier erlaubt auch den Kunden, direkt vom Menü zu bestellen. Wenn ich keine Kellner mehr finde, dann gibt's halt keine Kellner mehr. Dann müssen alle auf ihr Telefon gehen und da bestellen."
Sorge um ihr Bier, ihr Sauerkraut, ihre Würstchen
Vorerst aber kann sie ihren Espresso und ihren Tee noch bei einer Bedienung ordern. Bele Weiss sorgt sich aber auch um ihr Bier, ihr Sauerkraut und vor allem ihre Würstchen. Und zwar nicht nur, weil es auf Agrarprodukte hohe Zölle geben könnte, sondern auch weil wieder umfassende Zollkontrollen an der Grenze drohen.
"Kurzfristig haben wir ein großes Lager gekauft, wir haben dort ein Gefrierhaus einbauen lassen, wo wir mehrere Paletten von Würstchen halt jetzt erst mal einfrieren werden. Das ist jetzt auch wieder ein Cashflow-Problem, du musst die ja alle erst mal im Voraus bezahlen, die dann da liegen lassen, hoffen, dass der Gefrierer nicht zusammenbricht, und dann haben wir für mehrere Monate das Problem erst mal stabilisiert. Aber es sind natürlich irrsinnige zusätzliche Kosten."
Die Würstchen in England herstellen lassen? Geht nicht, erklärt Weiss, die Briten kennen nur Rohwürstchen, die Deutschen aber seien gebrüht. Und die Briten würden Wert legen auf die bayerischen Originale, von einem Metzger, der auch das Oktoberfest beliefert. Bleibt also vorerst nur: Stockpiling, Vorräte anlegen.
"Wenn man sich überlegt, das hochzurechnen: Lidl macht das, Sainsbury macht das, Tesco macht das, die ganzen Supermärkte, jeder macht so einen Quatsch."