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Deutsche Haltung zu Ägypten
"Diktaturen unterstützen, um Stabilität zu gewinnen"

Hofiert die Bundesregierung Ägyptens Präsident al-Sisi, weil sie einen Stabilitäsanker in der Region braucht? In gewisser Weise ja, denn die Wiederannäherung an Ägypten und Saudi-Arabien sei der Tatsache geschuldet, dass man ansonsten keine geeigneten Partner mehr in der Region habe, sagte der Politologe Jochen Hippler im DLF.

Jochen Hippler im Gespräch mit Bettina Klein | 04.06.2015
    Der Friedensforscher Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg stellt am Dienstag (26.05.2009) in der Bundespressekonferenz in Berlin das Friedensgutachten 2009 vor.
    Der Politikwissenschaftler Jochen Hippler (dpa / Alina Novopashina)
    Bettina Klein: Oh nein, ein lupenreiner Demokrat stand da heute nicht neben der Bundeskanzlerin vor der Hauptstadtpresse. Ägyptens Präsident Al-Sisi hat in den vergangenen Monaten vor allen Dingen dadurch von sich reden gemacht, dass er wie eine Art Diktator herrscht. Noch immer gibt es kein Parlament, Oppositionelle werden schikaniert und mit dem Tode bedroht. Aber heute gilt offenbar, was unter seinem Vor-Vorgänger Mubarak ebenfalls galt: Ägypten wird gebraucht als Stabilitätsanker in der Region. So die Begründung. Da kann man nicht so wählerisch sein. Ein normaler Besuch, eine normale Pressekonferenz waren das aber schon mal nicht.
    Jochen Hippler ist Politologe und Friedensforscher an der Uni Duisburg. Herr Hippler, erinnern wir uns: Vor knapp zwei Jahren, da haben wir geklagt, der arme Mohammed Mursi aus dem Amt geputscht, der demokratisch gewählte Präsident. Weshalb nennen die Amerikaner nicht einen Putsch einen Putsch? Weshalb frieren sie nicht sofort die Unterstützung für Ägypten ein? Heute empfangen wir den durch kein Parlament kontrollierten Nachfolger mit militärischen Ehren in Berlin und betonen, wie wichtig die Regionalmacht Ägypten als strategischer Faktor sei. Hat Deutschland dazugelernt, und zwar in diesem Fall von den Vereinigten Staaten?
    Jochen Hippler: Dazugelernt ist vielleicht der falsche Ausdruck. Aber natürlich ist es so, dass die Kritik, die damals geäußert wurde, weiter berechtigt ist, in manchen Punkten sogar noch mehr als damals. Schließlich hat es inzwischen Hunderte von Todesurteilen gegeben. Es gab Situationen, wo in zwei Stunden 600, 700 Todesurteile verhängt wurden. Da ist die Menschenrechtslage nicht besser geworden. Aber die Frage ist natürlich, was macht man jetzt mit Ägypten. Das ist wirklich eine wichtige Regionalmacht und es ist nicht zu erkennen, dass in den nächsten wenigen Monaten oder Jahren die Situation unter Al-Sisi sich bessern würde. Da stellt sich für die Politik natürlich die Frage, wie man das abwägt, dieses Hin und Her.
    "Westliche Nahost-Politik macht einen Schwenk"
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi während der Pressekonferenz in Berlin. Sie sehen sich an.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi während der Pressekonferenz in Berlin. (Bernd von Jutrczenka,dpa picture-alliance)
    Klein: Wie beurteilen Sie in dem Zusammenhang die Abwägung, die jetzt von der Bundesregierung getroffen wurde?
    Hippler: Sie ist wahrscheinlich alternativlos. Es kommt darauf an, die Kritik weiter zu äußern. Das ist in Maßen zumindest vom Bundespräsidenten ja auch mit einer gewissen Deutlichkeit gemacht worden. Das ist teilweise ja auch zivilgesellschaftlich erfolgt. Das Problem scheint mir im Moment zu sein, dass wir insgesamt aufpassen müssen, von der westlichen Nahost-Politik nicht einen völligen Schwenk zu machen. Wir haben ja auch ähnliche Äußerungen gehört gegenüber Saudi-Arabien, die Diskussion über 200 Panzer an Saudi-Arabien, weil es ein Stabilitätsanker wäre. Wir haben jetzt diese Wiederannäherung an Ägypten, beides ziemlich menschenrechtlich sehr unerfreuliche Regime. Der Grund ist natürlich, dass man eigentlich sonst keine Partner mehr hat. In Syrien und im Irak ist Bürgerkrieg, im Jemen ist eine Bürgerkriegssituation. Das heißt, ganz ohne Partner kann man in der Region natürlich keine Außenpolitik machen, und da ist das Angebot wirklich begrenzt.
    Klein: Sie haben es angedeutet: Nun gilt auch mit Blick auf Syriens Staatschef Assad, er sei das kleinere Übel im Vergleich mit dem sogenannten Islamischen Staat. Bisher hieß es, er muss weg. Jetzt braucht man ihn offenbar. Die gleiche Rechnung wird nun offensichtlich auch mit Blick auf al-Sisi aufgemacht. Aber was trägt denn Ägypten konkret im Augenblick dazu bei, zum Beispiel den IS zu besiegen? Den Ergebnissen nach zu urteilen ja nicht viel, oder doch?
    Hippler: Nein, tatsächlich nicht. Ägypten ist tatsächlich, außer dass sie im Jemen Saudi-Arabien bei dem Luftkrieg gegen die Huthi-Rebellen unterstützen - und das ist sicher kein Beitrag zur Beruhigung der Situation -, ziemlich ausgelastet mit der innenpolitischen Situation und ziemlich ausgelastet mit dem gewachsenen Extremismus und dem Zerfall im Nachbarland Libyen. Das heißt, da ist ein größeres Engagement in den Problemländern Syrien und Irak wirklich nicht erkennbar. Da kann Ägypten relativ wenig machen. Man muss sogar hinzufügen, dass diese sehr brutale Politik, dass man jetzt die Muslimbrüder insgesamt zu einer Terrororganisation erklärt hat, obwohl es dafür nun wirklich keine Beweise gibt und keine Hinweise gibt, dass das eher die Situation mit islamistischen Kräften in der Region verschärft als entspannt. Konkrete ägyptische Initiativen oder Beiträge zur Lösung der Konflikte kann ich im Moment tatsächlich nicht erkennen.
    Klein: Wozu wird dann Ägypten als Stabilitätsfaktor überhaupt benötigt?
    Hippler: Na ja, mangels Alternativen. Benötigt für konkrete Politik halt nicht, sondern mein Eindruck ist, dass das Auswärtige Amt und dass das Kanzleramt jetzt ein paar Jahre versucht, in die Zukunft zu schauen. Dass die Konflikte in Syrien und im Irak ohnehin nicht von außen lösbar sind, scheint klar zu sein. Das heißt, auch der Aufstieg des Islamischen Staates liegt ja nicht daran, dass er so stark wäre, sondern dass die Staatsapparate in Syrien und im Irak verhasst sind, unglaubwürdig sind und dass es da ein Vakuum gibt, und da kann man von außen relativ wenig machen. Mein Eindruck ist tatsächlich, dass es in gewissem Sinne eine Rückkehr gibt der westlichen Außenpolitik, nicht nur der deutschen zu der Zeit, wo wir Diktaturen unterstützt haben, um Stabilität zu gewinnen. Das hat kurzfristig immer funktioniert, aber langfristig wird das die Probleme natürlich anstauen und irgendwann wird dann auch, wenn man nicht sehr vorsichtig ist, auch Ägypten eine sehr, sehr gefährliche, auch gewaltsame Wendung nehmen können.
    "Angst, Ägypten könnte sich stärker Russland zuwenden"
    Klein: Herr Hippler, wenn wir noch mal auf diese Gratwanderung schauen, die jetzt im Namen der Realpolitik versucht und beschritten wird. Was würde denn im Gegenteil passieren, wenn Deutschland diese Gunstbezeugungen wie diesen Empfang heute in Berlin zum Beispiel Ägypten verwehren würde? Inwiefern würde das auch internationalen oder auch deutschen Interessen schaden?
    Hippler: Es würde wirtschaftlichen Interessen schaden. Es gibt ja jetzt diese großen Siemens-Aufträge. Das ist ein Aspekt, dass man denkt, dass Ägypten mit saudi-arabischer Unterstützung ökonomisch attraktiv ist. Zweitens hat Herr Sisi auch, als er verstimmt war über die westliche Kritik, gelegentlich versucht, Andeutungen zu machen, dass er sich auch mit Russland stärker einlassen könnte, und das ist sicher was, was die westliche Außenpolitik eher unerfreulich fände.
    Klein: Das heißt, da muss man doch abwägen und sagen, das wäre das größere Übel, eine Verbindung zum Beispiel zwischen Ägypten, und Russland und weiteren Allianzen dann vorbeugen, die sich da möglicherweise zum schlechteren hin noch ergeben?
    Hippler: Ja richtig! Was Sie gesagt haben ist richtig. Es geht um ein Übel. Das heißt, ich kann im Moment nicht erkennen, wo westliche Außenpolitik attraktive Politikoptionen hat. Es gibt keine militärische oder politische Lösung für Syrien und Irak. Für Libyen sieht es genauso schlecht aus, im Jemen sieht es nicht besser aus. In der Region haben wir noch den Iran als potenziellen Partner, da müsste aber erst mal jetzt diese Nuklearfrage wirklich geregelt sein. Saudi-Arabien als Partner ist wirklich menschenrechtlich auch nicht besser. Die Türkei, die Diskussion. Wenn Sie sich umsehen in der Region: Wir haben relativ wenig positive Möglichkeiten, irgendwas zu tun, und da jetzt Ägypten nicht völlig rauszudrängen oder rauszublenden, das ist keine positive Entscheidung, weil es so was Gutes und Hilfreiches wäre, sondern das entspricht der Notwendigkeit, dass man auch keine anderen Alternativen hat und sich deswegen auf diese einlässt.
    Klein: ... sagt Jochen Hippler von der Universität Duisburg zum Besuch des ägyptischen Präsidenten heute und morgen in Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.