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Deutsche Handballerinnen
Ungarn als Traumziel

13 Jahre ist es her, dass die deutschen Handballerinnen in Frankreich WM-Bronze gewannen. Die Bundesliga entpuppte sich als zu schwach, um die Spielerinnen dauerhaft auf ein entsprechendes Niveau zu hieven. Nun wagen gleich mehrere von ihnen im Sommer den Sprung nach Ungarn.

Von Sascha Staat | 25.04.2020
Emily Bölk in Aktion. Sie gilt als eines der größten Handballtalente weltweit.
Emily Bölk (2.v.r) gilt als eines der größten Handballtalente weltweit. (Marco Wolf)
Als Henk Groener Anfang 2018 als neuer Bundestrainer vorgestellt wird, da äußert er einen frommen Wunsch. Es mögen doch bitte mehr Spielerinnen ins Ausland wechseln. Dort würden sie sich weiterentwickeln und Deutschland hätte dann im internationalen Vergleich bessere Chancen auf die vorderen Plätze. Groener sprach aus Erfahrung, denn mit den Niederlanden war er zuvor in die Weltspitze vorgedrungen. Seine Spielerinnen waren fast komplett bei europäischen Spitzenteams tätig.
Vereinzelt sind deutsche Spielerinnen seinem Wunsch bereits nachgekommen - im Sommer steht nun aber ein wahrer Einschnitt bevor. Gleich ein Quintett zieht es dann zu unterschiedlichen Clubs nach Ungarn. Mit dazu gehört auch Emily Bölk, die gleich mehrere Gründe für ihre Wahl nennt.
Mehr finanzielle Mittel, mehr Titel
"Zuerst einmal die professionellen Rahmenbedingungen, die mich sehr beeindruckt haben. Dann ist die Liga in Ungarn unheimlich stark. Und der Verein verfolgt große Ziel, wie zum Beispiel mittelfristig ins Final Four der Champions League zu kommen."
Anders als in Deutschland sind die finanziellen Mittel dafür vorhanden, teilweise werden die Clubs vom Staat unterstützt. Der Frauenhandball genießt einen unglaublich hohen Stellenwert, neun WM-Medaillen holte Ungarn bereits. Alleine der Vorzeigverein aus Györ hat seit 2013 fünf Mal die Champions League gewonnen. In der Stadt, die gut 90 Autominuten von Wien entfernt liegt, hat Anja Althaus vor zwei Jahren ihre Laufbahn beendet - nach Stationen in Dänemark und Nordmazedonien. Von ihrer Zeit im Ausland schwärmt sie noch heute.
Wechsel ins Ausland unerlässlich?
"Es hat mir meine Karriere gebracht, es hat mir meinen Erfolg gebracht. Es hat mir gebracht, dass ich ganz viele Sprachen gelernt habe. Dass ich die Welt gesehen habe. Im Endeffekt hat es mir alles eröffnet." Althaus, die es auf fast 250 Länderspiele bringt, hat erst als gestandene Spielerin den Sprung ins Ausland gewagt. Mittlerweile hält sie das aber für unerlässlich.
"In der Bundesliga war einfach alles immer dasselbe. Aber irgendwann kommst Du an den Punkt, wo Du weitermachen musst. Manche Menschen entscheiden sich nicht weiterzumachen. Aber die, die sich dann entscheiden weiterzumachen, die gehen die nächsten Schritte. Und das sind die, die nachher auch erfolgreicher sind."
Herausforderungen nicht zu unterschätzen
Einen ähnlichen Weg wie Althaus ging Clara Woltering. Bei Buducnost Podgorica avanciert sie zwischen 2011 und 2015 zur vielleicht besten Torhüterin der Welt. Zwei Mal gewinnt sie die Champions League und kann in Montenegro nicht unbemerkt über die Straße gehen. Sie weiß allerdings, dass so ein Schritt das ein oder andere Problem mit sich bringen kann.
Clara Woltering avancierte bei Buducnost Podgorica zwischen 2011 und 2015 zur vielleicht besten Torhüterin der Welt.
Clara Woltering avancierte bei Buducnost Podgorica zwischen 2011 und 2015 zur vielleicht besten Torhüterin der Welt. (Marco Wolf)
"Es ist nicht nur die Sprachbarriere, die nicht ganz so einfach ist. Es erwarten Dich neue Spielsysteme, es erwarten Dich neue Mitspielerinnen. Neue Trainingssituation bzw. ein neuer Trainingsaufbau. Das sind ganz viele Sachen, die letztendlich auf einen warten. Aber das macht es natürlich auch so spannend und man muss sich da einfach durchbeißen."
Solche Erfahrungen stehen Emily Bölk erst bevor. Momentan gilt sie als eines der größten Talente weltweit. Ihre Mutter Andrea holte 1993 mit dem DHB-Team den WM-Titel, sie selbst ist mit 21 zweifache Handballerin des Jahres. Generelle Zweifel an ihrer Entscheidung hat sie nicht. Bölk ist davon überzeugt, "dass der Schritt ins Ausland für mich genau das Richtige ist. Dass ich einfach durch die neue Umgebung, den neuen Input und die neuen Herausforderungen, die mich erwarten werden, noch größere Schritte machen kann und mich noch besser weiterentwickle."
Jede Spielerin muss bei Wechsel ins Ausland alles geben
Während die Spielerinnen begeistert sind, klingt bei Herbert Müller zumindest ein wenig Skepsis durch. Er trainiert Bölks aktuellen Verein, den Thüringer HC. Aus seiner Sicht kann die Frage, ob ein Wechsel sinnvoll sei, nicht pauschal beantwortet werden. "Man sollte die Sache sehr individuell betrachten. Das entscheidende Schlagwort heißt tatsächlich Spielanteile beim neuen Verein auf allerhöchstem internationalen Niveau zu kriegen."
Herbert Müller, Trainer des Thüringer HC.
Für Herbert Müller, Trainer des Thüringer HC, ist ein Wechsel ins Ausland noch keine Erfolgsgarantie. (Marco Wolf)
Es könnte also durchaus sein, dass nicht alle der fünf Spielerinnen den Sprung wirklich dauerhaft schaffen. Deswegen hält sich Herbert Müller mit seiner Prognose ein wenig zurück, auch wenn er einem Duo ganz besonders gute Chancen einräumt. "Speziell Dinah Eckerle und Emily Bölk haben das Potenzial, überall zu spielen. Meine Zweifel sind nebensächlich. Jede Spielerin muss alles geben, um ihre Chance zu nutzen."
Nationalteams als Profiteur
Die sportliche Einstellung wird dabei zu einem wichtigen Faktor. Sich schnell in einer neuen Umgebung zurecht zu finden, ist mindestens genauso entscheidend. Viel Spielzeit, persönliche Erfolgserlebnisse, das Vertrauen des Trainers: Wenn das alles zuträfe, sagt Clara Woltering, "und dann noch die internationale Erfahrung dazu kommt, dann ist es natürlich herausragend für jede Nationalmannschaft. Aber letztendlich braucht das halt einfach meistens ein bisschen Zeit. Trotzdem denke ich, dass die deutsche Nationalmannschaft davon profitieren wird."
Geduld ist also gefragt, um zu sehen, ob die Erfüllung von Henk Groeners Wunsch dafür sorgt, dass die deutschen Handballfrauen mal wieder über eine Medaille jubeln dürfen.