Donnerstag, 28. März 2024

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Deutsche Hochschule für Körperkultur
Sportmediziner fordert differenzierte Doping-Aufarbeitung

Die Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) war eine Sporthochschule in der DDR. Sie wurde nach der Wende geschlossen, nicht zuletzt wegen Doping-Vorwürfen. Mehr Transparenz bei der Aufarbeitung hätte sich der Sportarzt Bernhard Kobus gewünscht. Er war Teil des Systems.

Von Jennifer Stange | 22.11.2020
Die von der Berliner Bildhauerin Senta Baladamus 1974 angefertigt Skulptur "Stabwechsel" steht vor dem Gebäude der ehemailigen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig. Dort befinden sich jetzt Räume der sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig und der Handelshochschule Leipzig.
Skulptur "Stabwechsel" vor der ehemaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig. (imago images / Klaus Martin Höfer)
Bernhard Kobus ist 74 Jahre alt, bis zu seiner Rente war er Sportmediziner, zuletzt leitender Arzt am Olympia-Stützpunkt Leipzig. Er konnte nach der Wende in seinem Beruf weiterarbeiten, und das obwohl er Mitarbeiter des Sportmedizinischen Dienstes - kurz SMD - war. Ein staatliches, flächendeckendes System sportärztlicher Betreuung, über das in der DDR auch die Dopingvergabe an die Sportler organisiert war.
"Also ich stehe der Sache sehr kritisch gegenüber und räume dabei auch eigene Fehler ein."
Verpflichtung zur Vergabe von leistungssteigernden Mitteln
Kobus ist seit 1987 eingebunden in die sportmedizinische Vorbereitung der Olympiakandidaten der Sektion "Kanu-Rennsport" beim SC DHfK Leipzig, dem Sportclub der Deutschen Hochschule für Körperkultur. Das hat Kobus schriftlich, in einer staatlichen Urkunde. Dort heißt es auch:
"Wir erwarten, dass Sie das in Sie gesetzte Vertrauen rechtfertigen."
Das habe er damals überlesen, sagt Kobus, weil er auf dieses Urkunden-Brimborium keinen Wert gelegt habe. Heute hat der 74-jährige eine Vermutung, worauf diese Ermahnung sich bezieht: Nämlich die Verpflichtung zur Vergabe von sogenannten "unterstützenden Mitteln". Also Medikamenten wie Oral-Turinabol, ein Anabolikum zur Leistungssteigerung.
"Das war ein unterdrückter, aber doch relativ gewaltiger Sportskandal in einem Leipziger Club, dass wir letztlich von unseren Aufgaben entbunden wurden, weil wir uns nämlich geweigert haben, dieses Oral-Turinabol überhaupt zu geben."
Kaum moralische Zweifel beim Sportarzt
Wir, das waren die Trainer und Bernhard Kobus als zuständiger Sportarzt in einem Club beim Volleyball. Die Weisung so genannte "unterstützende Mittel" zu geben, sei immer von ganz oben gekommen. Anabolika zum Muskelaufbau hielt Kobus im Zweifelsfall für unsinnig, weil mögliche Verletzungen dadurch kaschiert wurden oder zu Lasten der Koordination gingen.
Die Skulptur Speerwerfer steht vor dem Gebäude der ehemailigen Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig. Dort befinden sich jetzt Räume der sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig und der Handelshochschule Leipzig. Der vordere Teil des Speeres an der Skulptur ist abgebrochen. Ausschnitt aus der Skulptur Speerwerfer

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DHfK Leipzig - Forschungszentrum oder Doping-Labor?
Vor 70 Jahren wurde in Leipzig die deutsche Hochschule für Körperkultur, kurz DHfK, gegründet. Vor 30 Jahren wurde sie wieder geschlossen. Die Hochschule sorgte in der damaligen Sportwissenschaft für sensationelle Neuerungen. Umstritten ist jedoch ihr Beitrag zum Staatsdoping in der DDR.
Medizinische Bedenken habe er schon gehabt, so Kobus, aber kaum moralischen Zweifel. Er klingt erstaunt über sich selbst, wenn er das sagt.
"Es konnte ja überhaupt nicht zu einer Diskussion kommen, das war ja verboten, also es war "top secret" und es war verboten darüber zu sprechen. DDR-Sportler dopen nicht, das war das Credo."
"Diplomaten im Trainingsanzug"
Dass das nicht stimmte, sei in der DDR-Sportwelt und ihrem Zentrum Leipzig ein offenes Geheimnis gewesen. Auch wenn der Doping-Staatsplan als geheim eingestuft wurde, war klar, sportliche Leitung hatte höchste politische Relevanz:
"Man sprach ja auch landläufig von den Diplomaten in Trainingsanzug. Denn die diplomatische Anerkennung haben sie fast ausschließlich den Sportlern zu verdanken, also dem Erfolg im Leistungssport."
Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees für die Spiele 1968 in Mexiko zwei deutsche Mannschaften zuzulassen beispielsweise, war für die DDR ein Meilenstein auf dem Weg zur internationalen Anerkennung.
"Und damit hat sich das System irgendwo selbst gerechtfertigt und hat dann wahrscheinlich auch gar keine andere Möglichkeit gesehen, um das System aufrecht zu erhalten als dann einfach zu betrügen. Und das ist das, was wir eigentlich auch hätten einräumen können, um die anderen positiven Dinge, die ja doch auch unter dem System vorhanden waren, auch dann zum Tragen zu bringen."
Auseinandersetzung mit DDR-Doping kaum vorhanden
Kobus hätte sich nach der Wende eine offenere Aufarbeitung und Auseinandersetzung aus dem System heraus gewünscht, die er bis heute vermisst. Viele aus dem DDR-Sportsystem wollen von illegalen Manipulationen der Sportlerinnen und Sportler nichts gewusst haben, oder, so Kobus, verstecken sich hinter Ausflüchten.
"Ich habe also ehemalige Kollegen nach Jahren oder Jahrzehnten wieder getroffen, und da kommt die Problematik natürlich darauf. Dann kommt immer diese Rechtfertigung, die ist einhellig zu hören, naja woanders wird ja auch gedopt."
Es gibt im groben zwei Sichtweisen auf den DDR Sport, die Bernhard Kobus in sich vereint: Einerseits der Abgrund einer Sportdiktatur, die zum Doping drängt und leistungsfördernde Medikamente an Ahnungslose, sogar Kinder, verabreicht und im internationalen Wettbewerb betrügt. Andererseits sieht er auch eine Art verlorenes "Paradies" optimaler Leistungssportförderung, das nach der Wende, so erscheint es vielen, mit in den Abgrund gerissen wurde.
Kobus konnte im gesamtdeutschen Leistungssport weiterarbeiten
Kobus glaubt, vieles hätte anders laufen können, wäre die Aufarbeitung transparenter gelaufen, hätten alle Beteiligten reinen Tisch gemacht, hätte man Ross und Reiter benannt. Dann wäre schneller klar gewesen, dass das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport auch zentrale Forschungseinrichtung für illegale Manipulationen war und nicht die DHfK selbst. Den Betrug durch Manipulationen, auch wenn er die nicht angeordnet habe, räumt Kobus ohne Umschweife ein. Sofern er beteiligt war, hätten die erwachsenen Athletinnen und Athleten gewusst, dass es sich bei den "unterstützenden Mitteln" um Doping gehandelt habe.
"Also es stand schon das Damoklesschwert der Ausdelegierung, das stand schon über denen: 'Wenn du die unterstützenden Mittel verweigerst und schaffst dann die Leistung nicht, dann bist du weg.' Die Mehrzahl ist umgekippt."
Kobus arbeitete in einem der erfolgreichsten DDR-Sportclubs, dem SC DHfK, angegliedert an die damalige Sporthochschule in Leipzig. Den Verein gibt es bis heute. Einige ehemalige Trainer und Ärzte des Clubs mussten sich später vor Gericht verantworten. Kobus nicht. Er sei nie in der SED gewesen und gehörte auch nicht zu denjenigen, die zu internationalen Wettkämpfen mitfahren durften. So konnte er nach der Wende im gesamtdeutschen Leistungssportsystem weiterarbeiten.
Dieser Beitrag ist Teil 2 einer Kurz-Serie des Deutschlandfunks zur DHfK Leipzig.