Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Deutsche Kulturgeschichte
Schwäbische Spuren in Georgien

Anfang des 19. Jahrhunderts kamen deutsche Siedler aus dem heutigen Baden-Württemberg auf Einladung des russischen Zaren nach Georgien, wo sie Zuflucht vor Hungersnot und religiöser Verfolgung suchten. Bis heute stehen ihre Fachwerkhäuser. Jetzt haben Kulturforscher sie für sich entdeckt.

Von Tatjana Montik | 21.12.2014
    Evangelischer Advent-Gottesdienst in Assureti, der ehemaligen deutschen Siedlung südlich von Tiflis, die früher Elisabeth-Tal hieß.
    Anfang des 19. Jahrhunderts kamen die deutschen Siedler aus Baden-Württemberg auf Einladung des russischen Zaren nach Georgien, das damals zum Zarenreich gehörte. Hier suchten sie Zuflucht vor Hungersnot und religiöser Verfolgung. In ihrer neuen Heimat wurden sie zu Bauern, deren wirtschaftlicher Erfolg den Menschen bis heute in Erinnerung geblieben ist. Im Oktober 1941 wurden die Deutschen aus dem Kaukasus nach Zentralasien deportiert.
    In Assureti sind bis heute 260 deutsche Fachwerkhäuser erhalten geblieben, in denen jetzt georgische Familien leben. Neue Sitten und Gebräuche sind eingezogen. Man spricht nicht mehr Deutsch, sondern Georgisch. Auf den Leinen in den Höfen ist – wie in Georgien üblich – überall die Wäsche zum Trocknen aufgehängt.
    Doch die deutsche Vergangenheit ist bis heute überall zu spüren, etwa auf dem alten Friedhof oder an der baufälligen Kirche.
    Der Gottesdienst wird nicht dort, sondern in einem Privathaus gefeiert. Extra dafür kam die evangelische Pfarrerin, Irina Solej, zusammen mit acht weiteren Gemeindemitgliedern, aus Tiflis hierher:
    "Wir halten unseren Gottesdienst im Andenken an die deutschen Siedler ab, die alle gläubige Menschen gewesen sind. Das erste, was sie gemacht haben, war der Bau einer Kirche aus ihren eigenen Mitteln, diese Tradition dürfen wir nicht unterbrechen. Wir hoffen, dass wir einmal in diese Kirche zurückkehren dürfen. Es gibt sogar eine verrückte Idee: diese Kirche zusammen mit der orthodoxen Kirche zu nutzen. Das wäre natürlich eine einmalige Erfahrung."
    Nachkommen der deutschen Siedler gibt es in Assureti nicht mehr. Die meisten, die aus der Verbannung in die alte Heimat zurückkamen, wanderten später nach Deutschland aus.
    Allerdings gibt es einige deutsche Familien, die erst in den letzten zehn Jahren nach Georgien gekommen sind. Einer von ihnen ist Manfred Tichonow, ein ehemaliger Berliner, der 2004 in Assureti ein Fachwerkhaus kaufte, es von Grund auf restaurierte und sich hier niederließ.
    An seinem Fachwerkhaus aus dem Jahre 1870 sei viel zu tun gewesen, erinnert sich der 67-jährige Hausbesitzer. Doch die alte Bausubstanz könne man überall im Dorf bis heute noch bewundern:
    "Hier unten können Sie noch einen Zaunpfeiler sehen. Wenn wir durchs Dorf gehen, werden Sie sehen, das waren die Zaunpfähle aus Stein. Horizontal waren das Holz und diese Zaunpfähle einbetoniert. Den habe ich rausgegraben, er wiegt 500 bis 600 kg, keine Ahnung! Also die alten Schwaben haben ja ganz schöne Steine gestemmt!"
    Die Siedlungen südlich von Tiflis sollen für Touristen aufbereitet werden
    Beim Spaziergang im Dorf lassen sich die typischen Merkmale der ehemaligen deutschen Siedlung gut erkennen, obwohl viele Fachwerkfassaden hinter Beton verschwanden und einige Ziegeldächer durch Wellblech ersetzt wurden. Dies sei der Grund, warum den einstigen deutschen Siedlungen, Assureti und Bolnisi, eine besondere Aufmerksamkeit der Denkmalschützer zustehe, sagt der georgische Star-Architekt Merab Gudschedschiani, dessen Unternehmen viele historische Restaurierungsprojekte durchgeführt hat:
    "Es handelt sich nicht nur um das deutsche oder das georgische Kulturerbe, sondern um das Weltkulturerbe. Es geht nicht nur um die deutschen Häuser. Wertvoll ist die gesamte Stadtplanung, die auf der Höhe der Zeit ist: der Stausee, die Kanalisation, das System der Wasserleitung, der Wasserabfluss. Alle Glieder in der Stadtplanung waren durch eine Idee verbunden. Außerdem sind in diesen Dörfern einige Besonderheiten zu sehen, etwa der georgische Einfluss auf die Fachwerkarchitektur in Form von aus Holz geschnitzten Balkonen. Die Fachwerkfassaden und dann diese Balkone – das ist eine deutsch-georgische Mischung, denn diese Balkone waren seit dem Ende des 19. Jahrhunderts überall in Georgien beliebt."
    Derzeit gibt es Ansätze, die deutschen Siedlungen südlich von Tiflis zu neuen kulturellen und touristischen Attraktionen zu machen. Am 13. Dezember wird der vor einem Jahr gegründete Verein für den Erhalt des deutschen Kulturerbes in Georgien für Sponsoren seine Projekte vorstellen. Dabei handelt es sich um die Pflege des materiellen und geistigen Nachlasses der deutschen Siedler.
    Bei der Restauration sollte man jedoch sehr behutsam vorgehen, sagt Gudschedschiani:
    "Viele Häuser sind in einem solchen bedauernswerten Zustand, dass sie bei einer unsachgemäßen Behandlung schnell auseinanderfallen könnten. Man muss damit sehr behutsam umgehen. Mit einem Schlag zu restaurieren ist sehr gefährlich. Diese Balken sind aus Eiche, sie lassen sich nicht so einfach und so schnell ergänzen. Es besteht die Gefahr, aus diesem Dorf eine schöne Fassade zu machen, einfach eine Kulisse, wir haben viele Beispiele dafür in Georgien und überall auf der Welt. Die Authentizität könnte schnell verloren gehen."
    Der Katholik Manfred Tichonow, der sein Haus für die evangelischen Gottesdienste gerne zur Verfügung stellt, hat ebenfalls einiges an Ideen zu bieten: etwa die Eröffnung eines Landschulheimes in Assureti, wo die georgischen Kinder an Wochenenden intensiv Deutsch lernen könnten.
    "Solche kleinen Projekte! Sie würden das Leben ins Dorf bringen! Oder man könnte die Kirche wieder renovieren, die hier mitten im Dorfzentrum steht, diese verfallene ehemalige deutsche Kirche ohne Kirchturm. Die könnte man wieder aufbauen. Dort könnte man ein kleines Kulturzentrum machen. Tiflis ist nicht weit entfernt, es sind 40 km. Dort könnte man Konzerte organisieren oder la-la-la. Solche kleinen Projekte, und nicht in Dimensionen denken wie 'Wolkenkuckucksheim' oder so etwas, kleine überschaubare Projekte."
    Georgien auf der Suche nach einer eigenen Identität
    In den letzten 20 Jahren war Georgien mit der eigenen Identitätssuche beschäftigt. So blieb die Geschichte der diversen nationalen Minderheiten in Georgien vernachlässigt, darunter auch die der Deutschen im Südkaukasus.
    Nun aber hat sich das Blatt gewendet, glaubt der in Tiflis lebende deutsche Regisseur Stefan Tolz, der in einem seiner Dokumentarfilme die alten deutschen Siedler in Georgien noch porträtieren konnte:
    "Und ich denke, das ist eine Sache, die jetzt im Wandel begriffen ist, und auch damit verbunden, dass sich Georgien an die EU annähern möchte, es gibt dieses Assoziierungsabkommen, was dieses Jahr unterschrieben worden ist. Das heißt, hier werden Schritte unternommen, dass man guckt, was ist bei uns wirklich europäisch. Wir wollen uns integrieren in die europäische Familie und dementsprechend ist es wichtig, an sein europäisches Erbe zu denken. Und was haben wir an europäischem Erbe? Dazu gehören natürlich, ganz wichtig, die deutschen Siedler, die in Georgien gelebt haben."
    Auch die georgischen Wissenschaftler sehen in der Geschichte der Siedler ein reichhaltiges Forschungsfeld. Ketevan Chutsischwili, Professorin für Anthropologie an der Tiflisser Staatlichen Universität, hat vergangenen Sommer mit ihren Studenten im Rahmen eines DAAD-Projektes über das Andenken der Deutschen im Südkaukasus geforscht.
    "Für die Anthropologen wäre es interessant, etwas über die Fortsetzung der deutschen Geschichte in Georgien zu erfahren: Die Deutschen wurden deportiert – und was ist mit diesen Menschen passiert, konnten sie in ihre Heimat zurückkehren, konnten sie sich hier wiederfinden, wie beeinflusst wurde dadurch ihr Andenken und die Identität ihrer Kinder? Wie empfanden sich diese Menschen – als Deutsche, als Georgien-Deutsche oder als Vertreter einer religiösen Gruppe? Was war es, was diesen Menschen die Kraft gab, weiterzuleben oder nicht zu leben?"
    Die Sponsoren-Veranstaltung des Vereins für den Erhalt des deutschen Kulturerbes in Georgien findet am 13. Dezember in Tiflis im Gebäude des Georgischen Nationalmuseums statt, das ebenfalls von einem Deutschen, Gustav Radde, gegründet wurde.