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Deutsche Oper Berlin
Das große Buh - ein Soundwalk

Sie trampeln, pfeifen und rufen dazwischen was das Zeug hält. Opernfans gehen auf die Barrikaden, wenn ihnen etwas nicht passt. Ein Publikum, das als besonders buh-freudig gilt, ist das der Deutschen Oper Berlin. Dort gibt es jetzt einen Soundwalk, der die schönsten Opernskandale Revue passieren lässt.

Von Oliver Kranz | 11.06.2014
    Sitze im Zuschauerraum der Deutschen Oper Berlin.
    Noch sind die Ränge leer. Das Publikum kommt mit der Dämmerung - hoffentlich in Buh-Laune. (picture-alliance / dpa-ZB / Britta Pedersen)
    Der Zuschauerraum der Deutschen Oper Berlin wird immer mal wieder zum Hexenkessel – zum Beispiel, wenn eine umstrittene Hans-Neuenfels-Inszenierung gespielt wird. Hier "Die Macht des Schicksals" im Jahr 2001
    "Ich fand das spannend, dass die Dramaturgen des Hauses gesagt haben, dass das Publikum sehr gern buht", erklärt Dorothea Schroeder, die den Soundwalk inszeniert. "Das fand ich spannend in Kombination mit der Demonstration gegen den Schah von Persien und dass Benno Ohnesorg hier umgebracht wurde."
    Benno Ohnesorg wurde 1967 bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien von einem Polizisten vor der Deutschen Oper erschossen. Das Haus geriet mehrfach in Konflikte hinein, für die es gar nichts konnte. 1988 musste es von Polizisten geschützt werden, weil Teilnehmer eines Weltbank-Kongresses eine Vorstellung der "Zauberflöte" besuchten.
    "Wir haben damals sehr viel mit Blut gearbeitet und haben aber nichts Farbbeutel, sondern wirklich literweise Blut abgepackt in Beutel und versucht, die in Richtung Deutsche Oper zu schmeißen. Wir haben die auch an die Wand gekriegt."
    Diesen Augenzeugenbericht eines Demonstranten hat Dorothea Schroeder in ihren Soundwalk integriert. Die Besucher werden mit Kopfhörern ausgestattet und zunächst nach draußen geführt.
    "Fritz Bornemann, Architekt des nach dem Krieg wieder aufgebauten Opernhauses, versinnbildlichte diese lauten und leisen Protestrufe in Form von 12.000 Kieselsteinen, die wie stecken gebliebene Pflastersteine die Vorderseite des Hauses ausmachen."
    In der Soundcollage werden Archivmaterial, Musik, Geräusche und neue Aufnahmen miteinander verblendet. Dabei geht es nicht immer historisch korrekt zu. Der Architekt Bornemann dachte bei der Gestaltung der Fassade natürlich nicht an die Steinwürfe kommender Demonstrationen – doch die Atmosphäre der späten 60er-Jahre wird trotzdem anschaulich vermittelt.
    Während man der Soundcollage im Kopfhörer lauscht, tauchen Jugendliche mit schwarzen Kapuzenshirts auf, die Protestslogans der 60er- und 80er-Jahre skandieren. Ein Polizist brüllt Befehle, Frauen in opulenten Kleidern deuten Messerstiche in Autoreifen an. Dorothea Schroeder:
    "Im Sound machen wir das ja auch, dass wir mit Realität und Fiktion spielen.Ich habe einfach Spaß daran, das mit visuellen Mitteln aufzulockern – dass man eben sich fragt: Gehört das dazu oder nicht dazu?"
    Dem Dirigenten die Reifen zerstochen
    Und das unterscheidet den Soundwalk der Deutschen Oper von den vielen Audiowalks, die in der Tourismusbranche angeboten werden. Die Damen mit den Messern spielen auf einen Skandal des Jahres 1959 an. Damals zerstachen Unbekannte dem Dirigenten Hermann Scherchen die Reifen und drohten damit, ihm das Gesicht mit Säure zu verätzen, falls er es wagen sollte, die Zwölfton-Oper "Moses und Aron" von Arnold Schönberg zur Aufführung zu bringen. Doch der ließ sich nicht einschüchtern ...
    "Es gab Pfiffe, Zwischenrufen und Tumult – besonders von den oberen Rängen. Hermann Scherchen muss das Publikum mehrfach ermahnen. Am Ende wurde die Oper ein großer Erfolg."
    Der Soundwalk erzählt von politischen und künstlerischen Skandalen. Der Weg führt außen um das Haus herum, über das Parkdeck zur Hinterbühne, ins Magazin und schließlich in den Zuschauerraum. Man begegnet einem Schauspieler, der mit Schlips und Anzug einen Opernbesucher spielt, der wortreich erklärt, wann er Buhrufe für gerechtfertigt hält und wann nicht.
    "Wenn ein Buh da ist, dann heißt das erst einmal eines: Es lässt die Leute nicht kalt."
    Und deshalb sind die Mitarbeiter der Deutschen Oper gar nicht unzufrieden, wenn in manchen Aufführungen gebuht wird. Die Zuschauer des Hauses sind nicht nur rebellisch, sondern auch sehr leidenschaftlic