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Deutsche von Deutschen diskriminiert

Der Herausgeber und gebürtige Korate Nicol Ljubic versammelt in diesem Band die Erfahrungen 17 Deutscher - etwa Herta Müller -, die wegen ihrer ausländischen Herkunft oder Hautfarbe von Deutschen ohne solchen Hintergrund ausgegrenzt wurden und teils werden: eine Bestandsaufnahme von Integration und Dazugehörigkeit.

Von Lerke von Saalfeld | 22.08.2012
    "Ich lebe in Deutschland, seit ich 15 bin, das sind jetzt mittlerweile 25 Jahre, und was ich in all diesen Jahren immer wieder verfolgt habe, dass es in Deutschland eine immer wiederkehrende Diskussion gibt, nämlich die Diskussion um Integration und Immigration, dann ist es mal der Kampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, dann die Frage, ist Deutschland ein Einwanderungsland, deutsche Leitkultur – es taucht immer wieder auf, gerne vor Wahlen, und dann kam im letzten Jahr diese Sarrazin-Debatte, die inhaltlich ja nicht neu war, aber für mich in ihrer Emotionalität neu war. Ich fand, die hat wahnsinnig viele Emotionen geweckt bei vielen Menschen, für und Gegner von Sarrazin, und es war zum ersten Mal, dass ich auch in mir so eine Art Wut gespürt habe, weil ich mir dachte, wir wären in diesem Land schon weiter und erschrocken war darüber, wie viel Zustimmung diese Thesen bekamen. Das war für mich der Anlass, dass ich dachte, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass du dich auch mal zu Wort meldest, und dann habe ich überlegt, wie ich das machen könnte, und dachte, vielleicht ist es am Schönsten, eine Anthologie zu machen und Autoren, die eine ähnliche kulturelle Erfahrung ihrer Herkunft haben wie ich, zu bitten, mal über ihre persönlichen biografischen Erfahrungen in Deutschland zu schreiben. So kam dieses Buch zustande."

    Insgesamt 17 Mitstreiterinnen und Mitstreiter hat Nicol Ljubić gefunden, die sich auf sein Projekt "Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit" eingelassen haben. Darunter Zsuzsa Bánk - ungarnstämmig -, María Cecilia Barbetta – in Argentinien geboren -, Irene Dische – in New York geboren -, Selim Özdogan – in der Türkei geboren - , Herta Müller – im Banat in Rumänien aufgewachsen -, und Saša Stanišić aus Jugoslawien. Aber nicht nur aus dem Ausland kommen die Autoren, Claudia Rusch wurde in Stralsund geboren und fühlt sich als Ostdeutsche auch nicht richtig dazugehörig, oder Elizabeth Blonzen, die in der Eifel als Tochter eines schwarzhäutigen GI aufwuchs und seit ihrer Kindheit übelsten Diffamierungen ausgesetzt war. Alle sind auf die eine oder andere Weise damit konfrontiert, nicht richtig dazuzugehören, ausgegrenzt zu werden, Skepsis und Misstrauen zu begegnen. Der Reiz dieser Anthologie beruht darauf, dass der Leser nicht mit politischen Essays zum Thema konfrontiert wird, sondern dass alle von sehr persönlichen Erfahrungen erzählen, die sie immer wieder spüren lassen, mit dir stimmt etwas nicht, du tickst irgendwie anders als die autochthonen Deutschen. Das war auch der Anstoß für den Herausgeber Nicol Ljubić, der als Schriftsteller immer wieder mit der ungläubigen Frage konfrontiert wurde: "Sie sprechen ja akzentfrei Deutsch! Schreiben Sie Ihre Bücher eigentlich selbst?"

    "Dieses Gefühl des Dazugehören-Wollens und zu merken, dass es doch immer wieder kleine Unterschiede gibt zwischen jemand, der Ljubić heißt und jemand der Schmidt heißt. Jemand der Ljubić heißt, der wird dann gefragt, woher er so gut Deutsch kann. Das sind Fragen, mit denen jemand der Schmidt heißt, nicht konfrontiert wird. Jetzt kann man sagen, das ist auch nicht weiter tragisch, und ich habe auch gemerkt, das hat mich nicht weiter gestört. Ich hab dann auch gerne geantwortet, dass ich in Kroatien geboren wurde, dass ich immer auf deutschen Schulen war, dass Deutsch meine Muttersprache ist, dass es für mich ganz selbstverständlich ist, fließend oder akzentfrei Deutsch zu sprechen. Ich merkte aber auch bei mir, nach dieser Sarrazin-Debatte, dass sich was geändert hat, weil diese Neutralität, mit der ich vorher immer diese Frage beantwortet hatte, wurde beeinträchtigt. Ich spürte auf einmal so einen Hintersinn in diesen Fragen, der vielleicht gar nicht da war, aber ich spürte dann als Nächstes kommt dann die Frage: 'Na, und wann gehst du wieder zurück?' Ich merkte, dass diese Frage mehr implizierte als offenbar die reine Neugier darüber, woher mein Name kommt."

    Es sind sehr verschiedene Texte, die in dieser Anthologie versammelt sind, jeder hat eine andere Geschichte zu erzählen. Mal ironisch und gewitzt, mal verletzt und empört oder auch nachsichtig über die Begriffsstutzigkeit der – na, wie soll ich sie nennen – Deutsch/Deutschen, die sich so sicher verortet fühlen. Schon das Wort 'Migration' stößt auf Abwehr, bedeutet es doch Wandern, Reisen, aber das ist eine vielleicht nicht einmal beabsichtigte Schönfärberei, denn viele Familien, die als Migranten tituliert werden, mussten fliehen, waren Verfolgte und Gehetzte – keine Spur von Wandern oder Reisen. Herta Müller ärgert sich, dass ihr oft der Vorwurf gemacht wird, sie solle doch endlich das Thema des Securitate-Rumäniens hinter sich lassen, ohne anzuerkennen, dass das Leben in der Diktatur ihre unauslöschliche Erfahrung, ihr Existenz-Thema ist. Zsuzsa Bánk ist erbost über die Unverfrorenheit, von ihr zu verlangen, sie solle den Akzent auf dem 'A' ihres Nachnamens streichen, sie lebe doch in Deutschland, und sie kontert kühl, was würde wohl Herr Müller sagen, wenn sie ihm die I-Tüpfelchen auf seinem 'U' wegnehmen und ihn als Herr Muller ansprechen würde? Oft sind es gerade solche scheinbaren Kleinigkeiten, die signalisieren, wie tief der Hochmut gegenüber allem, was von außen kommt, noch sitzt.
    Nicht ohne Hintersinn hat der Herausgeber einen Titel – "Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit" - für seinen Sammelband gewählt, der eine gewitzte Umdrehung von Erfahrungen aufnimmt und bewusst herausfordern soll:

    "Auf den ersten Blick ein sehr provokanter Titel, der erstmal in die Irre führt, der insofern auch in die Irre führt, denn während der Sarrazin-Debatte hatte ja die Bild-Zeitung eine kleine Serie, wo sie deutsche Schüler porträtiert haben, die von ihren türkischen Mitschülern diskriminiert werden, und das war 'Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit'. Insofern denkt man natürlich als Erstes, Deutsche werden von Ausländern diskriminiert und damit muss jetzt Schluss sein. Und deswegen mag ich den Titel, weil er erfordert, dass man einmal um die Ecke denkt. Dass Deutsche mit dem sogenannten Migrationshintergrund sich von Deutschen ohne Migrationshintergrund diskriminiert fühlen könnten - dieser Titel spiegelt das wider und dieser Titel spiegelt auch wider und lässt es offen, ob man das ironisch oder bitterernst nimmt, wie auch immer. Dazu kann jeder seine eigene Haltung finden, aber es ist ein provokanter Titel, der es erfordert, einmal um die Ecke zu denken und deshalb mag ich ihn ganz gern."

    Alle Beiträger der Anthologie besitzen einen deutschen Pass und deshalb hat Nicol Ljubić noch eins drauf gesetzt: Der Umschlag des Buches ist in die rot-violette Farbe des deutschen Reisepasses getaucht, verziert mit dem stilisierten Hoheitszeichen, dem deutschen Adler. Also Schluss mit den Herkunftszuschreibungen und den peinlichen Etikettierungen von Autoren, die längst Einzug gehalten haben in die deutschsprachige Literatur und ihre Gesellschaft. Alle Aufsätze dieses Bandes sind dafür beredte und nachdenkliche Zeugnisse. Folgen wir lieber dem Rat der Schriftstellerin María Cecilia Barbetta, die fordert:

    "Stattdessen könnten wir verkünden, dass Literatur dazu da ist, Grenzen zu verwischen, Gewissheiten zu hinterfragen, dank ihrer sprengenden Kraft eingleisigen Zuordnungen zu trotzen und Erwartungen zu unterminieren."

    Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!. Hrsg. von Nicol Ljubić. Hoffmann und Campe, 207 S., 17,99 Euro