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Deutsche Wiedervereinigung
30 Jahre Grünes Band: Von Stacheldraht zu Stachelbeeren

1989 war nach Jahrzehnten der Teilung auf der innerdeutschen Grenze ein Biotop entstanden – rund 1.400 Kilometer lang. Umweltschützer setzten sich für den Erhalt des sogenannten Grünen Bands ein. Heute genießen Natur und historische Anlagen weitgehend besonderen Schutz.

Von Lutz Reidt | 09.11.2020
Ein Schild weist auf das sogenannte Grüne Band in der Nähe des thüringischen Geismar entlang der ehemaligen Grenze hin.
Das Grüne Band ist heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, ein Leuchtturmprojekt des Naturschutzes, das weltweit Beachtung findet. (picture alliance - Frank Rumpenhorst)
Die Föritz im Grenzgebiet zwischen Thüringen und Bayern. Gemächlich fließt das Wasser durch ein schattiges Tal, gesäumt von alten Erlen und Weiden.
"Der Bach schlängelt sich hier vielfach gewunden durch und untergräbt mal das Ufer, dann stürzt mal ein Baum ´rein, dann sucht er sich einen neuen Lauf; es sind hier auch Steilabbrüche vorhanden, wo der Eisvogel brütet; die Wasseramsel kommt vor, es gibt hier ein letztes Vorkommen von Bachmuscheln, die sich hier halten. Und das ist eine Situation, die man entlang des Grünen Bandes öfters findet, wo Flüsse oder Fließgewässer die eigentliche Grenze bilden."
Kai Frobel vom BUND kennt die Bäche hier im Grenzgebiet wie kaum ein anderer. Bereits vor 20 Jahren hatten wir uns hier an der Föritz getroffen. Der Naturschützer wollte zeigen, warum es sich lohnt, solche Bereiche entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze zu bewahren. Kai Frobel ist nicht weit weg von hier aufgewachsen, im kleinen fränkischen Dorf Hassenberg, wenige Kilometer östlich von Coburg.
Von klein auf blickte er aus seinem Kinderzimmer auf die Grenzanlagen, tagein, tagaus. Später, als Schüler in den 1970er-Jahren, schnappte er sich Fernglas, Fotoapparat und Fachbücher vom Vater, um die Tierwelt im Grenzstreifen zu erkunden: Vögel, Libellen und vieles andere mehr:
"Diese Artenfülle, die bereits in den 70er-Jahren hier nachgewiesen werden konnte, von der bayerischen Seite her, wir haben damals auch kartiert, wir wussten also relativ früh über die Wertigkeit dieses Baches Bescheid. Pikant war nur, dass damals die Bachmitte die Grenze bildete, und zum Kartieren dieser Libellen mit Kescher oder Fernglas hat man sich in den Bach am besten natürlich begeben, da haben wir die gezielt gesucht und sind im Bach entlang gewatet, und mit einer höllischen Angst dabei, dass auf einmal ein DDR-Grenzer vielleicht am Ufer steht - weil was ist Bachmitte in so einem kleinen Bach?"
Naturschützer Kai Frobel - Ein Grünes Band für ganz Europa
Dass sich im ehemaligen Todesstreifen heute das Naturschutzgebiet "Grünes Band" befindet, ist auch dem Naturschützer Kai Frobel zu verdanken. Jetzt möchte er es auf Europa ausweiten.
Zu Zwischenfällen mit den Grenzorganen der DDR sei es zwar nicht gekommen, doch unbeobachtet blieb er gewiss nicht, wenn er so durch den Bach stapfte, wetterfest in Tarnfarben gekleidet, mit Kescher in der Hand und Fernglas um den Hals baumelnd.
Später, nach dem Mauerfall 1989, drängte Kai Frobel – damals schon beim Bund für Naturschutz in Bayern engagiert – als "Mann der ersten Stunde" auf den Schutz dieser Bereiche. Denn: Jene Artenfülle, die auf bayerischer Seite nicht zu übersehen war, müsste ja auch anderswo zu finden sein entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Die Frage ist, ob Kai Frobel 20 Jahre nach unserem ersten Treffen Erfolg hatte mit seiner Schutzidee "Grünes Band"?
Vielfalt der Vogelarten: Von Braunkehlchen bis Schwarzstorch
Immerhin: Wo über Jahrzehnte hinweg Stacheldraht und Selbstschussanlagen, Wachtürme und Minenfelder die Menschen voneinander trennten, hat sich im Laufe der Zeit eine Perlenkette wertvoller Lebensräume entwickeln können. Mit weitläufigen Altgrasstreifen und blühenden Heiden, mit abgeschiedenen Feuchtgebieten und vergessenen Bachläufen. 50 bis 200 Meter breit und fast 1.400 Kilometer lang ist diese Biotopkette, die sich mitten durch Deutschland schlängelt: das Grüne Band.
Seltene Tiere und Pflanzen haben hier überdauern können. Braunkehlchen, Schwarzstorch und Eisvogel zum Beispiel. Der Fischotter und auch der Biber. Diese einzigartige Biotopkette - und der Kampf um ihren Erhalt - bestimmte mit Grenzöffnung und Wiedervereinigung das Leben von Kai Frobel und vielen Mitstreitern bei den Naturschutzverbänden.
Das Grüne Band zu erhalten, dieses Ansinnen verfolgten auch Menschen, die über Jahrzehnte hinweg im Grenzbereich lebten. Manchmal sogar fast auf der Grenze. So etwa bei Mitwitz in Franken, nur wenige hundert Meter entfernt von den Ufern der Föritz.
"Komm, komm, komm, komm, komm! Schafe, ein ausgesprochenes Herdentier, wenn einer kommt, dann kommen sie alle."
Es ist ein warmer Spätsommer-Nachmittag vor 20 Jahren, im Jahr 2000. Auf einer Weide vor einem großen Bauernhaus sind die Füchse los: Die Coburger Fuchsschafe von Verena Täuber gehören zu einer alten Landrasse. Mit wippenden Ohren und langen Schwänzen nähern sie sich. Rotbraun leuchten die Lämmer im Sonnenlicht.
"Das ist das kleinste Lamm, das ist vier Wochen alt. Und die kommen so braun zur Welt, die Coburger Fuchsschafe, und werden dann im Lauf der Jugend, der ersten Monate, heller, aber niemals weiß. Wie Sie sehen: Die Wolle ist so leicht getönt. Die haben braune Beine und braunen Kopf. Deswegen Fuchsschaf!"
Grenztürme stehen bei Milz (Thüringen) auf dem früheren Todesstreifen, der heutigen Grenze zwischen Thüringen und Bayern. Knapp 1.400 Kilometer zieht sich das "Grüne Band" auf der einstigen DDR-Staatsgrenze von der Ostsee bis ins Vogtland.
Kulturlandschaft "Grünes Band". Wo früher der Todesstreifen war, ist jetzt vielfach nur Natur. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
Grasende Schafe im Grünen Band sind wichtig, damit die Biotopkette dauerhaft so erhalten bleibt, wie sie sich fast überall über Jahrzehnte hinweg entwickelt hat - als Offenland ohne größere Bäume und Sträucher. Damit diese gar nicht erst emporwachsen und die Biotopkette in Wald verwandeln, braucht es vierbeinige Rasenmäher - Rinder, Ziegen, oder eben auch Coburger Fuchsschafe.
Verena Täuber und ihr Mann Albrecht haben die sonnenüberflutete Weide mit den Fuchsschafen verlassen und sich hinter ihr Haus begeben, das zu drei Seiten vom Wald eingerahmt ist. Im Schatten großer alter Fichten sind Boden und Steine von dicken Moospolstern überzogen. Das schmucke, schiefergrau vertäfelte Anwesen - die "Hüttenwustung" - hat eine besondere Geschichte, erklärt Albrecht Täuber:
"Dieses Haus stand nun eben unmittelbar auf – kann man sagen – der Grenze zwischen Bayern und Thüringen; und bis 1990 war dies eben auch die Grenze zwischen der Bundesrepublik "alt" und der Deutschen Demokratischen Republik. Der Grenzstein hat einen Abstand von der Hausrückwand von ungefähr einem Meter. Die Dachrinne, wenn sie das ´runter loten, ist also direkt die Grenze. Und wir wohnen hier seit 1974 und haben eben miterlebt, wie hier - was wir jetzt als Grünes Band bezeichnen - doch eine recht hermetisch abgeriegelte Grenze war."
"Von diesen Minen ist natürlich ab und zu mal eine detoniert"
Der aus Stettin stammende Ingenieur erzählt von der Zeit, als DDR-Grenzer nur wenige Meter entfernt seiner Frau beim Wäsche aufhängen zuschauten, ohne ein Wort zu sagen - was ihnen auch verboten war, wie die Täubers später erfuhren. Die Erinnerungen an die Grenze sind im Jahr 2000 noch sehr präsent.
"Zunächst erstmal ist das immer noch eine große Freude, dass man eben jetzt von diesem Haus aus - wo man über so viele Jahre ja Auslauf nur in eine Richtung hatte, nämlich nach Süden - jetzt in alle Richtungen laufen kann und wandern kann. Und zum anderen natürlich Freude darüber, dass diese Zäune verschwunden sind. Denn diese Grenze war ja nicht irgendwie eine normale Grenze, sondern nun eine sehr schreckliche Geschichte, die derartig intensiv hier bewacht wurde und mit Minen verlegt."
Der Redefluss von Albrecht Täuber stockt kurz. Er atmet tief durch. Dann fährt er fort:
"Von diesen Minen ist natürlich ab und zu mal eine detoniert, allein durch Wild oder was auch immer; und man hatte natürlich immer Angst, es könnte ja auch mal ein Mensch sein, der hinterm Haus irgendwie auf so eine Mine getreten ist. Das war doch ein sehr lauter Schlag, vor allen Dingen, wenn das abends oder nachts passierte, und man sitzt da wenige Meter entfernt - das ist ja nun etwas, was nicht besonders schön ist."
Das grüne Band Europa 
Mitten durch unseren Kontinent zieht sich ein Streifen unberührter Natur: Das grüne Band Europa. Es ist eine Arche Noah der Artenvielfalt. Da, wo heute Natur ist, war früher eine streng bewachte Grenze.
Die Minen wurden bereits vor der Grenzöffnung beseitigt. Danach wurden auch die Sperranlagen zügig entfernt. Zum Glück für die Täubers steht die Hüttenwustung, ihr Einsiedlerhof, auf bayerischem Staatsgebiet. Wäre die Grenze dort verlaufen, wo jetzt die Fuchsschafe weiden, also weiter südlich, vor dem Haus, stünde hier womöglich kein Stein mehr auf dem anderen.
Elsa Kunert ist an diesem brütend heißen Sommertag im Jahr 2000 auf ihrem Weg zu einem geschichtsträchtigen Ort in der Aland-Niederung bei Aulosen - einem kleinen Dorf hinter den Elbdeichen im äußersten Nordwest-Zipfel von Sachsen-Anhalt, an der Grenze zu Niedersachsen und Brandenburg.
Die ältere Dame betrachtet einige verwilderte Möhren, die aus dem Boden sprießen - Relikte aus einer Zeit, als Menschen hier noch Hausgärten pflegen durften. Elsa Kunert steht jetzt nicht nur mitten in der ehemaligen Sperrzone der innerdeutschen Grenze, sondern auch über den Grundmauern ihres Nachbarortes. Über Jahrhunderte hinweg war das kleine Dorf Stresow für viele Menschen ihre Heimat. Die unmittelbare Nähe zur Grenze war den DDR-Machthabern suspekt. Wer im Verdacht stand, nicht linientreu zu sein, wurde deportiert. Das erste Mal geschah dies im Rahmen der so genannten "Aktion Ungeziefer":
"Die ersten Bauern, die sie damals – das war ´52. Da kamen morgens die Lkw vorgefahren, und dann haben sie aufgeladen. Aber man durfte nicht mehr hin zu den Leuten. Wir haben uns gar nicht verabschiedet irgendwie. Das durften wir gar nicht. Man weiß das nicht, ob das Kriminalpolizei oder von der Staatssicherheit welche waren. Da kamen fremde Menschen und haben da mitgeholfen, aufzuladen. Und dann ging´s los, nachmittags. Und keiner wusste wohin. Später haben sie dann gesagt, dass sie die nach Thüringen ´runter (bringen). In Krüden war ein Bahnhof, und da wurden sie in Waggons verladen, dann."
1974 wurden in einer weiteren Aktion die letzten Bewohner zwangsumgesiedelt und das Dorf endgültig dem Erdboden gleichgemacht - also: geschleift.
Das "Grüne Band" - Einst Todesstreifen, heute Biotop
Wo Minenfelder einst die Menschen trennten, hat sich die längste Biotop-Kette Europas entwickelt. Das "Grüne Band" ist Lebensraum von Ottern, Braunkehlchen und Wildkatzen.

Marlies, die Tochter von Elsa Kunert, kann sich noch gut an ihre Kindheit erinnern, als in Stresow die alten Obstbäume im Frühjahr so prächtig blühten. Aber auch die durften nicht bleiben.
"Das waren sehr schöne Obstgärten gewesen. Und das haben die hinterher alles weggemacht, damit sie freie Sicht hatten. Damit sie sehen, was sich hier abspielt. Das haben die immer zur Sicht freigehalten. Sonst wären ja die Bäume noch da."
"Und da, am Deich, dahinten, wo der kleine Busch da noch zu sehen ist, da haben richtig große Eichen gestanden. Wie wir noch Kinder waren, da haben Haselnüsse gestanden, und Walnüsse und alles so was."
Das geschleifte Dorf Stresow - ein geschichtsträchtiger Ort mitten im Grünen Band. Rüdiger Kloth, im Jahr 2000 Ortsbürgermeister von Aulosen, möchte das Andenken an den verschwundenen Ort bewahren, durch eine Gedenk- und Begegnungsstätte. Der Wiederaufbau einer Grenzanlage mit Zäunen, Kolonnenweg und Sperrgraben ist zum damaligen Zeitpunkt abgeschlossen. Doch der Bund als Eigentümer der Flächen verlangt den zehnfachen Verkehrswert für Grund und Boden, weil eine öffentliche Nutzung vorläge.
"Die Sache kann ich nicht ganz verstehen, nicht ganz nachvollziehen, weil die öffentliche Nutzung ja nicht so aussieht, dass wir daraus Profit schlagen, also Geld daraus erwirtschaften, sondern weil wir hier am Elbe-Radweg, den Leuten, die hier vorbeikommen, auch so ein Stück Geschichte darlegen. Nicht nur die Geschichte des Dorfes Stresow, sondern auch die Geschichte der Grenze im Allgemeinen."
Die Erfahrungen von Rüdiger Kloth im Sommer des Jahres 2000 sind kein Einzelfall. Damals war es schwierig, die ehemalige innerdeutsche Grenze als kostbare Biotopkette und geschichtsträchtige Erinnerungslandschaft in den Fokus zu rücken. Heftige Konflikte zwischen Schützern und Nutzern waren an der Tagesordnung
Auch heute noch Lücken im Grünen Band
Nördlich von Coburg haben die Verkehrsplaner um die Jahrtausendwende an der Autobahn A 73 die Anschlussstelle Eisfeld-Süd inklusive Pendlerparkplatz mitten ins Grüne Band gebaut. Nicht nur hier, fast vor der Haustür des Elternhauses von Kai Frobel vom BUND, ist die Biotopkette unterbrochen:
"Richtig verloren, also im Sinne von überbaut, dass irgendwo mal ein kleines Gewerbegebiet reingebaut wurde oder Wohnhäuser oder Straßen vor allen Dingen; Autobahnen, die queren oder viele, viele andere Straßen, das sind flächenmäßig 1,2 Prozent, die tatsächlich überbaut sind. Da wird sich auch nicht mehr viel ändern."
Noch größer sind die Breschen, die Landwirte nach der Wende ins Grüne Band schlugen. Vor allem Bauern von der Westseite der Grenze, so kritisiert Kai Frobel, klärten gleich nach der Grenzöffnung damals noch offene Eigentumsfragen auf ihre Weise. So etwa nördlich des Harzes, in den Ausläufern der Magdeburger Börde. Die fruchtbaren Böden dort gerieten als erstes unter den Pflug:
"Wir haben bundesweit dadurch zwölf Prozent der Fläche des Grünen Bandes, die auch durchaus heute zum Teil noch entweder Acker sind oder sehr intensiv genutztes Grünland. Das sind quasi die Lücken im Grünen Band, die heute noch da sind; wo aber - Gott sei Dank - dieser Anteil immer geringer wird, weil jetzt ganz gezielt solche Flächen ´rückgewandelt werden, auch von den angrenzenden Bundesländern, wieder in Biotopflächen."
Denn das ist der große Unterschied zur Situation von vor 20 Jahren: Die Rückwandlung wird inzwischen erleichtert durch eine neue Kategorie von Schutzgebieten, die der Gesetzgeber im Bundesnaturschutzgesetz verankert hat. Bereiche des Grünen Bandes können so zu einem "Nationalen Naturmonument" erklärt werden.
Die Idee dahinter: Das Grüne Band ist nicht nur eine schützenswerte Naturlandschaft, sondern auch - als ehemalige innerdeutsche Grenze - eine geschichtsträchtige Erinnerungslandschaft, mit vielen tragischen und beklemmenden Momenten. Dieser historische Bezug nützt jetzt auch dem Naturschutz:
"2018 hat dann das Bundesland Thüringen die gesamten 753 Kilometer Grünes Band - Thüringen hat einen größten Anteil bundesweit - vollständig jeden Quadratmeter unter Schutz gestellt, also den Bereich zwischen Kolonnenweg und damaliger Staatsgrenze, als Nationales Naturmonument."
Mit diesem Status verbunden ist ein "Verschlechterungsverbot", wie es Juristen nennen. Ist ein Gebiet erst einmal geschützt, muss es das auch bleiben.
2019 erklärte auch Sachsen-Anhalt seinen Anteil am Grünen Band zum Nationalen Naturmonument – wobei der Widerstand der CDU innerhalb der schwarz-rot-grünen Koalition in Magdeburg erheblich war.
"Das heißt von den 1.400 Kilometern Gesamtlänge Grünes Band sind jetzt 1.100 Kilometer durchgängig unter Schutz. Und die restlichen Bundesländer haben auch in dem Jahr erklärt, dass sie diesem Beispiel folgen werden, so dass jetzt nach 30 Jahren Einsatz des BUND für diese Idee, es jetzt wirklich wahrscheinlich zu einem sehr guten Ende kommt."
Ein Wegweiser des Grünen Band im ehemaligen Grenzgebiet im Altmarkkreis nahe Binde in Sachsen-Anhalt.
Ein Wegweiser des Grünen Band im ehemaligen Grenzgebiet im Altmarkkreis nahe Binde in Sachsen-Anhalt. (Imago / Eckehard Schulz)
Das Grüne Band ist heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, ein Leuchtturmprojekt des Naturschutzes, das weltweit Beachtung findet. Soeben noch hatte Kai Frobel ein koreanisches Fernsehteam zu Gast, das einen Film über die Biotopkette dreht. Für den Folgetag hat sich ein Reporter der New York Times angekündigt. Das Interesse an diesem 1.400 Kilometer langen Naturmonument wächst:
"Es war das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt, auch bis heute. Ist auch weltweit eines der größten Naturschutzprojekte, was die Längenausdehnung zum Beispiel betrifft, mit dem Deutschland international einfach gut dasteht, weil man halt zeigt, wie aus einer unmenschlichen und scheußlichen und barbarischen Grenze - ist fast schon wie ein modernes Märchen - ein Rückzugsort für die Natur geworden ist, den man auch gezielt erhält, auch für die Nachwelt."
Der Sängerwettstreit von Wasservögeln am Stresower See hört sich fast so an wie vor 20 Jahren, als die inzwischen verstorbene Elsa Kunert noch über den Grundmauern des geschleiften Dorfes Stresow wandelte.
Heute steht in unmittelbarer Nähe des Sees ein hölzerner Aussichtsturm. Den Blick von dort Richtung Elbe genießt Eckart Krüger vom BUND immer wieder aufs Neue, mit Silberreihern in weitläufigen Teichen und grasenden Pferden und Rindern auf dem Grünland ringsum:
"Eben flog eine Rohrweihe vorbei und ein Rotmilan. Der Seeadler taucht hier auch regelmäßig auf. Die Rohrdommel ist zu hören. Und es sind so paar neuere Vögel da, die man seit einigen Jahren hat, wie der Silberreiher, dieser weiße, auffällige Vogel in der Landschaft. Aber es sind natürlich auch, das sieht man, dass sehr viele Wasservögel hier sind, sowohl brütend als auch im Durchzug."
Als ökologische Perle im Grünen Band bezeichnet Eckart Krüger die "Hohe Garbe", direkt an einer Flussschleife der Elbe, in rund vier Kilometern Entfernung. Seeadler und Schwarzstörche brüten in diesem schummerigen Auenwald, Biber und Fischotter leben ungestört in dieser jahrzehntelang abgeschotteten Hartholzaue mit uralten Eichen und Flatterulmen. Die Hohe Garbe, davon ist Eckart Krüger überzeugt, taugt als Sinnbild für den Schutzwert des Grünen Bandes als Ganzes.
"Das ist eben das Faszinierende. Einmal ist es so, dass es in Europa kaum so einen durchgehenden Biotopverbund gibt - circa 1.400 Kilometer lang. Was natürlich dann gleich nach der Wende viele Leute angeregt hat, das auch zu erhalten, was natürlich relativ schwierig ist. Aber man hat es geschafft, doch wenigstens weite Bereiche zu erhalten; in Verbindung immer mit der Erinnerung der historischen Situation, dass Deutschland hier mal geteilt war, was – ich sagte es schon - einmal Fluch und Segen ist, Fluch für die Menschen, aber Segen für die Natur!"
Naturschutz und Erinnerungskultur ergänzen sich hier, im Umfeld der Gedenk- und Begegnungsstätte Stresow, in idealer Weise, meint Kommunalpolitiker Rüdiger Kloth:
"So hört sich Grenzzaun an. Immer noch sehr stabil. Für die Ewigkeit gebaut."
Rüdiger Kloth hat sein Ziel erreicht. Als Bürgermeister der Verbandsgemeinde Seehausen in der Altmark ist er weiterhin zuständig für diese Gedenkstätte. Kreis und Gemeinde konnten einen Pachtvertrag mit dem neuen Grundeigentümer abschließen. Doppelzaun, Sperrgraben, Kolonnenweg und Beobachtungsbunker bleiben also bestehen - einen Steinwurf entfernt von den verborgenen Relikten des geschleiften Dorfes Stresow.