Donnerstag, 18. April 2024

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Deutscher Bibliothekarstag
"Bibliotheken sind aus unserer Sicht Orte der Demokratie"

Die Marktsituation der Bibliotheken habe sich durch die Digitalisierung sehr stark verändert, sagte Konstanze Söllner, Vorsitzende des Vereins Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare, im DLF. Doch die Gesellschaft brauche diese Orte. Sie seien Bildungseinrichtungen, und das über Medienbrüche hinweg.

Konstanze Söllner im Gespräch mit Karin Fischer | 30.05.2017
    Eine Studentin sucht in der Bibliothek der SRH Hochschule Berlin am Ernst-Reuter-Platz Bücher heraus.
    Im Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken hätte man gern man nachhaltige Lizenzmodelle und Archivrechte. (dpa / Jens Kalaene)
    Karin Fischer: Zuerst aber zum Deutschen Bibliothekarstag nach Frankfurt am Main. Der steht in diesem Jahr unter dem Motto "Medien – Menschen – Märkte", und genau damit hat er viel zu tun. Die neuen Medien haben die Situation der Bibliotheken ziemlich aufgemischt, große technische Herausforderungen führten, ja fast zu noch größeren Identitätsproblemen. Der Mensch, als Leser und Nutzer, steht weiterhin im Mittelpunkt, aber die Digitalisierungsprojekte der großen Player lassen die tolle Arbeit von zum Beispiel Stadtbibliotheken etwas aus dem Blick geraten.
    Das nur als Vorbemerkung zu einem Gespräch, das ich vor der Sendung mit Konstanze Söllner geführt habe, der Vorsitzenden des Vereins Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare e.V. Zuerst habe ich sie gefragt, welches Thema in Ihren Augen das Wichtigste auf dem diesjährigen Treffen ist.
    Konstanze Söllner: Es ist ja eine interessante Beobachtung, dass trotz oder vielleicht auch in Folge der zunehmenden Digitalisierung Bibliotheken immer voller sind. Menschen finden in der Bibliothek etwas, was es anderswo nicht gibt, trotz oder vielleicht wegen Digitalisierung.
    "Wir wünschen uns, dass das neue Urheberrecht vor allen Dingen erst einmal kommt"
    Fischer: Was kriegen die Menschen denn in einer Bibliothek, außer einem ruhigen Lern- und Leseort und einem als alt verschrienen "Kulturgut Buch"?
    Söllner: Das "Kulturgut Buch" ist natürlich nach wie vor in der Bibliothek zuhause. Deswegen ist uns auch das neue Urheberrecht ein Thema. Was Menschen darüber hinaus in der Bibliothek finden, ist ein Ort, wo sie ungestört Hobbys oder dem Lernen oder unterschiedlichen Dingen nachgehen können, wo sie sich mit Gleichgesinnten vernetzen, und dafür ist die Bibliothek offenbar am besten geeignet. Und wir machen die Beobachtung, dass Bibliotheken sich da immer mehr drauf einlassen, auch ein Raumangebot zu entwickeln, was sich nach diesen Bedürfnissen richtet. Da geht es los von Gruppenarbeit bis hin zu wirklich großen Veranstaltungsräumen, und das passt offensichtlich sehr gut zum Konzept Bibliothek.
    Fischer: Sie haben das Urheberrecht angesprochen. Im April wurde ein Regierungsentwurf zum neuen Urheberrechts-Wissenschafts-gesellschafts-Gesetz vorgestellt, ein unverständliches Wortungetüm, das aber ein zeitgemäßes Urheberrecht für die Wissenschaft garantieren soll. Ihre Kolleginnen und Kollegen fordern nun in einem "Frankfurter Appell" Nachbesserungen. Welche sind das?
    Söllner: Wir wünschen uns, dass es vor allen Dingen erst einmal kommt, das neue Urheberrecht. Denn wir sind ja in einer zum Teil wirklich prekären Situation. Die Universitäten und Hochschulen in ganz Deutschland haben sich ja entschieden, dass sie in diesem Jahr einem extra eigens ausverhandelten Rahmenvertrag nicht beigetreten sind, der nämlich den Betrieb von digitalen Semesterapparaten ermöglichen sollte. Die Universitäten nutzen diesen Rahmenvertrag nicht. Das läuft leer, dieses Recht. Das heißt, wenn das neue Urheberrecht nicht kommt noch in dieser Legislaturperiode, dann haben wir quasi zum Beginn des Wintersemesters eine absolut rechtsfreie Situation und die Universitäten können diese digitalen Semesterapparate nicht mehr betreiben.
    Verlage bieten gefragte E-Books nicht für Bibliotheken an
    Fischer: Die Leser, Frau Söllner, sind in der letzten Zeit ja hauptsächlich auch zu Usern mutiert, und das betrifft vielleicht auch die Situation von Bibliotheken im Umfeld von Märkten. Wie stellt sich dieses Problem dar?
    Söllner: Die Marktsituation hat sich sehr stark verändert durch die Digitalisierung. Wir haben einerseits enorm steigende Kosten. Das ist auch nichts Neues. Im Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken wird daher natürlich immer stärker nach nachhaltigen Lizenzmodellen gesucht, dass man nicht nur den vorübergehenden Zugang gewährt, sondern dass man auch Open Access und auch Archivrechte für Bibliotheken erhält.
    In öffentlichen Bibliotheken ist das Thema noch ein ganz anderes. Sie sind nämlich damit konfrontiert, dass Verlage ihnen wichtige E-Books, die stark nachgefragt sind, einfach auch gar nicht anbieten auf dem Markt. Das Angebot ist nicht existent oder zu völlig überhöhten Preisen. Das heißt, die Bibliotheken im öffentlichen Bereich haben eigentlich ohne gesetzlich geregelte Grundlagen wenig Chancen, dass sie ihren öffentlichen Aufgaben nachkommen, dass sie nämlich auch E-Books verleihen können, und das ist ein Thema, was im neuen Urheberrecht im Moment noch nicht enthalten ist, was dort noch keine Rolle spielt. Der Europäische Gerichtshof gestattet es den EU-Mitgliedsstaaten - das ist eine Gerichtsentscheidung aus dem letzten Jahr. Verleihen von E-Books kann öffentlichen Bibliotheken erlaubt werden, und das wünschen wir uns sehr.
    "Die sozialen Medien erleichtern und begrenzen den Zugang zu Informationen"
    Fischer: Wo liegen, Frau Söllner, noch andere Konfliktfelder oder Diskussionspunkte oder Probleme, die es auf Ihrem Treffen jetzt in Frankfurt abzuarbeiten gilt?
    Söllner: Wir stellen uns natürlich auch die Frage, wozu brauchen wir Bibliotheken, wo doch eigentlich in der virtuellen Welt alles sofort an jedem Ort verfügbar sein sollte? Diese Frage ist aber genauso, als ob man fragt, wozu man noch Schulen braucht, wo es doch Lernvideos bei YouTube oder Wikipedia gibt. Bibliotheken sind Bildungseinrichtungen, und das über Medienbrüche hinweg.
    Wir beobachten ja, dass die neuen Technologien, insbesondere die sozialen Medien den Zugang zu Informationen einerseits sehr stark erleichtern, andererseits aber auch begrenzen. Das merkt man an diesen sogenannten Filterblasen, in denen sich Gruppen bewegen. Bibliotheken sind aus unserer Sicht Orte der Demokratie, die eine Gesellschaft einfach braucht, wenn sie etwas gegen diese Phänomene unternehmen will.
    Fischer: Konstanze Söllner war das, die Vorsitzende des Vereins Deutscher Bibliothekarinnen und Bibliothekare, der 106. Bibliothekarstag in Frankfurt beginnt heute.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.