Donnerstag, 28. März 2024

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Deutscher Botschafter bei Yücel
"Die türkische Seite setzt klar auf Entspannung"

Erstmals haben deutsche Botschaftsmitarbeiter den in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel besucht. Roderich Kiesewettter (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, wertete dies im DLF als erstes Signal der Türkei, die Beziehungen zu Deutschland zu entspannen. Jetzt müssten weitere Besuche bei Yücel folgen.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Sarah Zerback | 04.04.2017
    Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter
    Roderich Kiesewetter (CDU) im DLF: "Die Türkei muss erkennen, dass der wahre Partner die Europäische Union ist." (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Sarah Zerback: Es war ein Versprechen, gegeben von türkischer Seite, auf dessen Einhaltung Außenminister Sigmar Gabriel jetzt noch einmal gepocht hat – mit Erfolg. Zum ersten Mal gewährt die Türkei deutschen Botschaftsmitarbeitern Zugang zu Deniz Yücel, dem deutsch-türkischen Journalisten, der unter anderem wegen Terrorpropaganda in Einzelhaft sitzt. Das wird ihm vorgeworfen. Staatsminister Michael Roth und Generalkonsul Georg Birgelen besuchen ihn heute im Silivri-Gefängnis in der Nähe von Istanbul, rund sieben Wochen nach der umstrittenen Festnahme Yücels. Da kommt also Bewegung in den Konflikt zwischen Ankara und Berlin.
    Vor wenigen Minuten gab es dazu erste Informationen in einem Pressegespräch im deutschen Generalkonsulat in der Türkei.
    Roderich Kiesewetter verfolgt den Fall intensiv. Er sitzt für die Unions-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Kiesewetter.
    Roderich Kiesewetter: Ich grüße Sie, Frau Zerback.
    Zerback: Wir haben es gerade im Bericht noch mal gehört: Es hat wochenlang gedauert, bis dieser Besuch nun möglich wurde. Warum hat sich da die Bundesregierung so lange hinhalten lassen?
    "Es muss zu weiteren Besuchen kommen"
    Kiesewetter: Die Bundesregierung hat natürlich im Hintergrund sehr intensiv mit der Türkei gesprochen. Es kam ja eben auch in Ihrem Beitrag sehr klar raus, dass der Ministerpräsident Yildirim bereits vor vier Wochen der Bundeskanzlerin signalisiert hat, dass das geht.
    Es ist aus unserer Sicht nicht erträglich, das sage ich als Abgeordneter, dass die Bundesregierung so lange hingehalten wird, aber es ist zumindest heute der Besuch möglich. Und wir drängen ja auch auf ein freies Verfahren, auf ein faires Verfahren. Für uns ist das eine vorsichtige Geste, aber längst noch keine Entspannung im deutsch-türkischen Verhältnis. Da erwarten wir ein rasches faires Verfahren, das zu seiner Entlassung führt.
    Zerback: Das ist jetzt ein erster Schritt, so beschreiben Sie es auch. Wird es denn zu weiteren Besuchen kommen?
    Kiesewetter: Ich denke, es muss zu weiteren Besuchen kommen. Darauf müssen wir auch drängen. Ich denke, dass die türkische Seite sehr klar auf Entspannung setzt. Wir haben ja erreicht, dass kein türkischer Minister zum Wahlkampf nach Deutschland kommt, geschweige denn Erdogan. Und wir erwarten von türkischer Seite weiterhin Signale an unser Land, dass Kooperation gewollt ist, dass wir zusammenarbeiten. Die Partnerschaft ist im beidseitigen Interesse.
    Aber – und das möchte ich auch sehr stark betonen als frei gewählter Abgeordneter – es sind noch mindestens 120 weitere Journalisten in Haft, die keine doppelte Staatsbürgerschaft haben. Die Pressefreiheit in der Türkei ist massiv gefährdet und wir müssen auch darauf jetzt hindrängen, dass es nicht nur um den Fall Yücel geht, sondern um viele Journalisten. Und zudem sind über 130.000 Staatsbedienstete entlassen worden, die vor dem Nichts stehen, nicht sozial abgesichert sind. All das deutet auf nichts Gutes.
    "Türkei ist auf den Weg in einen Unrechtsstaat"
    Zerback: Die Beschreibung ist natürlich korrekt. Jetzt höre ich bei Ihnen immer das Wort "Hindrängen". Was haben Sie denn konkret in der Hand, um das auch durchzusetzen?
    Kiesewetter: Zunächst einmal, glaube ich, sollten wir in der Türkei darauf hinwirken, dass Imame, die nach Deutschland kommen, von Deutschland geprüft werden, dass die Imam-Ausbildung in Deutschland stattfindet, dass Imame Deutsch sprechen. Solche Forderungen müssen wir jetzt stellen. Da die Türkei auf dem Weg in einen Unrechtsstaat ist, können wir nicht zulassen, dass über eine staatliche Organisation Imame nach Deutschland kommen, die Erdogan verpflichtet sind.
    Zerback: Aber vermischen Sie da jetzt nicht zwei Fälle? Entschuldigung, dass ich Sie da unterbreche. Aber dieses Druckmittel, das hat doch jetzt erst mal mit dem Fall selbst gar nichts zu tun.
    Kiesewetter: Nein. Das reicht ja nicht aus, wenn wir uns ausschließlich auf den Fall Yücel beziehen, sondern es sind hunderttausende Menschen in der Türkei, die ihre Existenz verloren haben. Es sind Abgeordnete, die ihre Immunität verloren haben. Es sind auch Abgeordnete inhaftiert worden, die unter Terrorverdacht stehen.
    Wir erwarten rasche rechtsstaatliche Verfahren und nicht, dass die Menschen über Monate, teils fast ein Jahr in Untersuchungshaft gehalten werden. Wir haben ferner als Druckmittel die Arbeit des Europäischen Rates und auch der Europäischen Union. Die Zuwendungshilfen an die Türkei können gekürzt werden. Sie können auch besser konditioniert werden. Da gibt es eine ganze Menge, was wir tun können.
    Wir werten das jetzt erst mal als eine Geste der Türkei. Wir erwarten, dass unser Konsul täglich besuchen kann, wenn es gewünscht wird, dass Angehörige ihn besuchen können, dass er aus der Einzelhaft entlassen wird und mit Menschen zusammen sein kann, nicht nur mit dem Wachpersonal. Ich denke, dass hier eine ganze Menge zu tun ist. Sicherlich wird sich das noch hinziehen bis zum 16. April, wenn das Referendum in der Türkei ist.
    "Türkei hebt Freiheiten auf, die für uns Europäer selbstverständlich sind"
    Zerback: Da sehen Sie ganz klar den Zusammenhang zwischen dem Fall Yücel und dem politischen Wahlkampfgetöse, was wir im Moment dort auch bis nach Deutschland hin ja spüren?
    Kiesewetter: So ist es. Aber es ist hier nicht nur Wahlkampfgetöse, sondern die Türkei hebt Freiheiten auf, die für uns Europäer selbstverständlich sind, und da können wir nicht einfach zuschauen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass der Staatsminister Roth heute ein Zeichen gesetzt hat, dass er auf ministerieller Ebene den inhaftierten Journalisten Yücel, der auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat, besucht hat.
    Zerback: Erwarten Sie denn mehr Klarheit nach dem 16. 4., nach dem Referendum für Deniz Yücel?
    Kiesewetter: Zumindest wird am 16. April klar sein, ob Erdogan die Mehrheit gewonnen hat für den Umbau seines Staates. Wir hoffen, dass das nicht der Fall ist, dass die Zivilgesellschaft in der Türkei stark genug ist, diesen Angriff auf die Demokratie abzuwehren. Aber natürlich werden wir in einer guten Woche mehr Klarheit haben. Ich hoffe, in Richtung Entspannung, und vor allen Dingen, dass die Türkei sich nicht noch weiter von der Europäischen Union wegbewegt.
    Zerback: Jetzt wissen wir ja, dass es juristisch nicht verpflichtend gewesen wäre für die Türkei, Deniz Yücel eine solche konsularische Betreuung zukommen zu lassen. Dass sie das nun doch tut, wie bewerten Sie das? Sie haben es jetzt gerade ein Signal genannt. Ist das ein Zeichen der Entspannung auch? Hat man in Ankara tatsächlich Interesse an entspannten Beziehungen zu Berlin?
    Kiesewetter: Ich sehe es zumindest als ein leichtes Entgegenkommen. Es ist eine Geste. Es ist mehr als nur ein Verwaltungsakt. Es ist für mich noch nicht eine vollständige Entspannung. Das kann es ja auch gar nicht sein. Aber es zeigt auch das, was bereits durch den Ministerpräsidenten vor einiger Zeit angekündigt wurde, dass die Türkei ein Interesse hat, diplomatisch mit der Bundesrepublik Deutschland wieder rechtsstaatliche Dinge einzuhalten. Wir erwarten das aber auch, dass die Türkei die Prinzipien des Europarats und der UN-Menschenrechtskonvention im eigenen Land einsetzt. Das werden wir allerdings erst nach dem 16. April haben. Aber dass sie bereits jetzt dieses Zeichen setzen, dass sie auch keine Minister mehr zu Wahlkampfbesuchen nach Deutschland entsenden, ist schon eine Geste des Entgegenkommens, ja.
    "Türkei muss erkennen, dass der wahre Partner die EU ist"
    Zerback: Nicht nur in Deutschland, sondern auch an die EU, da doch nicht alle Brücken abzubrechen?
    Kiesewetter: Ich denke, dass die Bundesrepublik Deutschland sehr klug vorgeht, dass sie immer im Konzert mit der Europäischen Union auf die Türkei einwirkt. Auch unser Bundespräsident heute im Europarat hat ja auch im Europaparlament sehr klare Worte gefunden und unsere Bundeskanzlerin gleichfalls. Das heißt, hier muss die Europäische Union mit einer Stimme sprechen, und das halte ich für ein viel stärkeres Zeichen, als wenn sich ausschließlich die Bundesrepublik Deutschland dafür einsetzt. Die EU muss deutlich machen, welchen Mehrwert die Türkei hat, wenn sie mit der Europäischen Union kooperiert, und die Türkei muss erkennen, dass der wahre Partner die Europäische Union ist und nicht eine verschwiemelte Partnerschaft mit unwägbaren Ländern wie Russland oder Iran.
    "Türkei hat auf Jahre ihre Beziehungen zur EU beschädigt"
    Zerback: Das haben wir auch gerade noch mal im Bericht gehört: die Nazi-Vergleiche. Da hagelt es ja seit Wochen derlei aus der Türkei im Zusammenhang mit dem Referendum, und das hat der Staatsminister Michael Roth noch mal scharf kritisiert heute. Konsequenzen hat das aber bislang nicht. Muss sich die Bundesregierung das gefallen lassen?
    Kiesewetter: Die Bundesregierung lässt es sich ja nicht gefallen. Es geht ja auch dahin, dass der Botschafter einbestellt wurde, dass sehr viel auf diplomatischer Ebene Gespräche stattfanden, auch einige Abgeordnete von uns waren da. Es ist das ganz klare Signal auch von der Bundeskanzlerin, auch vom Bundespräsidenten in die Türkei gerichtet worden, dass das inakzeptabel ist, dass es eine Verharmlosung der Verbrechen des NS-Regimes ist, wenn er so vorgeht.
    Es fällt übrigens auf, dass nur noch Erdogan so eine Sprache wählt, und auch hier wird der 16. April die Zielmarke sein. Er braucht es wohl, weil er sieht, dass das Referendum erfolglos sein wird. Er motiviert damit seine Anhänger. Er zerschlägt damit aber auch sehr viel Porzellan und ich glaube, die Türkei hat auf Jahre ihre Beziehungen zur Europäischen Union beschädigt, und es wird behutsamer Diplomatie bedürfen, auch von unserer Seite, dass die Türkei nicht abdriftet. Wir wollen, dass die Türkei nahe an der Europäischen Union bleibt, und dazu müssen wir weiterhin klare Worte finden. Und die entscheidende Zielmarke, der 16. April, daran muss sich dann Erdogan messen lassen.
    Vielleicht wird sich das eine oder andere danach entspannen. Wenn das nicht der Fall ist, zum Beispiel die Todesstrafe eingeführt wird, dann wären alle Beitrittsverhandlungen – das ist ja bereits geäußert worden – beendet und auch die Mitgliedschaft im Europarat wäre beendet. Die Europäische Union müsste dann die Türkei aus ihren Fittichen entlassen und die Türkei würde auf Jahre erhebliche Nachteile und Verluste erleiden und der Teil der Zivilbevölkerung der Türkei, der das nicht mitträgt, werden die Leidtragenden. Deshalb müssen wir weiterhin auf die Türkei einwirken und dürfen die Beziehungen nicht abbrechen, um die Zivilgesellschaft zu stärken dort.
    Zerback: ... sagt Roderich Kiesewetter. Für die CDU sitzt er im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Besten Dank für Ihre Meinung heute Mittag.
    Kiesewetter: Ihnen auch vielen Dank. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.