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Deutscher Industrie- und Handelskammertag
Wansleben: Grenzschließungen bedeuten Milliardenverluste

Eine Obergrenze für Flüchtlinge auch in Deutschland: Für DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben drohten dann aufgrund der nötigen Grenzkontrollen nicht nur Milliardenverluste für die deutsche Wirtschaft. Es würde auch alles aufs Spiel gesetzt, "was wir in Europa in den letzten 50 Jahren geschaffen haben", sagte Wansleben im DLF.

Martin Wansleben im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.01.2016
    Martin Wansleben Hauptgeschäftsführer DIHK zu Gast in einer Talkshow
    DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler )
    Es sei ein Unterschied, ob Österreich oder Deutschland eine Obergrenze einführe, sagte Wansleben. Wenn die Bundesrepublik dies tue, setze sie neue Spielregeln in der EU und sollte sich dessen bewusst sein, was so ein Rückschritt bedeute.
    Wansleben warnte vor gravierenden Folgen für die deutsche Wirtschaft, sollten die Grenzen in der EU wieder geschlossen werden. Dies würde für den Warentransport mehr Lagerhaltung und längere Fahrtzeiten bedeuten. Es drohten Milliardenverluste, der Verlust von Arbeitsplätzen, und letztendlich sei unser Wohlstand gefährdet.
    "Negative Auswirkungen auf die Globalisierung"
    Der DIHK-Geschäftsführer argumentierte, der gemeinsame schrankenfreie Binnenmarkt zähle zu den wirtschaftlichen Errungenschaften Europas. Er sei auch ein Signal in die Welt, dass offene Grenzen besser für alle seien. Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen wäre deshalb ein Gesamtschaden für Europa: "Am Ende wird die Zeche viel größer werden und die werden alle bezahlen, politisch und wirtschaftlich."

    Das Interview mit Martin Wansleben in voller Länge:
    Christiane Kaess: Für manche EU-Länder mag es eine Lösung sein, sich dagegen zu stemmen, Flüchtlinge, die in Europa Schutz suchen, aufzunehmen. Dass dazu wieder Grenzen entstehen, zum Teil mit Stacheldraht und Zäunen, wo diese schon lange im Zuge des europäischen Schengen-Raumes abgebaut worden waren, das nehmen sie in Kauf.
    Wirtschaftsverbände warnen dagegen vor diesen Grenzkontrollen oder möglichen Grenzschließungen. Wenn Waren nicht mehr frei durch Europa passieren können, hinterlasse das massiven wirtschaftlichen Schaden. - Am Telefon ist jetzt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Guten Morgen!
    Martin Wansleben: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Wansleben, schauen wir erst mal auf Österreich. Werden schärfere Kontrollen in Österreich oder gar Grenzschließungen, wenn es dazu kommen sollte, sich auch schon auf die deutsche Wirtschaft auswirken?
    Wansleben: Die Frage ist natürlich, ist das der Anfang von Grenzschließungen, oder bleibt das eine isolierte Aktion. In jedem Falle hat es aber schon Auswirkungen, denn Österreich ist ja ein wichtiger Handelspartner, und der eine oder andere von uns, der demnächst zum Skifahren nach Österreich fährt, wird es auch merken, denn die Grenzen sind ja dann irgendwie zu.
    "Wenn die Grenzen zu sind, fangen die Schlangen wieder an"
    Kaess: Welche Auswirkungen hat es bisher auf die deutsche Wirtschaft?
    Wansleben: Bislang ist die Auswirkung im Wesentlichen die Unsicherheit, die im Moment in der Luft liegt, leider ja nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Teilen der Welt. Grenzschließungen spielen im Moment Gott sei Dank keine Rolle. Im Gegenteil: Der Binnenmarkt gehört ja mit zu den attraktiven, wirtschaftlich gesehen attraktiven Seiten Europas und ist ja nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Globalisierung ein ganz wichtiges Signal in alle Welt. Offene Grenzen sind am Ende besser als geschlossene.
    Kaess: Dann ist es eine Befürchtung für die Zukunft. Was genau befürchten Sie?
    Wansleben: Na ja. Wenn die Grenzen zu sind, fangen die Schlangen wieder an. Die Älteren von uns erinnern sich noch, wie es war, wenn man in die Nachbarstaaten fuhr, und das war Ausland. Da gab es nicht nur bei Urlaubsreisen lange Schlangen. Da standen die LKW in langen Schlangen.
    Seitdem die Grenzen offen sind, haben wir ja in Europa eine ganz andere Form von Arbeitsteilung entwickelt, die im Kern auch darauf beruht, dass die Grenzen offen sind und just in time möglich ist. Just in time ist ja nicht irgendwie eine Mode, sondern just in time ist der Versuch, mit möglichst geringer Lagerhaltung zu möglichst pünktlichen Zeiten die Dinge hin und herzuliefern, fertige Waren, Halbfabrikate und Rohstoffe. Das ist schon ein Thema, was für uns essentiell ist.
    "Am Ende wird die Zeche viel größer werden"
    Kaess: Die konkrete Befürchtung, so müssen wir uns das dann vorstellen: Die LKW werden wieder kontrolliert und der Handel verzögert sich?
    Wansleben: Ja. Anders kann es ja nicht sein. Die Lagerhaltung geht hoch, die Fahrzeiten werden länger, alles wird teurer, wir brauchen mehr Kapazitäten, mehr Material. Wenn Sie das mal versuchen hochzurechnen: Deutschland hat ein Handelsvolumen von ungefähr 2,6 Billionen. Das ist nicht ganz so viel wie unser Inlandsprodukt. Und wenn das nur um 0,4 Prozent teurer wird alles, dann sind wir schon bei zehn Milliarden.
    Wir reden schon über viel Geld. Aber gemessen an dem Gesamtschaden, den Europa nimmt, und mit den negativen Auswirkungen letztlich auch auf die Globalisierung, ist das natürlich wenig, denn am Ende wird die Zeche viel größer werden und die werden wir alle bezahlen, politisch und wirtschaftlich.
    "Zue Grenzen bedeuten eine völlig andere innereuropäische und weltweite Arbeitsteilung"
    Kaess: Sie reden davon, dass das viel Geld kostet. Reden wir auch über Arbeitsplätze?
    Wansleben: Wir reden über Arbeitsplätze, wir reden über Wohlstand. Wir reden über Arbeitsplätze, wir reden über Effizienz, wir reden über Arbeitsteilung, wir reden darüber, dass es bislang möglich war, in Deutschland Autos zu produzieren, weil wir Halbfabrikate aus aller Welt bekommen. Dann reden wir darüber, dass das alles so nicht mehr möglich wird. Zue Grenzen bedeuten eine völlig andere innereuropäische und weltweite Arbeitsteilung. Da werden wir manche Abstriche machen müssen von dem Wohlstand, den wir zum Glück erreicht haben und an den wir uns auch gewöhnt haben.
    Kaess: Sollte es dazu kommen, im Moment ist es ja noch nicht so weit, gäbe es Möglichkeiten, das zu umgehen, ich sage jetzt mal ganz salopp, zum Beispiel im Alltag pragmatische Lösungen dafür zu finden, weg von der Straße auf die Schiene oder ins Flugzeug oder was auch immer da vorstellbar ist?
    "Am Ende macht sich Europa klein in jeder Form, wirtschaftlich und politisch"
    Wansleben: Frau Kaess, ich kann mir das jetzt nicht vorstellen. Grenze ist Grenze. Am Ende können auch Flüchtlinge über Flugzeuge kommen und in Zügen. Ich kann mir jetzt nicht vorstellen, dass eine Grenze für ein Medium geöffnet bleibt, während sie ansonsten geschlossen ist. Ich befürchte, wenn wir damit anfangen, dann sind die Grenzen wirklich zu. Das heißt, dann geht der Zug "in eine andere Richtung", zue Grenzen, und am Ende macht sich Europa klein in jeder Form, wirtschaftlich und politisch.
    Kaess: Dennoch, Herr Wansleben, muss man ja auf der anderen Seite sagen: Die Politik versucht, ein Problem in den Griff zu bekommen, den ungehinderten Flüchtlingszuzug. Haben Sie auch Verständnis, oder gibt es in der Wirtschaft auch Verständnis für politische Beschlüsse, die eventuell für die Wirtschaft schmerzlich sein können?
    Wansleben: Frau Kaess, ich weiß jetzt nicht, ob Verständnis. Das heißt ja so, wir geben unsere Position auf und sind bereit, alles zu akzeptieren. Aber eins ist natürlich völlig klar: In den Reihen der Wirtschaft wird das Thema Flüchtlinge und in dem Zusammenhang auch die Frage Grenzen schließen oder nicht höchst unterschiedlich diskutiert, weil auch die persönliche Betroffenheit und natürlich auch die politische Sicht der Dinge höchst unterschiedlich sind.
    Obergrenzen in Deutschland "setzen neue Spielregeln"
    Sie sprechen schon eine wichtige Frage an. Deswegen beschränke ich mich ja auch sehr stark hier jetzt auf die Kommentierung der wirtschaftlichen Dimension. Es ist keine Frage, ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass es zu diesem Thema politisch gesehen eine einheitliche Meinung der Wirtschaft gibt. Da ist die Wirtschaft genauso wie die Bevölkerung und letztendlich kann man das ja nachvollziehen, je nachdem wer wie betroffen ist, dass man dann auch vor dem Thema Flüchtlinge Angst kriegen kann.
    Ich glaube, umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung alles daran setzt, dass wir eine europäische Lösung kriegen. Es ist ja entsetzlich, wenn ich das mal so formulieren darf, dass alles das, was wir in Europa in den letzten 50 Jahren geschaffen haben, irgendwo jetzt zur Disposition steht. Ich glaube, wir sollten uns schon bewusst sein, was das bedeutet, wenn wir jetzt einen Rückschritt einleiten, und allein schon ob der Größe und der politischen Bedeutung macht es natürlich einen Riesenunterschied, ob Österreich ankündigt, eine Obergrenze zu machen - wie die das durchsetzen wollen, weiß ja auch keiner -, als wenn Deutschland das macht. Wenn Deutschland das macht, setzen die damit neue Spielregeln.
    Kaess: ... sagt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Wansleben: Danke Ihnen, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.