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Deutscher Karikaturenpreis 2015
Im Zeichen von Flüchtlingskrise und Pegida

"So ernsthaft wie möglich humorvoll zu sein" - das versucht Cartoonist Reinhard Schwalme bereits seit 50 Jahren. Mit einer Karikatur zur Flüchtlingskrise gewann er jetzt den diesjährigen Deutschen Karikaturenpreis, der gestern in Dresden verliehen wurde. Außerdem ausgezeichnet wurden Miriam Wurster und Marunde.

Von Heike Schwarzer | 16.11.2015
    Am Ende der festlichen Preisverleihung stehen fast 70 Cartoonisten aus Ost und West auf der Bühne des Dresdner Staatsschauspiels und halten große Buchstaben ins Publikum, zusammen ergeben sie ein Wort: Courage.
    "Zeigen Sie Courage für eine offene Gesellschaft, vielen Dank und weiter voran auf diesem Weg."
    "So ernsthaft wie möglich humorvoll zu sein"
    Reden, Schweigen, Gedenken und klar, auch Lachen - miteinander und im richtigen Maß, das befreit, macht Mut. Die Botschaft kam an: Hier lässt sich keiner das Denken verbieten:
    "Ja, ich bin überzeugt davon dass die Satire und die satirische Grafik dringend gebraucht wird," sagt der Gewinner 2015, "aber ich stelle fest, dass der Stellenwert der Karikatur in Deutschland nicht so den Rang hat wie in anderen Ländern. In Deutschland sind wir doch mehr Klassenclowns."
    Reiner Schwalme, 78 Jahre alt, ein "Klassenclown" mit politischem Rückgrat. Da sagt ein deutscher Beamter in Schwalmes Gewinnerkarikatur mit verschränkten Armen zu einem Flüchtling: "So, sie werden also in Ihrer Heimat verfolgt, ja, denken Sie, das wird hier anders sein?" Schwalmes Anspruch seit 50 Jahren als Cartoonist:
    "So ernsthaft wie möglich humorvoll zu sein".
    Ganz gleich, ob gegen Lobbyisten oder rechte Mitläufer bei Pegida, er teilt gleichermaßen aus, mit seinem unverwechselbaren Zeichenfluss und dynamischen Stil. Dresden und der Karikaturenpreis, das schärft auch den Blick für Neues:
    "Ja, ich hab die Ausstellung gesehen und das ist sehr erfreulich, dass wir Nachwuchs haben."
    "Ich hab die Bilder eingereicht und wurde eingeladen, was ich schon Wahnsinn finde, da sitzen hier die ganzen Idole, deren Bücher ich zu Hause habe. Das ist schon verrückt, ja."
    Ruth Sophia Hebler, ganz frisch im Metier. Im richtigen Leben, sagt die Kölnerin und Mutter von zwei Kindern, arbeitet sie "auf'm Amt".
    "Ich bin ja eine ausgebildete Pädagogin, insofern habe ich auch ein Interesse an Menschen."
    Finger tief in die Wunde legen
    Und sofort beim ersten Mal schafften es gleich zwei ihrer Arbeiten in die Finalrunde und damit auch in die Ausstellung der "Besten 2015". Ihre Cartoons zeigen Menschen mit kugelrunden oder Punktaugen und mit deformierten Nasen.
    "Eine arme alte Dame fragt ein kleines Mädchen mit Schulranzen, vielleicht ein Erstklässler und sagt zu ihr: Was willst du mal machen, wenn du alt und arm bist?"
    Ein guter Cartoon? Der muss einfach sitzen, manchmal als Kloß tief im Hals oder als Finger tief in der Wunde.
    Peter Ufer, Autor, Humor- und Dialektforscher, Mitbegründer der Galerie Komische Meister in Dresden, hat mit zehn Jurykollegen aus Ost und West monatelang um die Auswahl der besten Cartoons gerungen.
    "Nein, wir sind uns nie einig, denn es geht um Inhalte, es geht um zeichnerische Qualität und die Erkenntnis im Witz."
    "Wir sind ein Witz" so hieß Thema beim diesjährigen Karikaturenpreis mit Blick auf 25 Jahre Deutsche Einheit. Doch das geriet fast zur Nebensachen, denn das Wochenende in Dresden war für die angereisten Karikaturisten von einem ganz anderen Thema bestimmt: die Attentate in Paris.
    Eine Zeichnung zeigt eine Ruine eines griechischen Gebäudes, über dem ein Schild steht: Das Orakel von Sanifair. Unter dem Bild steht: Privatisierung in Griechenland.
    Belegte den 2. Platz: Miriam Wurster mit ihrer Karikatur "Orakel" (Deutscher Karikaturenpreis)
    "Wir hatten ja alle einen Kloß im Hals."
    Miriam Wurster aus Bremen, Preisträgerin in Silber 2015:
    "Ich glaube es war möglich nach "Charlie Hebdo", sich einzubilden, wenn man nur nicht Leute auf irgendeine Art nicht zu toll provoziert, dann wird einem auch nichts passieren. Das ist jetzt einfach deutlich geworden, das stimmt nicht, die Gefahr betrifft uns alle und wir müssen alle Courage zeigen."
    "Kein Zeichner würde sagen, ich bin die Speerspitze der Meinungsfreiheit," entgegnet Katharina Greve aus Berlin, zum achten Mal ist sie beim Deutschen Karikaturenpreis in Dresden dabei. Ihr Credo: Satire muss sich gegen Mächtige richten, nie gegen Schwache. Dann darf sie auch böse sein, gern auch politisch unkorrekt.
    "Das ist auch eine Form der Selbstüberschätzung, die eigentlich nicht gepflegt wird. Die meisten Karikaturisten sind sehr bescheiden, ich würde auch eher sagen, nein, ich mach das, was mir Spaß bringt und da muss ich mich nicht so hochstilisieren."
    Ab 2016: Verleihung durch den Weser-Kurier in Bremen
    Neues Netzwerk, neue Auftraggeber, wie ein großes Klassentreffen empfindet Katharina Greve den alljährlichen Karikaturentreff in Dresden, und nicht nur sie:
    "Dieser Preis ist fantastisch." Die Cartoonistin Bettina Beckste: "Wir kommen hier jedes Jahr zusammen, sehen uns alle und wir werden gewertschätzt, das ist es. Wir haben hier ein Forum und es ist für alle Cartoonisten ganz wichtig, dass es diesen Preis weiter gibt."
    Eine Zeichnung zeigt einen Verkaufswagen in einer verschneiten Kleinstadt, an dem drei Menschen anstehen, der letzte in der Reihe ruft "Zweite Kasse!"
    Der 3. Platz: Marunde mit "Zweite Kasse" (Deutscher Karikaturenpreis)
    Der Deutsche Karikaturenpreis in Dresden 2015 ist Geschichte, die Ausstellung der besten Cartoons tourt jetzt durch Ost und West.