Donnerstag, 18. April 2024

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Deutscher Städte- und Gemeindebund
Kinderbetreuung in Grundschulen "nicht finanzierbar"

Viele Wahlversprechen der Parteien seien ohne zusätzliche Bundesmittel nicht einzulösen, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, im Dlf. Dazu zähle auch das Versprechen auf eine kostenlose Kinderbetreuung in Grundschulen.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Theo Geers | 24.09.2017
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Theo Geers: Herr Landsberg, der Wahlkampf ist gelaufen. Heute werden die Kreuzchen auf den Wahlzetteln gesetzt und ausgezählt. Sie sind Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Wenn Sie jetzt auf den Wahlkampf zurückblicken, war es eigentlich so, wie immer. Es gibt keinen Wahlkampf ohne Wahlversprechen. Und bei diesem Wahlversprechen gibt es eine alte Konstante. Im Bund wird Gutes versprochen und das Ganze einlösen müssen dann hinterher unter anderem auch die Kommunen. Ist es diesmal wieder so?
    Gerd Landsberg: Es ist ganz deutlich wieder so. Wir haben ja diesmal einen Wahlkampf erlebt, wo die Kinderbetreuung, mehr Polizisten vor Ort, die Ganztagsschule so in den Vordergrund der Diskussion gerückt sind, dass da auf die Kommune einiges zukommen kann, wenn man das tatsächlich umsetzen will.
    Geers: Bei welchem Versprechen droht denn möglicherweise nach der Wahl eine unsanfte Landung in der Realität?
    Landsberg: Sie wissen ja, dass fast alle Parteien sich dafür ausgesprochen haben, eine Betreuung auch von Grundschülern zu organisieren. Da ist auch teilweise von einem Rechtsanspruch die Rede. Ein solcher Rechtsanspruch ist kurzfristig – ich würde sogar sagen mittelfristig – weder umsetzbar, nicht finanzierbar und auch nicht organisierbar. Um zwei Zahlen zu nennen, wir bräuchten fast für 1,2 Millionen Schülerinnen und Schüler eine entsprechende Struktur. Die gibt es nicht. Und das Personal, was man dafür braucht, gibt es auch nicht. Und die Kosten, wie die überhaupt vom Bund zu den Kommunen gelangen sollen, bleibt auch unklar.
    Geers: Was würde es denn kosten?
    Landsberg: Also, es gibt ja Berechnungen des Deutschen Jugendinstituts. Die haben das hochgerechnet. Die sagen, 1,2 Millionen Plätze, macht 18 Milliarden Betriebskosten pro Jahr und 1,4 Milliarden Euro Investitionskosten. Also, das ist eine riesen Hausnummer. Die ist auch deshalb besonders groß, weil ja gleichzeitig die Kindergartenbetreuung auch weiter ausgebaut werden muss, weil der Bedarf immer noch größer ist als das Angebot.
    Geers: Das bedeutet, Herr Landsberg, die SPD, aber zum Beispiel auch die CDU könnten zentrale Wahlversprechen, zum Beispiel kostenlose Kita-Plätze oder eben auch die Ganztagsbetreuung, gar nicht einlösen?
    "Bund kann nicht anordnen, dass der Kindergarten beitragsfrei wird"
    Landsberg: Das dürfte sehr schwierig sein. Man muss zunächst mal wissen: Der Bund hat keinerlei Kompetenz. Der Bund kann nicht anordnen, dass der Kindergarten beitragsfrei ist. Das ist eine Sache von Kommunen und Ländern. Natürlich kann theoretisch der Bund den Ländern Geld geben und vielleicht machen sie es oder sie machen es nicht. Man muss auch wissen, dass der berühmte Kita-Beitrag, das sind ja über das Jahr inzwischen knapp vier Milliarden, ja von Menschen mit niedrigem Einkommen gar nicht gezahlt wird. Es gibt Städte, da sind fast 60 Prozent der Eltern von dem Kita-Beitrag befreit. Es sind also eher die gut Verdienenden. Man kann natürlich sagen, mittelfristig muss das kommen. Aber wir haben hier ein Problem. Uns fehlt die Qualität. Uns fehlen die Plätze. Die Eltern wollen inzwischen auch eine längere Betreuung. Also ist es sinnvoll, in einer Übergangszeit jedenfalls, diese Kita-Beiträge weiter zu erheben und in die Qualität zu investieren. Viele Eltern sehen das übrigens auch so.
    Geers: Bleiben wir noch mal kurz bei den Kita-Plätzen, Herr Landsberg. Es gibt da ja die Rechtslage, die klar ist. Und zwar seit August 2013 hat man einen Anspruch hierzulande auf einen Kita-Platz, und zwar ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Diesen Anspruch gibt es, wie gesagt, seit vier Jahren und es fehlen immer noch zigtausende, in einer Studie war sogar die Rede von 300.000 Plätzen. Wie kann so etwas passieren? Es gibt einen Gesetzentwurf. Es wird beschlossen im Jahr 2008. Es tritt in Kraft im August 2013. Und im September 2017 fehlen immer noch Plätze. Das kann man doch niemandem erklären.
    Landsberg: Das kann man sehr gut erklären. Es ist auch viel geschehen. Wir sind jetzt bei etwa 760.000 Plätzen. Wenn Sie mir das vor ein paar Jahren gesagt hätten, hätte ich gesagt: Das klappt auf keinen Fall. Und noch vor wenigen Jahren hat man uns gesagt, die Kinderzahl geht zurück. Jetzt haben wir genau das Gegenteil. Die Kindergartenkinder werden mehr. Das hat einerseits natürlich mit dem Flüchtlingszuzug zu tun, aber auch die Geburtenrate steigt. Und das Dritte, das ist vielleicht noch das Wichtigere, immer mehr junge Frauen wollen schnell in den Beruf. Die Wirtschaft erwartet das auch. Und deswegen ist der Erwartungsdruck an die Kommunen, diesen Rechtsanspruch zu erfüllen, immer größer. Und das ist eine Herkulesaufgabe, die müssen wir annehmen. Da werden wir auch besser, aber das wird seine Zeit dauern.
    Geers: Wie viel wird das denn noch kosten? Und wer soll das bezahlen?
    Landsberg: Also, im Moment ist der kommunale Anteil bei etwa 27 Milliarden pro Jahr. Und wenn das in der Geschwindigkeit weitergeht, werden wir mit der neuen Bundesregierung sprechen müssen: Wie sieht die nachhaltige Finanzierung dieser wichtigen Aufgabe für unsere Gesellschaft aus? Der Bund beteiligt sich ja auch jetzt schon, aber das muss sicherlich mehr werden. Aus eigener Kraft werden die Kommunen das nicht schaffen.
    Geers: Eng damit zusammen hängt ein anderer Punkt, Herr Landsberg, und zwar das Thema marode Schulen, marode öffentliche Einrichtungen. Da gibt es ein Programm des Bundes, dreieinhalb Milliarden Euro sind 2015 zur Verfügung gestellt worden, noch mal dreieinhalb Milliarden Ende 2016. Und trotzdem regnet es bei vielen Gebäuden immer noch rein, wächst der Efeu durchs Fenster und, und, und. Wann wird sich dieser Zustand ändern?
    Bei Schulen Investitionsrückstau von 32,8 Milliarden Euro
    Landsberg: Da kann ich Ihnen keine Zahl nennen. Ich kann nur feststellen, dass die Politik das Thema auch auf der Bundesebene erkannt hat. Wir haben als Kommunen im Moment einen Investitionsrückstand von 126 Milliarden. Davon entfallen 32,8 Milliarden auf Schulen und entsprechende Einrichtungen. Und da ist eben jahrelang viel zu wenig geschehen. Und es wird Jahre dauern, das aufzuholen. Und das ist sicherlich auch eine Frage, die Bund, Länder mit den Kommunen besprechen müssen: Wie werden wir da schnell besser? Denn das Lebensgefühl der Menschen wird auch ganz stark darüber definiert. Und das zeigt ja auch der Wahlkampf. Ob sie gewinnen oder verlieren, hängt maßgeblich davon ab, ob die Menschen mit ihrem Lebensumfeld in der Kommune und der Situation in der Kommune zufrieden sind oder nicht.
    Geers: Zufriedenheit mit der Kommune, Herr Landsberg, ist ein gutes Stichwort. Es gibt viele Bürger, die sind unzufrieden mit ihren Kommunen. Wenn sie zum Beispiel in Berlin einen Termin brauchen, um einen Personalausweis zu beantragen, oder wenn sie ein Auto zulassen wollen, oder wenn sie eine Geburtsurkunde brauchen, damit sie Kindergeld und Erziehungsgeld beantragen können, dann müssen sie teilweise sehr, sehr lange warten. Wenn ich in Berlin-Mitte einen freien Termin für einen Personalausweis vereinbaren möchte, dann bekomme ich diesen Termin frühestens am 07. November. Das sind sechseinhalb Wochen. Die Autozulassungswartezeit dauert drei Wochen. Und bei der Geburtsurkunde sieht es, wie gesagt, nicht viel besser aus. Da zeigt sich der Staat, ob er funktioniert oder nicht. Wann wird sich das endlich mal verbessern?
    Landsberg: Das kann ich für Berlin schwer sagen. Ich kann aber feststellen, dass die Situation, die Sie für Berlin beschrieben haben, nicht für ganz Deutschland gilt. Es gibt auch viele Kommunen, wo das sehr viel schneller geht. Und die Chance, das flächendeckend schneller zu machen, ist sicherlich die Digitalisierung. Wir wollen ja letztlich nicht, dass die Bürger, sondern die Daten laufen. Dafür brauchen wir einen Rechtsrahmen. Und deswegen sagen wir als Deutscher Städte- und Gemeindebund, wir müssen Deutschland modernisieren und digitalisieren. Das ist nicht so ganz einfach, weil viele Rechtsvorschriften ja in einer Zeit gemacht worden sind, wo es die Digitalisierung gar nicht gab. Und ich hoffe, dass wir da zu einem deutlichen Schritt kommen, besser werden, weil die Bürger das auch erwarten. Die wollen doch gar nicht mehr im Stadthaus sitzen, sondern sie wollen das zu Hause vorm Computer erledigen. Und das geht, wenn man es entsprechend organisiert.
    Geers: Das Verständnis der Bürger für solche Wartezeiten sinkt auch deshalb, weil die Bürger auch mitbekommen, dass es den Kommunen immer besser geht – oder wieder besser geht, so kann man es vielleicht ausdrücken. Im letzten Jahr haben die Kommunen, ähnlich wie der Bund und ähnlich wie die Länder, Überschüsse gemacht. Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Finanzlage der Kommunen ein?
    Landsberg: Sie ist insgesamt besser geworden. Sie haben die Zahlen genannt. Aber wir haben eine deutliche Spreizung zwischen armen und reichen Kommunen. Das heißt, die Zahl der armen Kommunen wird größer. Und das hängt damit zusammen, dass viele Kommunen aus ihren Einnahmen ihre gesetzlichen Verpflichtungen nicht erfüllen können. Nehmen Sie mal ein Beispiel. Meine Heimatstadt Bonn, Haushalt 1,2 Milliarden, drei DAX-Unternehmen, trotzdem ist diese Stadt seit Jahren nicht in der Lage, mit ihren Einnahmen die Ausgaben zu finanzieren, weil der Sozialbereich immer weiter steigt und wir eben teilweise Pflichten erfüllen, die eigentlich die Gesamtgesellschaft erfüllen müsste und nicht die Kommune.
    Geers: Welche sind das?
    "Schere zwischen armen und reichen Kommunen schnell schließen"
    Landsberg: Nehmen Sie das Beispiel, jemand ist arbeitslos und kann seine Wohnung nicht bezahlen. Dann sind die Unterkunftskosten von den Kommunen zu 70 Prozent zu finanzieren. 30 Prozent finanziert der Bund. Wenn jemand das nicht kann, ist letztlich die Finanzierung nicht die Aufgabe der Kommune, sondern eine Aufgabe des Gesamtstaates. Zweites Beispiel: Jemand ist von Geburt behindert oder wird es durch einen Unfall, dann bekommt er von der Kommune, jedenfalls in den meisten Bundesländern, die sogenannte Eingliederungshilfe. Tendenz sehr steigend. Auch da würde ich sagen, das zu organisieren ist eine kommunale Aufgabe, es zu finanzieren nicht. Und deswegen sind eben viele Kommunen in einer sehr schwierigen Lage. Und da nutzt der schöne Überschuss in manchen Ballungszentren nichts. Und es ist auch eine Gefahr, denn wir haben ja im Grundgesetz die Regel "gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland". Und da sind wir leider weit von entfernt. Und deswegen müssen wir diese Schere zwischen armen und reichen Kommunen schnell schließen.
    Geers: Nun hat der Bund aber die Kommunen bereits massiv entlastet, Herr Landsberg. Er hat die Kosten der sogenannten Grundsicherung übernommen. Seit 2012 20 Milliarden Euro. In diesem Jahr erhalten die Kommunen allein bei diesem Posten sieben Milliarden, Tendenz steigend. Er hat sich auch an der Eingliederungshilfe, die Sie gerade erwähnt haben, für Behinderte beteiligt. Und er wird es ab 2018 mit jährlich fünf Milliarden Euro tun. Dazu werden die Flüchtlingskosten, über die wir gleich noch sprechen werden, auch zu einem großen Teil erstattet. Warum schaffen es die Kommunen trotzdem nicht, auf einen grünen Zweig zu kommen?
    Landsberg: Also, es ist anzuerkennen, dass die Bundesregierung sehr viele Mittel auch für die Kommunen bereitgestellt hat. Aber es ist eben nicht nur eine Frage der Einnahmen, sondern der Ausgaben. Und wir beobachten eben, dass trotz dieser Entlastung die Sozialausgaben fast ungebremst der Kommunen weiter steigen. Wir werden am Ende dieses Jahres bei etwa 67 Milliarden Euro sein. Wenn Sie das mal zurückrechnen, 2009 waren es 35,5. Das heißt, natürlich haben die Gleichen, die uns entlastet haben, auch Gesetze beschlossen, die immer einen guten Sinn hatten, die aber zu deutlichen Kostensteigerungen führten.
    Geers: Das klingt aber so ein bisschen wie die verfolgte Unschuld vom Lande, Herr Landsberg. Nach dem Motto: Es sind immer die anderen, die uns was aufs Auge drücken und wir müssen es dann ausbaden und dafür gibt es dann nicht genug Geld. Ich will ein anderes Beispiel nennen. Ein drängendes Problem der Kommunen sind die sogenannten Kassenkredite. Das sind kurzfristige Kredite, die man als Privatmensch mit dem Dispo auf seinem Gehaltskonto vergleichen könnte. Diese Kassenkredite der Kommunen betrugen 2012 etwa 47 Milliarden Euro und heute liegen sie bei knapp 50 Milliarden. Man hat das Gefühl, es hat sich nichts geändert, trotz Niedrigzinsen, trotz guter Konjunktur. Alles ist eher noch schlimmer geworden. Könnte das nicht auch so ein bisschen an den Kommunen selbst liegen?
    Landsberg: Das kann man natürlich nie ganz ausschließen. Man muss natürlich wissen, diese Kassenkredite konzentrieren sich auf wenige Bundesländer, nämlich Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Um da noch mal eine Zahl zu nennen, in Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz kommen sie pro Einwohner auf über 1.500 Euro. In Bayern sind es 17 Euro. Das zeigt auch, wer hier investieren kann und wer nicht. Man muss allerdings auch gerade für Nordrhein-Westfalen anerkennen, dass sie natürlich im Ruhrgebiet Strukturprobleme haben und große Städte haben, wie sie im übrigen Deutschland nicht vorhanden sind. Und deswegen plädieren wir für eine Lösung dieser Kassenkreditproblematik.
    Geers: Wie soll die aussehen?
    "Bad Bank" für Kommunen schaffen
    Landsberg: Wir stellen uns einen Altschuldenfonds vor. Wir sind ja im Moment in einer Niedrigzinsphase. Theoretisch könnten Bund und Länder sagen, wir nehmen die - ich nenne mal die globale Zahl, diese 50 Milliarden, bringen die – in Anführungsstrichen – in eine kommunale "Bad Bank" und zinsen das auf 50, 60, 80 Jahre ab. Denn wir sind ja jetzt in der Lage, dass der Bund dafür, dass er Geld sich leiht, sogar noch Geld bekommt. Das ist ein kleines Zeitfenster, aber ich glaube, das ginge. Man müsste dann natürlich sicherstellen, dass die Städte nicht in wenigen Jahren in einer ähnlichen Situation sind. Das sind ja Stärkungspakte in den verschiedenen Bundesländern, die versucht haben, das auf den Weg zu bringen. Aber hier würden wir schon auch für eine große Lösung sprechen. Das wäre ein Befreiungsschlag für diese Städte.
    Geers: Ist dieses Entschuldungsprogramm eine zentrale Forderung, die Sie an den Bund haben – jetzt auch für die Zeit nach der Wahl?
    Landsberg: Also, das ist sicherlich eine Forderung. Es ist aber nicht die Zentralste. Wir glauben in erster Linie, dass wir im Sozialbereich Reformen brauchen, die die Kommunen dauerhaft entlasten und die natürlich auch bei dem Bürger dafür sorgen, dass die große Bürokratie, die wir im Sozialbereich haben – die ist gewachsen über Jahre mit einer aus meiner Sicht übertriebenen Einzelfallgerechtigkeit –, dass wir die abbauen, um mit den vielen Mitteln - ein Hinweis: 52 Prozent des Bundeshaushalts ist der Sozialetat. Also mit dem Ziel, dass wir den wirklich Bedürftigen besser, schneller und mit weniger Bürokratie ihre Leistungen zukommen lassen.
    Geers: Noch einmal kurz zurück zum Entschuldungsprogramm, über das wir gerade gesprochen haben, Herr Landsberg. Es gibt Kritik an diesen Programmen und eine Kritik lautet, es würden dann auch noch die belohnt, die vielleicht in der Vergangenheit schlecht gewirtschaftet haben. Was sagen Sie zu diesem Argument?
    Landsberg: Das ist ein Problem, das wir natürlich als Verband, der flächendeckend in Deutschland Kommunen vertritt, auch sehen. Aber man muss auch noch mal die andere Seite sehen. Wenn es tatsächlich dazu käme, dass die Kassenkredite in eine solche Bad Bank überführt werden, dann haben davon auch die Kommunen etwas, die solche Kredite nicht haben. Denn beim kommunalen Finanzausgleich auf der Länderebene spielt natürlich die Verschuldung der großen Kommunen eine große Rolle. Das heißt, auch die Länder hätten dann mehr Spiel, gleichmäßiger zu verteilen.
    Geers: Gibt es denn eine Garantie, dass es danach besser wäre, dass die Städte dann auch wirklich besser dastehen und danach mit ihren Einnahmen hinkommen? Oder haben wir es da mit lauter kleinen Griechenlands zu tun, die auch nach einer Entschuldung zu wenig eigene Einnahmen hätten, um ihre Ausgaben zu finanzieren?
    Landsberg: Also, kleine Griechenlands wollen wir natürlich nicht. Und deswegen müsste eine solche Konstruktion mit klaren Vorgaben verbunden werden, dass genau das nicht eintritt, dass man heute die Schulden übernimmt und in fünf Jahren haben wir das gleiche Thema auf der Tagesordnung.
    Geers: Sagt Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Herr Landsberg, eine weitere unsanfte Landung nach der Wahl könnte es vielleicht beim Thema Flüchtlinge geben, das die Bürger immer noch gewaltig beschäftigt. Ob deren Integration gelingt, das sagen Sie selbst auch immer wieder, das entscheidet sich in den Städten und Gemeinden. Wie läuft es denn?
    Landsberg: Na ja, es läuft schon etwas besser, weil die Zahlen ja rückläufig sind. Aber das Problem wird uns aus meiner Sicht noch Jahrzehnte beschäftigen. Und wir können da noch besser werden.
    Geers: Wo?
    "Wir haben zu wenig Sprachkurse"
    Landsberg: Die Integration hängt ja im Prinzip von drei Bausteinen ab – Sprache, Arbeit, Wohnen. Fangen wir mit der Sprache an. Wir haben zu wenig Sprachkurse. Teilweise müssen die Flüchtlinge warten, die eine Bleibeperspektive haben, bis zu einem halben Jahr. Das geht nicht. Und wir müssen die Flüchtlinge verbindlich verteilen auf diese Sprachkurse, damit die Kapazitäten ausgelastet sind. Erster Punkt. Zweiter Punkt …
    Geers: Darf ich Sie hier noch mal kurz unterbrechen?
    Landsberg: Ja.
    Geers: Bevor wir zu Punkt zwei und drei kommen. Bleiben wir noch mal kurz beim Thema Deutschkurse. Sie sagen selbst, das ist eine Grundvoraussetzung und es fehlt auch an Plätzen und es fehlt auch an Leuten, die diese Kurse geben können. Muss man sich darüber eigentlich gar nicht wundern? Ich meine, wenn man sich anschaut, was so ein Deutschlehrer, der Deutsch für Ausländer unterrichten soll, was der verdient, der bekommt 30/35 Euro die Stunde, das klingt erst mal viel, heißt aber, dass er von diesen 30/35 Euro auch noch die Vor- und Nachbereitung dieser Unterrichtsstunden bezahlen muss. In der Regel sind das keine fest angestellten Leute, sondern die arbeiten auf Honorarbasis oder werden nur für die Kurse, die die Volkshochschulen anbieten, bezahlt. Die müssen also aus eigenem Gehalt dann eben auch Rücklagen bilden für Krankheit, für Urlaub, für Feiertage, für Ferien, wo sie nicht beschäftigt sind. Wundert es Sie da, dass es da zu wenig Leute gibt, die das können und bereit sind, für so wenig Geld diesen Job, diesen wichtigen Job zu machen?
    Landsberg: Das wundert mich nicht. Und wenn man meine Einschätzung teilt, dieses Thema wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen, dann sollte man auch den Mut haben, in größerem Umfang mit fest angestellten Lehrern diese wichtige Aufgabe anzugehen. Unsere Volkshochschulen stehen dazu bereit, aber es müssen natürlich auch die richtigen Mittel dafür zur Verfügung stehen.
    Geers: Man könnte ja einfach mehr zahlen.
    Landsberg: Man könnte mehr zahlen, sicherlich. Und darüber werden wir auch wieder verhandeln mit der neuen Bundesregierung.
    Geers: Punkt zwei, Sie haben erwähnt, das Wohnen und Sie haben erwähnt, das Thema Ausbildung.
    Landsberg: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir in Deutschland mehr Wohnraum schaffen. Sie wissen, wir bauen etwa 250.000 Wohnungen pro Jahr. Wir bräuchten 450.000. Da geht es nicht nur um die Flüchtlinge, aber auch um die Flüchtlinge. Und das wird uns nur gelingen, wenn wir das Baurecht vereinfachen, wenn wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau aufstocken, wenn wir nicht bei der Energiesparverordnung weitere Verschärfungen vornehmen, wenn wir serienmäßig bauen, weil jedes Land hat ja eine andere Bauordnung. Das ist auch politisch erkannt. Man hat ja über Jahre – auch die Kommunen – das zurückgefahren. Da brauchen wir eine Wende, denn das ist natürlich in gewisser Weise auch ein Sprengstoff. Man muss andererseits aber auch sehen: Fast eine Million Wohnungen in Deutschland stehen leer. Und das ist der Grund, warum wir gesagt haben: Verteilt die Flüchtlinge, jedenfalls für die ersten drei Jahre, einigermaßen gleichmäßig. Das kann jedenfalls bei der Wohnsituation eine gewisse Entspannung bringen.
    Geers: Sie sagen als Städte- und Gemeindebund, die Asylbewerber sollen eigentlich länger in den Aufnahmeeinrichtungen bleiben – bis ihre Identität geklärt ist und feststeht, ob sie eine Bleibeperspektive haben. Das klingt erst mal ganz vernünftig, aber das Gegenargument kann ich Ihnen auch gleich liefern. Es lautet: Man sollte die Leute so schnell wie möglich raus aus diesen Unterkünften holen, um sie zu integrieren. Sonst hängen die jungen Männer da nur herum, haben nichts zu tun, kommen nur auf dumme Gedanken und am Ende bleiben sie doch hier.
    Landsberg: Das ist die Frage, ob das so richtig ist. Wir stellen ja fest, dass die Länder in den Erstaufnahmeeinrichtungen zurzeit 75.000 Plätze leer stehen haben, die sie vorhalten, was wir auch richtig finden. Und man muss mal an die Situation der Menschen in den Kommunen denken. Wir haben nach wie vor eine positive Willkommenskultur. Man will sich engagieren für Leute, die auch wirklich hierbleiben oder mittelfristig hierbleiben. Aber dass man dann automatisch auf Kommunen Personen verteilt, deren Herkunft, deren Identität wir nicht kennen oder wo man sicher weiß, die haben ohnehin keine Bleibeperspektive, das leuchtet mir nicht ein.
    Geers: Zweites Thema im Moment beim Thema Flüchtlinge, der Familiennachzug. Auch der wird sehr kontrovers diskutiert. Der Familiennachzug ist bei denjenigen, die nur bis auf Weiteres Schutz hier in Deutschland haben als Flüchtlinge, bis März 2018 ausgesetzt. Und es gibt die Debatte, ob man das länger aussetzen soll. Was sagt der Deutsche Städte- und Gemeindebund?
    "Familiennachzug weiter aussetzen"
    Landsberg: Wir plädieren dafür, den Familiennachzug weiter auszusetzen, weil wir glauben, es würde die Kommunen überfordern. Denn wir reden ja nicht über ein paar tausend Personen, die in Betracht kommen, sondern 100.000. Das müssen wir steuern. Und wir müssen sowieso generell in der Flüchtlingssituation auch mal eine Diskussion langfristig führen. Denn irgendwann wird der Krieg auch in Syrien zu Ende sein. Wie können wir die Menschen, die ja gar nicht so gerne alle hier sind, sondern auch in ihre Heimat zurückwollen, wie können wir da Anreize schaffen, dass die sich darauf vorbereiten, zum Beispiel mithilfe der deutschen Wirtschaft? Denn dort wird es eine Geberkonferenz geben. Es wird Aufbau geben. Und was wäre schöner, als wenn unsere Flüchtlinge hier gut ausgebildet dann für deutsche Firmen ihr eigenes Land wieder aufbauen helfen?
    Geers: Und wenn man ihre Familien erst gar nicht hier hinholt, dann kehren sie auch lieber zurück in ihre Heimat?
    Landsberg: Das ist sicherlich ein Hintergedanke. Ich glaube auch, dass es natürlich im beschränkten Umfang Familiennachzug geben muss. Er hat ja auch etwas Gutes. Ich hätte überhaupt kein Problem, wenn jemand hier Arbeit gefunden hat, seine Familie ernähren kann, dann soll er sie nachholen. Aber wenn der Nachzug ausschließlich ins Sozialsystem erfolgt, dann ist das ein Problem.
    Geers: Herr Landsberg, ein weiteres, drittes Thema, was den Städten unter den Nägeln brennt, ist das Thema Verkehr, ist das Thema Fahrverbote. Und diese Fahrverbote drängen auch den Wählern unter den Nägeln. Sind diese Fahrverbote für Dieselfahrzeuge noch abwendbar aus Ihrer Sicht?
    Öffentliche Diskussion zum Diesel "überhitzt"
    Landsberg: Ich glaube schon, dass wir die abwenden können. Ich halte die Diskussion, die öffentliche Diskussion auch für überhitzt. Ein Verwaltungsgericht, ob das nun in Stuttgart ist, kann für Stuttgart, für bestimmte Straßen möglicherweise ein Fahrverbot anordnen, aber bestimmt nicht für ganz Deutschland. Wir bräuchten dafür eine gesetzliche Ermächtigung. Die gibt es bisher überhaupt nicht. Und, ob das alles am Ende so viel bringt, das ist noch mal die zweite Frage. Also, die Lösung sind nicht Verbote, sondern die Lösung ist eine Verkehrswende, die wir allerdings beschleunigt angehen müssen, damit Gerichte auch sehen: Aha, in den betroffenen Städten – das sind ja etwa 89 – da geschieht etwas, um die Schadstoffbelastung zu reduzieren.
    Geers: Also können sich Dieselfahrer und die Besitzer von Dieselautos ganz entspannt zurücklehnen?
    Landsberg: Na ja, ob sie sich entspannt zurücklehnen, weiß ich nicht. Es wird ja Nachrüstungen geben. Also bleiben wir mal bei der kommunalen Seite: Wir haben ja auch sehr viele Diesel-Busse in den Städten, da gibt es Nachrüstsätze, die liegen bei etwa 20.000 Euro. Da können sie über 90 Prozent des Stickoxides reduzieren. Aber das ist nur ein Schritt. Wir brauchen eben andere Verkehrsstrukturen in den Städten. Wir brauchen mehr ÖPNV. Und – das ist mir wichtig – wir brauchen eine digitale Verkehrsführung, damit ich schon im Navi sehe: Wo ist ein Platz frei? Und wenn keiner frei ist, leitet mich das Navi zum Park-and-Ride-Parkplatz. Und da kommt dann der Bus oder die Bahn. Also da ist viel Luft nach oben, aber es wird dauern.
    Geers: Reichen denn diese Maßnahmen aus, Herr Landsberg, um das Problem Stickoxide in den Städten in den Griff zu bekommen? Wenn man sich die Lage anschaut, die Hersteller, die Autohersteller machen sich einen schlanken Fuß. Die setzen auf die Billiglösung per Softwareupdate und wollen von Hardwarenachrüstung nichts wissen. Die Politik im Bund lässt das so erst mal stehen, obwohl es Zweifel gibt, ob die Luft in den belasteten Städten wirklich spürbar besser wird. Und deshalb die Frage, wir haben es in Stuttgart im Juli mit dem von Ihnen bereits zitierten Urteil gesehen: Ist es in der Tat zu erwarten, dass die Gerichte bei dieser Art von Selbstbetrug oder bei dieser Art von Politik nach dem Prinzip Hoffnung noch länger zuschauen? Oder ist es nicht doch so, dass dann irgendwann die Gerichte sagen, nein, all diese Maßnahmen reichen nicht, Beispiel Stuttgart, und an Fahrverboten führt kein Weg vorbei?
    Landsberg: In Einzelfällen kann man das nicht ausschließen. Stuttgart ist eine Sondersituation, weil da eigentlich die ganze Innenstadt betroffen ist. In den anderen Städten sind es einzelne Straßen. Und das ist eigentlich auch das, was in der öffentlichen Diskussion zu kurz kommt. Das ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Beim Dieselgipfel bei der Kanzlerin haben ja einige Städte vorgetragen. Einige haben gesagt: Wenn wir unsere eigenen Dieselbusse entweder nachrüsten oder durch Elektrobusse ersetzen, dann kommen wir zu einer Reduzierung von 25 Prozent, dann ist das Problem gelöst. In München ist das anders. In Stuttgart ist das auch anders. Also wir brauchen individuelle Lösungen. Das können die Städte, wenn die Politik auf Bundes- und Landesebene ihnen beherzt hilft und das Problem als solches nicht auf die lange Bank schiebt. Und da ist natürlich auch die Industrie gefordert, nicht zu sagen, wir haben alles richtiggemacht. Sondern dort, wo Nachrüstung möglich ist, nicht nur Software, sondern Hardware, diese auch anzubieten.
    Geers: Herr Landsberg, vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.