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Deutscher Städtetag fordert Hilfe beim Asylgeld

Asylbewerber müssen mehr Geld bekommen, entschied das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch. Die dadurch entstehenden Zusatzkosten für klamme Kommunen müssen durch die Länder finanziert werden, fordert Stephan Articus vom Deutschen Städtetag.

Stephan Articus im Gespräch mit Bettina Klein | 19.07.2012
    Bettina Klein: Im Deutschlandfunk in diesen "Informationen am Morgen" schauen wir noch einmal auf das Urteil aus Karlsruhe gestern: Asylbewerber müssen mehr Geld bekommen. Die seit 1993 unveränderten Leistungen verstoßen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das hat das Bundesverfassungsgericht nun entschieden.
    Dieses Urteil umzusetzen, das ist nun auch Sache der Kommunen, und über seine Reaktion habe ich mit Stephan Articus gesprochen, er ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages.

    Stephan Articus: Also, wir akzeptieren das Urteil. Es steht ja schon länger in Rede, dass die Leistungen für Asylbewerber der Höhe nach angepasst werden müssen. Das gilt insbesondere dort, wo Geldleistungen gewährt werden. Die sind seit 1993 nicht mehr angepasst worden und jetzt ist es fällig.

    Klein: Sie akzeptieren es, sagen Sie. Das klingt nicht begeistert?

    Articus: Nein, das kann man so nicht sagen. Dass eine Anpassung über so eine lange Zeit unterlassen worden ist und dass der Abstand zu einer Ausstattung mit den Mitteln des Grundbedarfes, die für ein menschenwürdiges Leben erforderlich sind, sich um fast 30 Prozent in der Lücke darstellt, ist ein Problem und dieses Problem wird jetzt sogar rückwirkend ab Januar 2011 gelöst. Das ist nicht der Fall in den Ländern, in denen Sachleistungen gewährt worden sind, weil die Sachleistungen natürlich auch mit laufenden Preisen sichergestellt waren. Aber dort, wo Geldleistungen bezahlt waren, ist diese Lücke entstanden, und dass die jetzt geschlossen wird, das finden wir in Ordnung und wir teilen dieses Urteil.

    Klein: Was jetzt natürlich als Nächstes kommt, ist die Frage, wer bezahlt das. Der Deutsche Landkreistag spricht von Mehrkosten pro Jahr von bis zu 130 Millionen Euro. Ist das eine zutreffende Schätzung und wer zahlt das?

    Articus: Ja, das ist ein anderes Problem, Frau Klein, in der Tat. Es ist schon jetzt so, dass das Gros der Leistungen für die Asylbewerber von den Kommunen bezahlt werden muss, obgleich es keine kommunale, sondern eine staatliche Aufgabe ist. Die Länder beteiligen sich unterschiedlich an dieser Finanzierungsaufgabe, im Schnitt, kann man sagen, 60 Prozent die Kommunen, 40 Prozent die Länder, aber auch das ist nicht überall so. In Nordrhein-Westfalen gibt es eine Pauschale über 25 Prozent Erstattung durch das Land, die aber auf drei Jahre befristet ist. Also schon jetzt bezahlen die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, aber auch in vielen anderen Bundesländern das Gros der Kosten und wir bezahlen natürlich auch die Teuerungen, und deswegen denke ich, dass wir wie schon lange fordern, dass die Kommunen, die das Gesetz ausführen müssen, dafür auch finanziell sozusagen ordentlich ausgestattet werden.

    Klein: Das heißt, Sie verlangen, dass Sie das Geld dafür von den Ländern oder dem Bund bekommen, oder von wem?

    Articus: Das müssten die Länder bezahlen, weil der ganze Abwicklungsprozess geht über die Länder.

    Klein: Und Sie selbst als Kommunen können es so, wie das Karlsruher Urteil es verlangt, nicht leisten?

    Articus: Es gibt Kommunen, die es leisten können, und es gibt bekanntermaßen eine große Zahl von Kommunen, die zum Teil hoffnungslos überschuldet sind. Es gibt allein, um noch mal das nordrhein-westfälische Beispiel zu nennen, in Nordrhein-Westfalen Kassenkredite von über 20 Milliarden Euro. Da sind viele Kommunen, die einfach nicht in der Lage sind, solche Aufgaben zusätzlich zu finanzieren, und da ist nötig eine Regelung, am besten, wenn der Bund das über die Länder so abwickelt, dass die Kommunen es erstattet bekommen.

    Klein: Die Bestrebungen, da mehr Unterstützung vom Bund oder von den Ländern zu bekommen, ist ja nicht neu, Sie haben es angedeutet. Wie weit sind Sie denn bei Ihren Bemühungen, oder als wie realistisch würden Sie das bezeichnen, dass das so kommt, wie Sie es sich wünschen?

    Articus: Wir haben, als Mitte der 90er-Jahre die Zuwanderung von Asylsuchenden in sehr viel größeren Zahlen war, sehr, sehr heftig um diese Frage gekämpft und damals auch gewisse Verbesserungen im Rahmen des Asylbewerber-Leistungsgesetzes erhalten, aber nie eine gesicherte Finanzierung. Jetzt steigen die Zahlen der Asylsuchenden wieder, jetzt steigen auch die Ausgaben berechtigterweise, wie wir eben ausgetauscht haben. Also ich denke, das Ringen darum, dass Bund und Länder hier eine auskömmliche Finanzierung auch mitliefern, die werden jetzt wieder nachhaltiger werden.

    Klein: Aber das ist zunächst mal nur eine Hoffnung?

    Articus: Im Moment ist ja das Verständnis in der Öffentlichkeit für die Finanznot vieler Städte sehr groß, es geschieht ja auch einiges, und deswegen haben wir einen guten Grund zur Hoffnung, dass wir auch in diesem Feld etwas erreichen.

    Klein: Herr Articus, die Position der Bundesregierung war ja, dass eine Erhöhung des Satzes zu einer, wie es hieß, unerwünschten Lenkungswirkung führen könne. Sprich: Wenn es den Leuten nicht so gut geht, dann kommen vielleicht auch weniger, oder bleiben nicht so lange. Erwarten Sie, dass jetzt mehr Asylsuchende kommen oder bleiben werden?

    Articus: Also, diese Debatte gibt es ja immer schon, und obwohl sich eigentlich daran jetzt zum Beispiel bei dem Sachleistungsprinzip doch wohl eine gute Ausstattung oder eine bessere Ausstattung der Asylsuchenden erreicht hat, hat das trotzdem nicht verhindert, dass die Zahl der Asylsuchenden in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Also ich bin da skeptisch, ob das wirklich eine so stark steuernde Rolle hat, wenn man sozusagen die Leistungen knapphält, dass dann auch die Zuwanderungen von Asylsuchenden zurückgehen. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgestellt, dass die Menschenwürde nicht aufs Spiel gesetzt werden darf wegen migrationspolitischer Ziele.

    Klein: Aus dem Landkreistag kommen nun jedoch Forderungen, Asylverfahren zu beschleunigen, und der CSU-Politiker Uhl plädiert gar für eine vorzeitige Ausweisung oder Abschiebung. Also, wenn das Karlsruher Urteil das bewirken sollte, dann haben die Richter den Flüchtlingen einen Bärendienst erwiesen?

    Articus: Diese Forderung, die Herr Uhl formuliert oder mit der er zitiert wird, ist nicht unsere. Allerdings halten wir es auch schon im Sinne der Asylsuchenden für dringend erforderlich, dass die Entscheidungen rascher getroffen werden. Dass bis zu sechs Jahre lang und noch länger Verfahren offen sind und die Menschen ja auch nicht in eine Situation kommen, wo sie vorbereitet werden und unterstützt werden für eine Integration, für eine Ausbildung, für einen Verbleib, und am Ende doch bleiben, das ist eine sehr missliche Situation. Also stringente Verfahren sind bestimmt für alle Beteiligten der bessere Weg.

    Klein: Stephan Articus, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, zum gestrigen Urteil aus Karlsruhe zu den Asylbewerberleistungen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.