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Deutsches Forschungsprojekt auf dem Tibet-Plateau

Geographie. - Die weltgrößte Gebirgslandschaft liegt in Asien: Der Himalaja mit seinen 8000 Gipfeln, das Hochland von Tibet, das angrenzende Karakorum-Gebirge und der Hindukusch. Trotz ihrer Bedeutung im Klimasystem gibt es über die Gletscher auf dem Dach der Welt kaum Daten. Ein deutsches Forschungsprojekt soll in dünner Luft die Lücken schließen.

Von Volker Mrasek | 19.05.2010
    Nyainqentanglha klingt das nicht fast nach dem Vulkan, der Europas Luftfahrt seit April in Atem hält?

    "Nein, das ist kein isländischer Vulkan, sondern ein tibetisches Wort! Nyainqentanglha Mountains, also eine Gebirgskette. Der höchste Berg über 7000 Höhenmeter. Das Ganze liegt so ungefähr drei Autostunden nördlich von Lhasa."

    Christoph Schneider kommt der Zungenbrecher ganz leicht über die Lippen. Kein Wunder, denn der Geographie-Professor von der TH Aachen betreibt seit gut einem Jahr Freilandforschung im Hochland von Tibet. Just im Moment sind Mitglieder seiner Arbeitsgruppe und der Technischen Universität Berlin wieder vor Ort in der Gletscherregion. Ihr Auftrag führt sie in über 5500 Meter Höhe:

    "Wir haben automatische Wetterstationen installiert. Wichtig ist die Temperaturmessung im Eis, das heißt, man braucht ein Eisbohrgerät, um in die oberen Meter des Gletschers bohren zu können, um hier Temperatursensoren zu installieren."

    Das Ganze läuft im Rahmen eines Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in Kooperation mit der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Sie unterhält ein eigenes Institut für Tibetplateau-Forschung im Nyainqentanglha-Gebirge, 4800 Meter über dem Meeresspiegel - dort, wo die Luft schon verflixt dünn ist.

    "Wir haben dann zusammen mit den chinesischen Partnern eine ganze Reihe von sogenannten Ablationsstangen installiert, an denen man die Schnee- und Eisschmelze durch regelmäßiges Ablesen dieser Stangen untersuchen kann. Wir messen die Schneedichte, messen, ob es flüssiges Wasser in der Schneedecke gibt, und solche Dinge. Das ist bei dem geringen Sauerstoffgehalt in 5000 Meter Höhe eine ziemlich anstrengende Angelegenheit. Man muss sich über einige Tage hinweg allmählich an die Höhe anpassen."

    Das Tibet-Hochland grenzt unmittelbar an den Himalaja. Mehrere Zehntausend Gletscher gibt es in der Region. Kürzlich wurde der Klimarat der Vereinten Nationen heftig für einen Fehler in seinem jüngsten Sachstandsbericht kritisiert. An einer Stelle heißt es darin, die Gletscher des Himalaja könnten schon 2035 größtenteils verschwunden sein. Gemeint war eigentlich das Jahr 2350. Ein Schreibfehler, wie man heute weiß. Allerdings, und das betont auch Geograph Schneider: Die Datenlage auf dem Dach der Welt ist heute noch ausgesprochen dünn:

    "Es gibt oberhalb von 4800 Höhenmetern keine einzige langjährig messende Klimastation, während die ganzen vergletscherten Gebiete in der Regel höher liegen als 5000 Meter, das heißt aus der Region, wo das Gletscherschmelzwasser kommt, haben wir eigentlich überhaupt keine langjährigen Messdaten. Was aber wichtig ist, ist, dass wir sowohl für den Himalaja wie für Tibet in der Zukunft mehr darüber lernen, wie die Gletscher genau reagieren."

    Darum auch das DFG-Schwerpunktprogramm und andere internationale Forschungsprojekte in der Region. Vorläufige Ergebnisse haben die deutschen Forscher schon parat. Sie stammen aus der Analyse von Satellitenmessdaten durch Dresdner Fernerkundungsspezialisten. Dieter Scherer, Professor für Klimatologie an der TU Berlin:

    "Wir haben jetzt vier Jahre an Massenbilanz-Daten zur Verfügung. Wir sehen zwei, die waren so, dass der Gletscher im Mittel mehr als einen Meter an Mächtigkeit verloren hat. In einem Jahr hatten wir einen leichten Zuwachs. Und im Sommer 2009 hatten wir in der Größenordnung zweieinhalb Meter Eisverlust."

    Zur Orientierung: Im Mittel sind die Nyainqentanglha-Gletscher rund 50 Meter dick. Ein anderer interessanter Befund: In seinem Kern ist der untersuchte Eisstrom minus vier bis fünf Grad Celsius kalt. Die Lufttemperaturen liegen aber bei minus acht Grad.

    "Diese höheren Temperaturen kommen mit größter Wahrscheinlichkeit dadurch zustande, dass im Sommer das Schmelzwasser, was sich an der Gletscheroberfläche bildet, in den Schnee eindringt, auf den Gletscher trifft, auf das kalte Eis, dort wiedergefriert, und beim Wiedergefrieren dann Wärme abgibt. Eben nicht alles, was schmilzt, fließt ab, sondern ein nicht unerheblicher, aber derzeit noch unbekannter Teil bleibt auf den Gletschern."

    Die genaue Bilanz wollen die Forscher im Rahmen ihres Projektes ermitteln. Und auch, was die beobachteten Eisverluste verursacht. Es muss nicht allein die Zunahme der Lufttemperaturen sein. Auch Veränderungen der Bewölkung und des Niederschlags könnten eine Rolle spielen, so Christoph Schneider:

    "Da sind noch sehr viele offene Fragen. Mit der Erkenntnis, die Gletscher werden kleiner, können wir uns mit Sicherheit nicht zufriedengeben."