Freitag, 29. März 2024

Archiv

Deutschkenntnisse an Grundschulen
"Durch Separation kann keine Integration stattfinden"

Wenn Grundschullehrer in ihrer Klasse Kinder ohne Deutschkenntnisse hätten, sei das unbenommen eine Herausforderung, sagte die Vorsitzende des Grundschulverbandes Maresi Lassek im Dlf. Allerdings bräuchten diese Kinder Sprachvorbilder und die Möglichkeit, Deutsch im Umgang miteinander zu lernen.

Maresi Lassek im Gespräch mit Christiane Kaess | 06.08.2019
13.05.2019, Baden-Württemberg, Remshalden: Schüler melden sich im Unterricht. Foto: Sebastian Gollnow/dpa | Verwendung weltweit
"Kinder erlernen Sprache und Kommunikation im Miteinanderumgehen", sagte die Vorsitzende des Grundschulverbandes Maresi Lassek im Dlf (picture alliance / dpa / Sebastia Gollnow )
Christiane Kaess: Kinder, die kein Deutsch sprechen, nicht zur Grundschule zuzulassen – mit diesem Vorstoß hat der CDU-Politiker Carsten Linnemann viel Empörung ausgelöst und eine Diskussion über die Sprachförderung von Kindern im Vorschulalter. Ich kann darüber jetzt sprechen mit Maresi Lassek, sie ist Vorsitzende des Grundschulverbandes und sie hat mehr als 20 Jahre eine Grundschule in Bremen geleitet. Guten Tag, Frau Lassek!
Maresi Lassek: Guten Tag, Frau Kaess!
Kaess: Carsten Linnemann sagt ja, ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen. Geben Sie ihm recht?
Lassek: Nein, ich gebe ihm überhaupt nicht recht. Kinder, die schulaltrig sind, müssen in die Schule. In der Schule treffen sie auf die Gemeinschaft mit vielen anderen Kindern und erwerben das, was wir sowohl bildungspolitisch als auch gesellschaftlich brauchen – sie erwerben Sprachkompetenzen, aber auch soziale Kompetenzen im Miteinanderumgehen.
"Das einzige Sprachvorbild ist dann die Lehrkraft"
Kaess: Der Linnemann-Vorschlag geht ja ein bisschen darüber hinaus: Carsten Linnemann spricht ja auch von einer Vorschulpflicht für die betroffenen Kinder, notfalls die Einschulung zurückzustellen, also es geht nicht darum, diese Kinder gar nicht zu beschulen. Ist es denn nicht tatsächlich besser, wenn ein Kind mit Deutschkenntnissen in die Grundschule kommt?
Lassek: Es kommt dann nicht mit gleichaltrigen Kindern zusammen. Und Sie müssen einfach sich vorstellen, dass Kinder, die in eine Vorklasse kommen, in der nur Kinder sind, die nicht genügend Deutsch sprechen nach Ansprüchen, die irgendwie festgestellt werden, dann haben Sie keine Sprachvorbilder. Das einzige Sprachvorbild ist dann die Lehrkraft, und das reicht bei weitem nicht aus. Kinder erlernen Sprache und Kommunikation im Miteinanderumgehen und in der Situation, wo ihnen möglichst viel Sprache – deutsche Sprache – geboten wird.
Kaess: Und was bedeutet es auf der anderen Seite für Grundschullehrer, wenn sie eines oder mehrere Kinder ohne Deutschkenntnisse in der Klasse haben?
Lassek: Das ist unbenommen eine Herausforderung, und da Maßnahmen zu fordern, ist auch richtig. Es gibt eine ganze Reihe von Grundschulen in Deutschland, die für diese Situation hervorragende Programme schon entwickelt haben und Schulkonzepte haben. Davon kann man lernen, aber was es natürlich braucht, sind zusätzliche Pädagoginnen und Pädagogen, Helferinnen, Helfer, die bei der Sprachintegration dabei sind, die Kindern zusätzliche Sprachanlässe schaffen. Das kostet Geld, und die Forderung muss umgesetzt werden, damit die Situation für die Grundschulen, für die Grundschullehrkräfte erfolgreicher werden kann.
Kaess: Sie sagen, es gibt zu wenig Lehrer dafür?
Lassek: Ja, die gibt es eindeutig. Wir wissen auch, dass Schulen sehr unterschiedlich viele Kinder mit Zweitsprache Deutsch haben. Da muss gezielt geschaut werden –standortbezogen –, welche Ressourcen brauchen diese Schulen, welche Ausstattung, um die Herausforderung für die Kinder meistern zu können und Kinder wirklich individuell auch in ihrer Sprachentwicklung zu unterstützen.
"Unterschiedliche Bedarfe für Sprachförderung"
Kaess: Frau Lassek, jetzt ist dieses Phänomen ja überhaupt nicht neu. Warum gibt es immer noch diesen Mangel an Ressourcen?
Lassek: Es gibt die bekannte Fehlplanung in den Bundesländern, bezogen auf den Schülerzuwachs, der seit 2012 virulent ist. Die Kultusministerien beziehungsweise die Länder haben offensichtlich zu spät reagiert mit der Einstellung von Lehrkräften. Dieser Mangel, der Schülerberg und der Lehrermangel ist jetzt am größten in der Grundschule, und das trifft zusammen eben mit der Situation, wie gehen wir mit Kindern nicht-deutscher Herkunftssprache um.
Kaess: Also, da hat die Politik etwas versäumt, sagen Sie. Was haben denn die Grundschulen selber versäumt? Sie haben nur von einer Reihe von Grundschulen gesprochen, die da entsprechende Maßnahmen und Konzepte umgesetzt haben.
Lassek: Grundschulen sind an der Stelle unterschiedlich gefordert, ich sagte das vorhin, Sie haben je nach Standort unterschiedliche Bedarfe für Sprachförderung. Das ist das eine, und mir ist bekannt, dass gerade Schulen in Ballungszentren, die seit vielen Jahren mit Kindern nicht-deutscher Herkunftssprache Unterricht machen, sehr gute Konzepte entwickelt haben. Das ist standortbezogen sehr durchgängig, kann man sagen, der Fall. Aber ich kann nicht behaupten, dass es in allen Schulen als Herausforderung wirklich angekommen ist. Das mag an der Ausstattung liegen, das kann ich weniger gut beurteilen, aber ich denke, dass wir dahin kommen müssen.
Kaess: Das hat natürlich auch zu einer Entwicklung geführt, auf die Carsten Linnemann ja auch verweist, dass es in manchen deutschen Stadtteilen Schulen gibt, bei denen überhaupt nur noch wenige Kinder Deutsch sprechen, weil die Folge ist, dass immer mehr Eltern ohne Migrationshintergrund ihre Kinder dann auf andere Schulen schicken oder auf Privatschulen. Wenn man jetzt eben Deutschkenntnisse zur Bedingung für Grundschulen machen würde, so wie Herr Linnemann das fordert, wäre dann dieser Teufelskreis nicht auch unterbrochen?
Lassek: Der wäre nicht unterbrochen mit dem Problem, dass eben durch Separation nicht Integration stattfinden kann und das Verfahren keine richtige Deutschfördermaßnahme sein würde. Es ist ein städtebauliches Phänomen, dass sich bestimmte Gruppierungen in bestimmten Stadtteilen zusammenfinden. Da hilft nur eine hervorragende Ausstattung der Schulen, die viele Kinder mit Migrationshintergrund haben, sodass – und das ist auch die Erfahrung – Eltern, die sehr bildungsnah sind, Anreize bekommen, genau an diese Schule auch ihr Kind zu geben, weil dort ein individualisierter, förderlicher Unterricht auch für ihr Kind stattfinden kann.
"In ihrem Rucksack haben diese Kinder zwei Sprachen"
Kaess: Sie haben schon gesagt, es ist für einen Grundschullehrer auch eine Herausforderung, Kinder in der Klasse zu haben, die keine Deutschkenntnisse haben oder schlechte Deutschkenntnisse. Offenbar nehmen das manche Eltern als Behinderung anderer Kinder wahr.
Lassek: Das ist sehr bedauerlich, weil wir immerhin zur Kenntnis nehmen müssen, dass diese Kinder, die zu uns kommen, die Ressource von zwei Sprachen haben. Sie gehen praktisch in ihre schulische Entwicklung – in die Alphabetisierung – in ihrer Fremdsprache. Das ist eine hohe Herausforderung, die in der Regel länger braucht als für nur deutschsprachige Kinder. Aber in ihrem Rucksack haben diese Kinder zwei Sprachen, mit denen sie später in unserer Gesellschaft auch sehr hilfreich sein können.
Kaess: Jetzt haben wir schon in dem Beitrag einen anderen Aspekt, auf den in dieser Diskussion hingewiesen wird, gehört, nämlich, dass der Bund seine Mittel zur Integration massiv zurückgefahren hat, weil weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Merken die Grundschulen auch diese Auswirkungen?
Lassek: Das habe ich noch nicht wahrgenommen, dass die Grundschulen diese Auswirkungen merken. Man muss nur realistischerweise auch sehen, mit Migration haben wir nicht erst seit der Flüchtlingszuwanderung zu tun, sondern schon seit vielen, vielen Jahren. Und meine Erfahrung ist, dass die Grundschulen sich schon sehr früh und intensiv auf diese Situation eingestellt haben, also auf die Situation, Deutsch als Zweitsprache vermitteln zu können und zu müssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.