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Deutschland erschwert Familiennachzug

Eigentlich sollte dieses Gesetz Zwangsehen verhindern. Vor vier Jahren hat die große Koalition im Bundestag den Zuzug von Ehepartner aus Nicht-EU-Ländern durch allerlei Hürden erschwert, zum Bespiel durch einen Sprachtest. Doch das Gesetz verhindert auch gewollte Ehen, wie das folgende Beispiel zeigt.

Von Jens Rosbach | 20.10.2011
    Frühjahr 2010: Die Berliner Sängerin Heike Gentsch, 43 Jahre alt und Buddhistin, pilgert durch Indien. Eines Tages verläuft sie sich in Delhi.

    "Ich war irgendwo einfach verzweifelt. An mir hingen da an der einen Seite tausend Bettler oder fünf oder zwanzig, an der anderen Seite mehrere Kinder, mehrere Händler, mehrere Rikschafahrer – und ich dachte, ich … jetzt … Weltuntergang. Und dann habe ich gebetet. Und habe gesagt, ich bitte um einen Engel, der mir sagt, wo es hier lang geht (lacht). Und dann stand da mein danach folgender Partner vor mir."

    Vor der Touristin steht ein durchtrainierter, etwa 30-jähriger Inder in T-Shirt und Jackett. Die beiden verlieben sich sofort. Kurz darauf fliegt die Berlinerin erneut zum Subkontinent, dann lädt sie ihren Freund nach Deutschland ein. Doch der bekommt kein Visum - ohne Begründung.

    "Es war ein Schock. Bin total in Tränen ausgebrochen und mein Freund war auch vollkommen außer sich und es war ganz schwer."

    So fliegt Sängerin Gentsch, die auch als Musik-Pädagogin und Therapeutin arbeitet, wiederum zu ihrem Freund. Sie heiraten vor Ort. Doch der indische Ehepartner darf noch immer nicht nach Deutschland reisen – erst einmal muss er den vorgeschriebenen Sprachtest bestehen.

    "Ich habe 250 Euro für die Schule bezahlt, für den einen Monat der Ausbildung in Deutsch. Das ist für die ein komplettes Monatseinkommen. Also das heißt auch, ich bin gezwungen, das alles zu zahlen."

    Weiteres Problem: Der Ehepartner scheitert an der Sprachprüfung. Zweieinhalb Monate später wiederholt er den Test - diesmal erfolgreich. Die nächste Hürde: ein langwieriges Ehegattennachzugs-Verfahren. Seit mehr als eineinhalb Jahren darf der Inder nicht in das Heimatland seiner Frau reisen bzw. zu ihr ziehen.

    "Es kann Beziehungen zerstören – und ich merke das auch. Weil diese dauernde Warterei, dieses dauernde Getrenntsein – das finde ich ne Zumutung."

    Die Hürden für Ehepartner aus Nicht-EU-Ländern, vor allem der vorgeschriebene Sprachtest, stoßen auf breite Kritik: beim Verband binationaler Familien und Partnerschaften, bei Rechtsexperten – und bei Politikern wie Memet Kilic, dem integrationspolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion.

    "Sprachfähigkeit ist sicherlich sehr wichtig für die Integration, aber dies zu einer Voraussetzung zur Familienzusammenführung zu machen, widerspricht Artikel 6 des Grundgesetzes, Schutz der Familie, und Artikel 8 der europäischen Konvention für Menschenrechte – so sieht es mit einem Rechtsstaat aus."

    Kilic, der als Rechtsanwalt arbeitet und einst den Bundesausländerbeirat mitgegründet hat, hält den Sprachtest für diskriminierend. Denn bestimmte Zuwanderer sind von der vorgeschalteten Deutschprüfung befreit - nämlich Zuwanderer aus Ländern, für die eine generelle Visafreiheit gilt. So dürfen etwa Ehepartner aus den USA, aus Israel, Japan oder Südkorea ohne Sprachzertifikat einreisen – und müssen erst später einfache Deutschkenntnisse vorweisen. Dies ist auch ohne Test möglich.

    "Aus meiner Sicht ist es eine Doppelmoral: Die Bundesregierung will lediglich den Zuzug von Ehegatten aus ärmeren Regionen – und aus bestimmten Ländern, die der Regierung unangenehm sind, verhindern."

    Die Bundesregierung begründet die Visafreiheit für privilegierte Staaten mit besonderen wirtschaftlichen oder politischen Beziehungen. Ole Schröder, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, macht auch keinen Hehl daraus, dass die Vorab-Sprachprüfung durchaus auf bestimmte Länder abzielt – etwa auf Länder, in denen es noch Zwangsehen gibt - wie die Türkei. Der CDU-Politiker kann zwar keine genauen Zahlen vorlegen, sagt aber, der Deutschtest habe sich in dieser Hinsicht als Barriere bewährt.

    "Wir haben Fälle, dass Frauen bewusst durch den Sprachtest durchfallen, weil sie sagen, das ist die einzige Möglichkeit, um nicht nach Deutschland zu müssen, um nicht zwangsverheiratet zu werden – auch solche Fälle gibt es."

    Verhindert der Sprachtest auch das Zusammenkommen von echten Liebespaaren? Nach Angaben der Bundesregierung bestehen - über alle Nationen hinweg - rund 64 Prozent der Auslands-Ehepartner die Deutschprüfung. So jedenfalls eine Statistik für das Jahr 2009. Oppositionspolitiker bemängeln allerdings, dass nicht erfasst wird, wie oft jemand eine Prüfung absolvieren musste bzw. ob der Test von vornherein Betroffene abschreckt. Die Kritiker argumentieren aber vor allem juristisch: Nach ihrer Ansicht verstößt die Deutschprüfung nämlich gegen zwei spezielle Europa-Vorschriften: gegen die EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie sowie gegen das sogenannte Assoziationsabkommen der EU mit der Türkei. Beim Europäischen Gerichtshof waren und sind deswegen mehrere Klagen anhängig. In einem niederländischen Verfahren hat die EU-Kommission jedoch klargestellt, dass ein Sprachtest den Ehegattennachzug nicht verhindern darf. Innen-Staatssekretär Schröder hält dieses Votum aber für nicht relevant.

    "Die Kommission hat in keiner Weise zum deutschen Recht diesbezüglich Stellung genommen. Der niederländische Fall ist unabhängig vom deutschen zu sehen."

    In anderen Fällen wurde die Bundesregierung allerdings von Brüssel zum Handeln gezwungen – durch ein EU-Vertragsverletzungsverfahren. So muss die schwarz-gelbe Koalition jetzt die Freizügigkeitsregeln für homosexuelle Lebenspartner aus dem Ausland verbessern. Die Regierung sieht darin aber keinen Punktsieg für die EU-Kommission.

    "Die Kommission hat das von uns verlangt und wir tun das jetzt. Insofern ist das ein völlig normaler Vorgang."

    Auch im Bundestag gibt es Druck auf die Regierung: So will die Linkspartei, die sich in dieser Frage stark engagiert, den Sprachtest abschaffen. Die Grünen plädieren ebenfalls dafür. Und auch die SPD-Fraktion berät derzeit über einen solchen Gesetzesentwurf. Eine Bundestags-Mehrheit ist jedoch nicht in Sicht. Viele Betroffene, wie Heike Gentsch, müssen weiter auf ihre Ehepartner warten.

    "Ich bin verheiratet, bin ganz klar gebunden an einen Menschen, das habe ich ganz bewusst entschieden – und lebe doch seit dieser ganzen Zeit hier komplett allein!"