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"Deutschland muss sich jetzt einbringen"

Wolfgang Gerhard will das transatlantische Verhältnis Deutschlands mit den USA "revitalisiert" sehen. Unser Land habe auch ein Interesse an Vermittlung im Atomstreit mit dem Iran - klare Aufgaben also für einen künftigen Außenminister.

06.10.2009
    Bettina Klein: Auch in Deutschland ist die Frage nach dem Afghanistan-Einsatz im Umfeld der Bundestagswahlen auf die Tagesordnung zurückgekehrt. Nach Deutschlandfunk-Informationen soll das deutsche Kontingent dort von 4500 auf 7000 Soldaten aufgestockt werden. All dies wird natürlich auch Gegenstand der Koalitionsverhandlungen sein, bei denen Fragen nach der Außenpolitik im Moment nicht so ganz im Vordergrund stehen. Umso wichtiger, auch mal über die künftigen Leitlinien in diesem Themenfeld zu sprechen. Das möchte ich jetzt tun mit dem FDP-Außenpolitiker Wolfgang Gerhardt, er ist zugleich Vorsitzender der parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Guten Morgen, Herr Gerhardt!

    Wolfgang Gerhardt: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Beginnen wir mit Afghanistan. Kommt die Truppenaufstockung, nach dem, was Sie wissen?

    Gerhardt: Nach dem, was ich weiß, habe ich keine Informationen über eine solche Dimension von Truppenaufstockung. Das sollte auch nicht im Vordergrund stehen. Im Vordergrund sollte stehen eine verstärkte Anstrengung in einer Mixtur zwischen militärischem Einsatz und zivilem Aufbau, denn die Taliban werden nicht in einer Form militärisch besiegt werden können, wie sich das manche vorstellen. Wir müssen ihnen die Chance in der Bevölkerung abgraben, und das geht nur über deutliche Zeichen im zivilen Aufbau.

    Klein: Ja, Sie sagen, die Truppenaufstockung steht nicht im Vordergrund, würden Sie denn einer künftigen Bundesregierung davon abraten?

    Gerhardt: Wir sind immer zurückhaltend gewesen als FDP, wir haben dem Mandat zugestimmt, wir glauben aber nicht, dass der Gewinn auf der militärischen Seite liegen kann.

    Klein: Sehen Sie denn da Einigkeits- oder Konfliktpotenzial bei den künftigen Koalitionspartnern?

    Gerhardt: Ich sehe in der Außenpolitik natürlich auch Differenzen, aber nicht vergleichbares Konfliktpotenzial, wie es in anderen Bereichen zu verhandeln gibt. Es gibt große Leitlinien deutscher Außenpolitik, die waren für jede Koalition, gleich welcher Zusammensetzung, doch sehr maßgeblich.

    Klein: Und das gilt auch für Afghanistan, das heißt, da werden, was Truppenaufstockung ja oder nein angeht, sich keine Differenzen mehr erkennen lassen, oder?

    Gerhardt: Ich bin nicht mit der Forderung der Union konfrontiert und auch nicht mit der Forderung des Verteidigungsministeriums. In den gegenwärtigen Verhandlungen stand, eine Truppenaufstockung zu erreichen.

    Klein: Herr Gerhardt, Fragen nach der Außenpolitik stehen im Augenblick nicht wirklich im Vordergrund. Sie leiten eine Stiftung, die jener Partei nahesteht, welche den künftigen Außenminister stellen will. Sie haben gerade gesagt, es gibt immer Kontinuitäten in der deutschen Außenpolitik. Darf alles so bleiben, wie es ist, oder wird es auch Veränderungen geben müssen?

    Gerhardt: Ich glaube, dass das transatlantische Verhältnis auf gutem Weg ist, es muss aber klar revitalisiert werden. Wir kennen jetzt viele Erklärungen des amerikanischen Präsidenten, die NATO arbeitet eigentlich an einem neuen Papier, das ihr Selbstverständnis formulieren soll. Deutschland müsste daran teilhaben. Ich kenne bisher zu wenig Aktivitäten der jetzt aus dem Amt scheidenden Bundesregierung in Abrüstungsfragen und in vielen anderen auf der Forderungsliste der internationalen Gemeinschaft versehenen Themen. Wir müssten aktiver werden, Deutschland muss sich jetzt einbringen.

    Klein: Inwiefern kann es sich denn einbringen, mit welchen Vorschlägen würden Sie da zum Beispiel einem künftigen möglichen FDP-Außenminister auf den Weg geben wollen?

    Gerhardt: Wir haben große Erklärungen des amerikanischen Präsidenten in Richtung auf Abrüstung. Wir würden es uns wünschen, wenn die wirklich realisiert werden können. Es muss noch operationell gestaltet werden, aber Deutschland sollte dazu Vorschläge machen. Wir haben vor uns – und da ist ja Deutschland mit beteiligt – das große, bedrohliche Thema Iran mit der Urananreicherung. Es deutet sich jetzt zum ersten Mal an durch Verhandlungen mit El Baradei, dass wir dort weiterkommen könnten. Da muss Deutschland sehr engagiert daran interessiert sein. Das gilt auch, weil wir ein vertretbar gutes Verhältnis zu Russland haben, mit einem Blick nach Moskau. Denn Russland kann etwa im Falle Iran nicht nur zeigen, was nicht geht, es muss auch jetzt zeigen, was mit ihm erreicht werden kann. Und Russland und China sind in dem Fall ganz entscheidend. Wir müssen auch eine europäische Stimme hörbar machen in diesen transatlantischen Fragen. Es geht nicht nur um eine Verantwortung von Deutschland. Das ist bisher zu wenig.

    Klein: Wenn wir bei einem Blick auf den Iran bleiben, wenn Sie sagen, Deutschland muss sich mehr engagieren, wir müssen eine stärkere europäische Stimme auch haben, was heißt denn das konkret, Herr Gerhardt?

    Gerhardt: Das heißt konkret, dass wir Europäer aus unserer Geschichte, aus unserer Tradition natürlich eher sagen, wir müssen alles versuchen, um zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Ein amerikanischer Präsident wird sich immer alle Optionen offenhalten, das kennen wir auch aus den Äußerungen des neuen amerikanischen Präsidenten. Aber Europa muss eine Diplomatie zustande bringen, die Iran von dem Weg in die atomare Rüstung abhält. Es gibt kleine Zeichen in letzter Zeit. Die Verhandlungen, die El Baradei geführt hat, werden noch zeigen müssen, ob Iran jetzt kooperiert oder nur auf Zeitgewinn spielt. Aber ich hoffe, dass es kooperieren will, denn es ist ganz erstaunlich, dass die Regierung auch gegen innenpolitischen Widerstand jetzt dort ja erklären muss, dass sie die Anreicherung über das Ausland machen kann, dass es ein Gespräch mit Amerika gegeben hat. Das stößt nicht nur auf Zustimmung im Iran, es zeigt, dass die Regierung weiß, was auf dem Spiel steht.

    Klein: Wir haben Meldungen im Umfeld des Wochenendes gehabt, die ein wenig widersprüchlich klangen. Einerseits lässt der Iran Atominspekteure ins Land hinein, die auch diese zweite Urananreicherungsanlage besichtigen dürfen. Andererseits wurde offensichtlich ein Bericht veröffentlicht, wonach der Iran bereits jetzt in der Lage sei, eine Atombombe zu bauen. Was ist für Sie denn die entscheidende Nachricht gewesen?

    Gerhardt: Ich habe beide Nachrichten auch zur Kenntnis genommen. Die entscheidende Nachricht ist nicht die Fähigkeit, ob man eine bauen kann, sondern ob man im Grunde genommen in internationaler Verantwortung davon auch wieder Abstand nimmt. Iran braucht Brennelemente für seinen Forschungsreaktor, die sind ganz wichtig für seine medizinische Versorgung auch. Iran muss einen Weg gehen, der der internationalen Völkergemeinschaft zeigt, dass seine Aussagen, es wolle nichts militärisch nutzen, auch sich bewahrheiten. Das ist der Punkt, der jetzt in den nächsten Wochen ansteht. Und es wäre äußerst hilfreich, wenn unsere Außenpolitik und die europäische die Kunstfertigkeit hinbrächte, Russland und China permanent an Bord zu halten. Denn mein Eindruck ist, dass die beiden, wenn sie Richtung Teheran ihren Willen klar erklären, dass es so mit Geheimhaltung und Verdeckung nicht weiterlaufen kann, durchaus eine Wirkung erzielen können.

    Klein: Der FDP-Außenpolitiker Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung. Ich bedanke ich für das Gespräch, Herr Gerhardt!

    Gerhardt: Danke Ihnen, Frau Klein!