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Deutschland und der Syrien-Konflikt
"Nichts tun ist auch kein Plan"

Die europapolitische Sprecherin der Grünen, Franziska Brantner, hat im Syrien-Konflikt mehr Engagement von Deutschland gefordert. Seit Beginn des Konflikts habe sich Deutschland de facto in Schweigen gehüllt, sagte sie im Dlf. "Es geht jetzt ums politische Handeln, und da erwarte ich mir mehr von dieser Bundesregierung."

Franziska Brantner im Gespräch mit Jasper Barenberg | 16.04.2018
    Franziska Brantner sitzt seit 2013 für die Grünen im Bundestag, davor war sie Mitglied des Europäischen Parlaments
    Franziska Brantner sitzt seit 2013 für die Grünen im Bundestag, davor war sie Mitglied des Europäischen Parlaments (imago)
    Jasper Barenberg: Drohungen und Diplomatie – auf dieses Rezept will der Westen nach den Raketenangriffen auf Syrien offenbar setzen. Sollte Assad noch einmal Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzen, halten die USA und auch Frankreich ihre Waffen geladen, bekunden sie. Zugleich wird das Regime aufgefordert, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Frankreich will eine diplomatische Initiative starten, Berlin unterstützt das. – Am Telefon ist Franziska Brantner, die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Schönen guten Morgen, Frau Brantner.
    Franziska Brantner: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: War die militärische Vergeltung für den Einsatz von C-Waffen im Syrien-Krieg unausweichlich und legitim?
    Brantner: Wissen Sie, wenn Sie fragen, was legitim ist und was in dieser Region unausweichlich ist, dann müssen wir ganz woanders ansetzen. Dann müssen wir sagen, es ist unerträglich, dass wir im siebten Jahr dieses Krieges sind, dass wir Belagerungen und Aushungerung von Städten haben, dass wir bunkerbrechende Bomben auf Schulen haben, Giftgaseinsatz trotz UN-Resolutionen, die das unterbinden, Leute und auch Luftschläge ohne Plan und ohne Strategie. Aber auch nichts tun ist kein Plan. Von daher gibt es in Syrien gerade sehr viel zu verurteilen und vieles, was nicht legitim ist, was nicht mit dem Völkerrecht zu vereinbaren ist.
    USA: Kein Plan und keine Strategie
    Barenberg: Hätten Sie, wären Sie in der Position gewesen, diesen Einsatz befohlen?
    Brantner: Ich hätte, glaube ich, erst mal abgewartet, bis die OPCW, die Internationale Organisation, die Giftgaseinsätze überprüft, auch dort gewesen wäre. Man hätte erst mal eine größere Allianz formen müssen, noch mehr versuchen müssen, im Rahmen der Vereinten Nationen zu versuchen, im Rahmen der Vollversammlung. Aber klar ist, dass man vor allen Dingen erst agieren kann, wenn man auch einen Plan für danach hat, wenn man wirklich weiß, was man danach tun will. So wie Trump das macht, vor zehn Tagen sagen, wir ziehen alle Soldaten ab, dann zehn Tage später Bomben, danach sagen, wir ziehen doch wieder alle ab, das hat einfach keinen Plan und keine Strategie, und ich glaube, da muss man dann wirklich sehr kritisch sein und sagen, was das bringt, ob das das Morden endlich beendet, da muss man doch sehr große Zweifel haben.
    Barenberg: Die Vereinten Nationen haben in ihrem Bericht ja festgehalten, dass von 33 Giftgasangriffen in den letzten Jahren 27 auf das Konto von Assad gehen. Ist das kein Grund, um einen solchen Militärschlag zu rechtfertigen?
    Brantner: Es ist ein Grund, endlich diesen grausamen Krieg zu beenden, und es ist vor allen Dingen ein Grund, auch zu verhindern, dass jetzt aus der Region Idlib das dritte Aleppo wird, dass wir, nachdem wir gesagt haben, Aleppo darf nicht passieren, zugesehen haben, wie Ost-Ghouta plattgemacht wurde und jetzt wahrscheinlich Millionen von Menschen aus ganz Syrien in Idlib sind, wahrscheinlich die nächsten sind, die Opfer sein werden von Assads grausamem Terror, und jetzt wirklich gilt es, alle Kraft und alle Macht darauf zu setzen, endlich einen diplomatischen Prozess auf den Weg zu bringen, einen politischen Prozess voranzubringen, humanitäre Hilfe zu liefern. Ich glaube, das ist jetzt das Gebot der Stunde. Ich finde es auch seltsam, dass auch Trump jetzt so tut, als ob es okay wäre, wenn bunkerbrechende Bomben eingesetzt werden, als ob es nur um das Giftgas ginge. Es geht um diesen grausamen Krieg und der muss beendet werden, und Giftgas ist eines der grausamen Teile dieses Krieges. Aber dafür braucht es jetzt endlich mehr Initiativen, und wenn es dazu führt, dass wir jetzt endlich diesen politischen Prozess auf einen Weg bringen, dann wären wir hoffentlich einen Schritt weiter, aber man sieht das bei Trump und Co. nicht.
    "Deutschland hat sich de facto immer in Schweigen gehüllt"
    Barenberg: Über den politischen Prozess möchte ich gleich noch mit Ihnen sprechen. Aber vielleicht doch noch mal zurück zu diesem Militärschlag, denn es ist ja schon auffällig, dass es Ihnen sehr schwerfällt zu sagen, dass der richtig und legitim war, aber Sie ihn auch nicht grundsätzlich verurteilen. Warum tun Sie sich da mit der eigenen Position so schwer?
    Brantner: Weil ich diesen Krieg seit sieben Jahren verfolge und mich frage, was alles an Verurteilswertem in diesem Land passiert ist, und dass nie der Westen was getan hat, dass wir nicht wirklich alle Kraft da reingesetzt haben, dass sich Deutschland de facto in Schweigen immer gehüllt hat, dass Europa inaktiv war, keine Rolle gespielt hat, und dass wir auf einmal jetzt einen Trump haben, der erratisch auf einmal interveniert, und ich es nicht gutheißen kann, dass er ohne Plan und ohne Maß interveniert, andererseits es aber auch klar sein muss, dass Giftgaseinsatz Folgen hat, dass das Morden seiner eigenen Bevölkerung Konsequenzen hat und dass das nicht einfach nur Schwarz und Weiß ist. Deswegen brauchen wir, wenn das jetzt schon passiert ist, wenigstens ein konsequentes Handeln Europas. Europa muss die Stimme jetzt der Vernunft sein, die zwischen Putin, Trump, Erdogan jetzt sagt, wir können dieses Morden nicht weiter zulassen, wir machen alles, was nötig ist, um alle relevanten der Region an einen Tisch zu bringen, wir ringen es diesen Akteuren ab, wir setzen alles politische Kapital da rein. Das ist, glaube ich, etwas, worauf es jetzt ankommt, und das bringt nichts, jetzt noch stundenlang juristische Debatten zu führen. Das ist bestimmt notwendig, aber eigentlich geht es jetzt ums politische Handeln, und da erwarte ich mir mehr von dieser Bundesregierung. Nichts tun ist auch kein Plan, genauso wenig wie Bombardieren, einmal Bomben draufwerfen und dann sagen, Mission accomplished. Das ist auch kein Plan. Aber nichts tun eben auch nicht!
    Barenberg: Die Stimme der Vernunft hat Syriens Präsident Assad ja in den vergangenen Jahren ebenso ignoriert, wie es Wladimir Putin in Moskau im Kreml tut. Warum sollte sich daran jetzt irgendetwas ändern?
    Brantner: Wissen Sie, ich glaube, wir in Europa haben mittlerweile auch verstanden, dass es Putin stark darum geht zu zeigen, dass er Macht hat und dass er auch in der Region Macht hat. Aber eigentlich müssten wir ihm klarmachen, dass wenn er Macht beweisen will, dann kann er das nur tun, indem er den Frieden in Syrien auf den Weg bringt. Bomben kann er werfen, kann auch Trump werfen, aber eigentlich würde Macht bedeuten, dass man da einen friedlichen Prozess einleitet. Das muss die Erwartung auch an Russland jetzt sein. Wenn Du willst, dass wir Dich ernst nehmen, dann zeige uns, dass Du echte Macht hast über Assad, dass wir den Friedensprozess einleiten können, der schwierig sein wird, aber der, wenn alle Seiten sich dazu verpflichten, möglich ist. Natürlich bedeutet das auch, dass die Individuen, die dafür verantwortlich sind, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit wirklich getan wurden, dass diese Individuen eigene Sanktionen brauchen, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das ist genauso notwendig. Aber ich glaube, wenn Europa, wenn auch die regionalen Akteure bereit sind, da ihre Macht reinzutun, um jetzt einen Weg aus diesem Konflikt zu finden, dass das möglich ist. Leider war das in den letzten Jahren nicht der Fall. Es war immer der Fokus auf den Flüchtlingen, auch bei uns, und nicht auf dem Konflikt selber.
    "Es wird nur noch schlimmer, wenn Europa sich nicht engagiert"
    Barenberg: Welche Möglichkeiten sehen Sie denn zum Beispiel auf Seiten der Europäischen Union, sich da als politischer Vermittler und Förderer einer politischen Lösung stärker ins Spiel zu bringen?
    Brantner: Es gibt ja Formate. Wir hatten in der Vergangenheit Oslo zum Beispiel als ein Format. Es gibt mehrere Erfahrungen, wo auch einzelne Mitgliedsländer der Europäischen Union erst mal informelle Friedensgespräche angefangen haben, dass man jeweils seine Netzwerke nutzt und gemeinsam an einem Strang zieht, dass man natürlich auch mit Sanktionen droht, dass man Macht mit einsetzt, dass man andererseits aber auch klar anbietet, wir erkennen auch die Rolle aller Akteure an und sind bereit, wirklich einen Weg zu finden, wo klar ist, am Ende wird das nicht das gesamte Assad-Regime wegfegen, aber vielleicht ihn als Person. Man wird einen politischen Transformationsprozess brauchen, und das ist ja jetzt die Herausforderung zu sagen, wir werden da kluge Wege finden und auch nicht wieder übermorgen nachlassen und nicht wieder in vier Tagen schon wieder Syrien vergessen haben, sondern da auch jetzt hart dran bleiben. Mein Eindruck ist, dass in den letzten Jahren man einfach immer wieder gehofft hat, der Konflikt geht irgendwie weg, und es wäre schlimmer, wenn man etwas tut. Es hat sich über die letzten Jahre immer erwiesen, es wird einfach immer nur noch schlimmer, wenn Europa sich nicht engagiert.
    Barenberg: Außenminister Heiko Maas wird demnächst nach Moskau reisen. Ist es vor allem Deutschlands Rolle und Möglichkeit, Russland stärker in die Pflicht zu nehmen in diesem Prozess?
    Brantner: Ich glaube, dass Deutschland einiges auch noch an Druckmitteln hat. Erinnern wir an Northstream II, erinnern wir an andere Möglichkeiten, auch wirklich Russland noch mal in die Pflicht zu nehmen. Wenn es Deutschland ernst ist, diesen Prozess wirklich auf den Weg zu bringen, dann müssen wir alles bereit sein, in die Waagschale dafür zu werfen. Das erwarte ich jetzt auch von dieser Regierung. Dann kann man aber nicht mehr nette Worte für den Friedensprozess finden, aber andererseits auch nicht hart und klar sagen, sondern dann muss man eine Linie haben, alles in die Waagschale werfen. Wenn Europa diese Rolle haben will, dann geht das nur mit Deutschland, aber auch nur mit den anderen Akteuren. Deutschland alleine wird das nicht können, sondern das muss Europa gemeinsam mit einer Stimme machen. Wenn die Europäer das schaffen würden, dann, glaube ich, können sie auch unter Beweis stellen, dass sie nicht einfach nur Spielball sind der Weltmächte, Amerikas und Russlands, sondern selber ihre Zukunft gestalten, unsere Region mit in den Blick nehmen. Aber ja, dafür braucht es klares deutsches Handeln, mehr Mut und mehr Eindeutigkeit und keinen Koalitionsstreit.
    Barenberg: Franziska Brantner, die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Danke für das Gespräch.
    Brantner: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.