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Deutschlands koloniale Geschichte
Debatte um Gedenkstätte für Kolonialverbrechen

Deutschlands koloniale Geschichte soll intensiver aufgearbeitet werden - das fordern zumindest die Grünen. Dazu soll auch eine Erinnerungsstätte im Zentrum Berlins beitragen. Der Zeitpunkt ist geschickt gewählt - denn seit einiger Zeit wird auch über den Umgang mit kolonialer Raubkunst debattiert.

Von Mathias von Lieben | 13.02.2019
    Return of stolen remains of Herero and Nama, Berlin DEU, Deutschland, Germany, Berlin, 29.08.2018 Schaedel in Vitrinen anlaesslich der Rueckgabe von Totenschaedel und Gebeinen nach Namibia waehrend deines Gedenkgottesdienstes der EKD und der namibischen Partnerkirchen und Zeremonie in der Franzoesischen Friedrichstadtkirche in Berlin. Das Gedenken ist zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung, Kolonialismus und rassistischer Gewalt. Im Hintergrund steht die Forderung nach Anerkennung der Verbrechen gegen Schwarze Menschen und Menschen afrikanischer Herkunft Nachdruck zu verleihen. Die von Deutschland an den Herero und Nama begangenen Voelkermorde in Namibia und die Kriegsverbrechen in Tansania im Maji- Maji-Krieg warten immer noch auf offizielle Anerkennung. Sculls desplaced during a joint German and Namibian church and s
    Die Diskussion um den Umgang mit Kulturgütern oder Gebeinen aus ehemaligen Kolonialländern wird kontrovers geführt (imago / IPON)
    Es ist ein neuer Impuls, um das koloniale Erbe Deutschlands kulturpolitisch auch im Bundestag wieder auf die Agenda zu setzen. In ihrem Antrag fordern die Grünen eine systematische Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen. Schon in der kommenden Woche, so der Plan von Kirsten Kappert-Gonther, der Initiatorin des Antrags und zugleich kulturpolitischen Sprecherin der Grünen, soll über den Antrag, der dem Deutschlandradio-Hauptstadtstudio exklusiv vorliegt, im Plenum debattiert werden:
    "Vor 100 Jahren ist die deutsche Kolonialherrschaft zu Ende gegangen. Und wer die Vergangenheit verdrängt, der trifft falsche Entscheidungen für Gegenwart und Zukunft. Und noch immer ist dieses Kapitel deutscher Kolonialherrschaft ein viel verdrängtes Kapitel in unserer Erinnerungskultur. Und wir wollen, dass endlich begonnen wird, diese dunkle Seite der deutschen Geschichte aufzuarbeiten."
    Mehr Geld für Provenienzforschung
    Daher fordern die Grünen die Errichtung einer zentralen Erinnerungsstätte für die Opfer deutscher Kolonialverbrechen im Zentrum Berlins. Dadurch, so die Hoffnung, soll die Debatte auch in der Gesellschaft verankert werden. Darüber hinaus fordern die Grünen einen jährlichen Betrag in zweistelliger Millionenhöhe: für Provenienzforschung und eine Überprüfung der bisherigen Restitutionspraxis. Am wichtigsten sei jedoch, dass der Prozess der kulturpolitischen Aufarbeitung gemeinsam mit den Nachfahren der Betroffenen geschehe, so Kirsten Kappert-Gonther.
    "Da geht es auch darum, Deutungsmacht abzugeben. Dass es nicht bedeutet, wir sind das Maß aller Dinge, sondern anzuerkennen: Wir sind nicht das Maß aller Dinge. Sondern es geht auch um eine fragende Suchbewegung zu sagen: Welche Folgen hat das denn in diesen Staaten gehabt?"
    Thema Kolonialismus offensiv angehen
    Der Zeitpunkt des Grünen-Antrags ist bewusst gewählt. Seit einiger Zeit wird auch in der deutschen Politik über den richtigen Umgang mit Kulturgütern aus kolonialem Kontext debattiert. Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, hatten sich zuletzt gemeinsam für die Aufarbeitung der Kolonialzeit eingesetzt. Die Debatte um das Humboldtforum, dem ein unbedachter Umgang mit kolonialer Raubkunst vorgeworfen wurde, und auch die Verhandlungen mit Namibia über eine Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama, haben einen Prozess des Umdenkens in Gang gebracht. Der hat seinen Niederschlag sogar im Koalitionsvertrag der großen Koalition gefunden, in dem Union und SPD die deutschen Kolonialverbrechen analog zur NS-Vergangenheit aufarbeiten wollen. Bei Helge Lindh, dem stellvertretenden kulturpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, stößt der Antrag der Grünen auf offene Ohren:
    "Weil es unbedingt notwendig ist, dass wir das Thema Kolonialismus offensiv angehen. Da ist viel zu tun und da sind wir sind in einer Bringschuld. Da bin ich auch offen für sehr konsequente Sätze"
    Kritik: "eine große Vereinfachung"
    Diese Position sei allerdings innerhalb der SPD-Fraktion noch nicht abgestimmt. Eine zentrale Gedenkstätte in Berlin – auch das könne sich Lindh durchaus vorstellen. Beim Thema Restitution klingt seine Position – zumindest semantisch – fast genauso wie die der Grünen. Die Verfügungsgewalt über Kulturgüter aus den ehemaligen Kolonien stehe nur den Nachfahren der Opfer kolonialer Verbrechen oder den ehemals kolonialisierten Staaten selbst zu.
    "Es ist im Prinzip ihr Gut und sie haben erstmal das Recht zu formulieren, was sie damit wollen. Nur, dass wir nicht wiederholen, dass wir durch Kolonialismus beherrscht und bevormundet haben, und jetzt erklären wir Afrika, wie denn Erinnerung und Gedächtnis geht und wie Restitution geht."
    Er könne sich sogar vorstellen, auch gesetzgeberisch tätig zu werden: zum Beispiel in Form eines Restitutionsgesetzes. Wir dürfen nicht den zweiten vor dem ersten Schritt machen, warnt hingegen Elisabeth Motschmann, die kulturpolitische Sprecherin der Unions-Fraktion. Sie hat kein Verständnis für den Antrag:
    "Es ist eine sehr große Vereinfachung, was die Grünen da auf den Tisch vorlegen wollen. Und vor allem weise ich in aller Deutlichkeit zurück, dass wir das Thema nicht genügend berücksichtigen."
    Finanzielle Mittel – vor allem für Provenienzforschung und Restitution - würden doch schon in fast zweistelliger Millionenhöhe bereitgestellt. Und eine schnelle pauschale Rückgabe aller Kulturgüter, die sei nicht möglich. Erst müsse noch geforscht werden, an wen überhaupt zurückgegeben werden sollte. Bedarf für eine weitere Gedenkstätte, auch den sieht Motschmann derzeit nicht – und verweist auf das bereits bestehende anti-koloniale Denkmal in Bremen.