Deutschsprachige Debattiermeisterschaft

Rettet den Streit!

43:48 Minuten
Eine Frau und ein Mann, Finalisten der Debattiermeisterschaft, sitzen an einem Tisch und bereiten sich vor, ein Mann debattiert.
Die Finalisten der Debattiermeisterschaft traten vor großem Publikum gegeneinander an. © Deutschlandfunk / Marius Elfering
Von Marius Elfering · 21.06.2019
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Bei der deutschsprachigen Debattiermeisterschaft wird leidenschaftlich gestritten. Dabei müssen die Diskutierenden eine ihnen zugeloste Meinung vertreten - die ihrer eigenen auch mal völlig widersprechen kann.
Diskutieren mit Stil in Zeiten von hitzigen, oft unfairen öffentlichen Debatten. Einmal jährlich treten junge Rednerinnen und Redner bei der deutschsprachigen Debattiermeisterschaft gegeneinander an. 2019 kommen die studentischen Teams in Heidelberg zusammen. Dort wird über die großen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit gestritten.
Eine Jury entscheidet, wer die besten Argumente auf seiner Seite hat und wo der faire Streit aufhört. Marius Elfering mischt sich unter die Teilnehmenden, hört zu. Was macht eine gute Diskussion aus und kann man streiten lernen? Wie steht es um die Debattenkultur in Deutschland? Und kann ein solcher Debattensport in unsere Gesellschaft hineinwirken?

Wie verteidigt man eine Position, hinter der man eigentlich nicht steht? Chiara Throner hat genau diese Aufgabe. Sie steht hinter einem Tisch, vor ihr im Raum sitzen ein Dutzend Leute und hören ihr zu, wie sie über sogenannte Männercamps spricht. In diesen Camps sollen Männer die Möglichkeit erhalten, männlicher zu werden. Sie lernen, wie man Feuer macht, wie man schlachtet oder seinen Bart pflegt. Obwohl Chiara Throner nichts von diesen Camps hält, verteidigt sie sie, so gut es geht. Sie ist eine der Teilnehmerinnen bei der deutschsprachigen Debattiermeisterschaft in Heidelberg.
Knapp 50 Teams debattieren hier ein Wochenende lang über verschiedene Themen. Es geht um die gesellschaftliche Stigmatisierung von Schulden, darum, ob man Populismus mit Populismus bekämpfen sollte und um eben jene Männercamps. Je zwei Teams treten im Redewettstreit gegeneinander an – die Position, die sie vertreten, wird ihnen zugelost.
Beide Teams haben die Chance, zu gewinnen
Der Juryraum: Zutritt für Teilnehmer verboten. Drinnen berät Chefjuror Peter Giertzuch mit seinem Team über die richtigen Themen. Beide Teams sollen Chancen haben, die Debatte zu gewinnen – egal, welche Position sie vertreten. In die Bewertung fließen dabei nicht nur die besten Argumente ein, sondern es geht auch um die Stimme, die Körpersprache und den Kontakt, den die Rednerinnen zum Publikum halten. Nur wenn beide Seiten die Debatte für sich entscheiden können, ist das Thema fair gestellt, so erklärt es Giertzuch.
Gefahr, Klischees zu bedienen
Vor einer Debatte haben die Teams jeweils 15 Minuten Zeit, sich auf das Thema vorzubereiten und sich ihre Argumente zurechtzulegen. Wortfetzen fliegen hin und her, Einstiege werden formuliert und Argumente strukturiert. Dass eine solch kurze Vorbereitung dazu führen kann, dass die Argumente später nur Klischees bedienen, das sehen auch einige der Teilnehmer kritisch.
"Es ist auch eine elitäre Veranstaltung", erklärt Samuel Scheuer aus Tübingen, der ebenfalls an der Meisterschaft teilnimmt. Es gebe viele Lebensrealitäten, über die er in den Debatten reden müsse, die er aber selbst gar nicht kenne. Man müsse aufpassen, dass gesellschaftliche Klischees in den Debatten nicht bedient würden. "Das ist ein Problem der Debattierszene und das ist auch eins, dass man ruhig kritisch betrachten darf", meint er.
Das Streiten verlernt
Wie wichtig der Streit und unterschiedliche Positionen für eine Gesellschaft sind, das weiß die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele von der Hertie School of Governance. "Wir haben vergessen, dass Streit die Grundlage von Demokratie ist", sagt sie. Beim Streit müsse alles möglich sein, jedes Argument dürfe auf den Tisch, erklärt Römmele. Dennoch ist für sie wichtig, dass die Argumente, die ausgetauscht werden, mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sind.
Römmele beobachtet, dass der politische Streit häufig nicht zu Ergebnissen führt. Niemand wolle nachgeben und als schwach gelten. Sie appelliert dafür, dass auch Politiker sich eingestehen, wenn sie Unrecht haben. "Es geht im Streit um den Inhalt, es geht nicht ums Gewinnen und Verlieren", erklärt sie. Wenn sich dieser Gedanke in der Politik durchsetze, dann seien Lösungen greifbar und Kompromisse möglich.