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Deutung ohne Bedeutung - Parsifal in Salzburg

Nachdem die Berliner Philharmoniker nicht mehr die Osterfestspiele in Salzburg bedienen, tut das nun die sächsische Staatskapelle aus Dresden. Die wird von Christian Thielemann geleitet, der schon bei Karajan in Salzburg assistieren durfte, und zwar ausgerechnet bei dem Stück, mit dem er jetzt seine erste Salzburger Ostersaison eröffnet hat: Wagners Parsifal. Das ist gelungen – anders sieht es bei der Regie von Michael Schulz aus.

Von Jörn Florian Fuchs | 24.03.2013
    Das gemeine Buh ist leider eine sehr undifferenzierte Äußerung. Ob man eine Aufführung ablehnt, weil sie einem zu modern oder zu konservativ ist, ob man sie zu assoziativ oder zu eindimensional findet, beim gemeinschaftlichen Buhen treffen progressiv wie reaktionär gestimmte Gemüter aufeinander und vereinen sich friedlich in der Ablehnung des gerade Erlebten.

    In Salzburg zeigte sich das Publikum am Ende dieses völlig abstrusen Parsifal unisono ungnädig und strafte Regisseur Michael Schulz und sein Team hart ab. Auch Christian Thielemann erhielt zwei oder drei hartnäckige Missfallensäußerungen, die im lauten Jubel allerdings kaum auffielen. Thielemanns erster Auftritt mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden bei den Osterfestspielen wurde zu einer durchaus anregenden Expedition, die mit Wagners letzter Oper indes nur am Rande zu tun hatte.

    Die meisten Studenten der Musikologie landen irgendwann ja mal beim "Parsifal" und müssen den spezifischen Mischklang analysieren, die unerhörten Verschmelzungen von Orchesterstimmen, die gleißend klaren Solibögen.

    Wie anders klingt das einst penibel Untersuchte nun im Großen Festspielhaus! Maestro Thielemann ist offenbar froh, endlich dem Bayreuther Graben entfleucht zu sein und dirigiert streckenweise so laut und abgründig tänzerisch, als handle es sich hier um eine apokryphe Richard-Strauss-Oper. Anderes tönt schwebend hell, leicht, transparent. Manche Streicherfigur hebt sich urplötzlich aus dem Orchester heraus, dann wieder umflöten einen wundersame Töne. War das eben nicht Mendelssohn Bartholdy?

    Vieles macht wirklich Eindruck, man hört Thielemanns eigenwilliger Wagnerlektüre immer wieder gerne zu und verschmerzt auch die zeitweise schlampigen Blecheinsätze. Doch spätestens beim zerdehnten Karfreitagszauber und der als würgende Kriegsmusik interpretierten zweiten Verwandlung wird die Sache ziemlich absurd.

    Erstaunlich schwach waren die Chöre, einer kam aus Dresden, ein anderer von der Bayerischen Staatsoper, ein dritter (Kinderchor) von den Salzburger Festspielen. Vieles wurde verzischt, es mangelte an Koordination, was auch dem Umstand geschuldet sein mochte, dass die Chormassen meist auseinandergerissen im Zuschauerraum standen.

    Auf der Bühne tummelte sich derweil eine seltsame Gesellschaft, ein leicht lädierter Gurnemanz im schlabbrigen Ethnokleid, Urteufelin Kundry in Discounterklamotten, der wunde Gralskönig Amfortas in ebenfalls fragwürdigem Ornat, dazu noch zwei männliche Muskeljungs, die sich als Jesus-Verkörperungen entpuppen. Außerdem sich räkelnde Knaben in Unterhosen sowie ein starr herumstehender Parsifal, der eine Entourage junger Männer dabei hat, die sich stellvertretend von den Blumenmädchen verführen lassen.

    Im ersten Aufzug stehen lauter mit Nebel gefüllte Röhren herum (Ausstattung: Alexander Polzin), Akt zwei führt in einen Skulpturenpark mit allerlei antiken Statuen. Der Schlussakt zeigt Gestrandete auf einer Eisscholle, sie werden von grimmigen Tierattrappen beobachtet. Michael Schulz hat vor ein paar Jahren einen sehr klugen Nibelungen-Ring in Weimar und gerade in Gelsenkirchen eine phänomenale "Lady Macbeth von Mzensk" inszeniert. Zum Parsifal fällt ihm leider nur gehaltloser Unsinn ein.

    Nichts passt zusammen. Der Zauberer Klingsor besitzt einen zwergwüchsigen Doppelgänger, der von Kundry getötet wird. Später beginnt die reuige Sünderin eine Art Liebschaft mit einem der Jesusse, worauf dieser mit einer Lanze verwundet wird und an einem imaginären Kreuz landet. Parsifal guckt dabei zu. Zwar singt Johan Botha seine Partie vorzüglich, kann aber aufgrund seines Übergewichts kaum spielen und wird von der Regie geradezu vorgeführt. Wolfgang Koch muss aus unerfindlichen Gründen neben dem Amfortas auch noch den Klingsor stemmen und gerät gegen Ende an seine Grenzen. Michaela Schuster ist eine tadellose Kundry, Stephen Milling orgelt sich achtbar durch die Gurnemanz-Partie.

    So bleiben bei dieser ersten Premiere der Dresdner in Salzburg viele Wünsche offen und man darf gespannt sein, wie das Publikum an den koproduzierenden Häusern in Madrid und Peking reagieren wird. Wer nicht so weit reisen möchte, der kann sich das ganze ab Mai auf DVD ansehen. Der Vorteil dann: Es gibt eine Vorspultaste.