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DGB-Chef Reiner Hoffmann
"Handlungsbedarf ist nicht erst seit Corona-Krise bekannt"

DGB-Chef Reiner Hoffmann fordert angesichts der Corona-Krise mehr staatliche Hilfen für Unternehmen. Kurzarbeitergeld allein werde nicht ausreichen, sagte er im Dlf. Ein koordiniertes Vorgehen sei notwendig, das Investitionsprogramme und Liquiditätshilfen beinhalten könne.

Reiner Hoffmann im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 07.03.2020
DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann
DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann (dpa/ Bernd von Jutrczenka)
Aus Wirtschaft und Politik mehren sich die Forderungen an die Bundesregierung, wegen des Corona-Virus ein Konjunkturprogramm zu beschließen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund mahnt staatliche Hilfen an. DGB-Chef Reiner Hoffmann sagte im Dlf, ein koordiniertes Vorgehen sei notwendig, das Investitionsprogramme und Liquiditätshilfen beinhalten könne.
Heckmann: Herr Hoffmann, wie groß ist denn Ihrer Meinung nach die Gefahr, die mit der Corona-Epidemie verbunden ist für Wirtschaft und Arbeitsplätze in Deutschland?
Hoffmann: Die Gefahr sollte nicht unterschätzt werden. Allerdings sollte man jetzt auch nicht dramatisieren. Wenn ich mir die jüngsten Prognosen der OECD anschaue, dann müssen wir schon mit einem weltwirtschaftlichen Einbruch des Wachstums um rund 0,5 Prozent rechnen. Das wird Deutschland in wesentlich geringerem Maße treffen, aber das zeigt auch, wie anfällig globale Wertschöpfungsketten geworden sind und dass wir aufgrund der Globalität der Krise dann auch eine globale Antwort brauchen, mindestens mal auf europäischer Ebene, besser noch wie in der internationalen Finanzmarktkrise 2008, 2009, wo es gelungen ist, mit koordinierten Maßnahmen im Rahmen der G20-Staaten gegen die Krise erfolgreich anzugehen.
"Wir haben es mit einem externen Schock zu tun"
Heckmann: Gehen wir mal im Einzelnen sicher noch drauf ein. Jetzt überbieten sich ja Wirtschaftsverbände, Union und SPD gegenseitig mit Forderungen. Die Unternehmer – wir haben es gerade eben im Beitrag von Theo Geers gehört –, die fordern einen vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld wie in der Finanzkrise 2008. Sie haben das Stichwort gerade eben auch genannt. Muss die große Koalition da an diesem Punkt am Sonntag handeln?
Hoffmann: Ja, da ist Handlungsbedarf notwendig, aber der ist ja nicht erst seit der Corona-Krise bekannt, sondern wir befinden uns in einem weitreichenden Strukturwandel, getrieben durch die Digitalisierung oder auch Globalisierung, sodass wir die Unternehmen und vor allen Dingen die Beschäftigten in den Unternehmen schützen müssen vor Arbeitslosigkeit. Da ist der Ausbau, die Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes eine ganz sinnvolle Maßnahme. Nach unseren Vorstellungen muss sie auch systematisch mit Weiterbildung und Qualifizierung verbunden werden.
Heckmann: Aber ist das nicht eigentlich Aufgabe der Unternehmerinnen und Unternehmer, sich auf diese veränderten Verhältnisse einzustellen? Warum muss der Staat da einspringen?
Hoffmann: Grundsätzlich ist das die Aufgabe von vorausschauender Unternehmenspolitik, vorausschauender Personalpolitik. Nur hier haben wir es mit einem externen Schock zu tun, der ja nicht in dem Strukturwandel zu sehen ist, der uns durch die neuen Technologien begleitet, sondern ein externer Schock aufgrund einer Epidemie, wo wir dann den Unternehmen und insbesondere den Beschäftigten auch staatliche Hilfe zukommen lassen müssen. Das Kurzarbeitergeld wird nicht ausreichen. Wir werden sehen, wie sich die Krise entwickelt. Ich sage noch einmal: Möglicherweise brauchen wir dann auch ein koordiniertes Vorgehen in Richtung Investitionsprogramme. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir möglicherweise den Unternehmen helfen können, wenn sie jetzt aufgrund von Lieferengpässen ihre Produktion stilllegen müssen und in Liquiditätsprobleme hineingeraten. Da müssen Liquiditätshilfen der KfW beispielsweise reaktiviert werden.
"Untere, mittlere Einkommen müssen entlastet werden"
Heckmann: Das ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Hoffmann: Das ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Da gibt es ein ganzes Maßnahmenset. Allerdings sage ich auch, das vorschnelle Rufen der Unternehmen nach Steuerentlastung, Steuersenkung ist nur allzu durchsichtig. Das wird den Ursachen überhaupt nicht gerecht und wird auch die Probleme nicht beseitigen.
Heckmann: Könnte den Unternehmen aber helfen. Sie haben es gesagt: CDU und CSU fordern Steuererleichterungen für die Unternehmen. Die FDP hat ihre Forderung bekräftigt, den Soli für alle abzuschaffen und nicht nur für die unteren 90 Prozent, und zwar sehr schnell. Das wären doch eigentlich einfache schnelle Maßnahmen, oder?
Hoffmann: Wir sind ja bei dem Abbau des Solis durchaus dabei, allerdings nicht, wenn es um die zehn Prozent der Hochverdiener geht. Da haben wir einfach eine Gerechtigkeitslücke, und da sagen wir ganz klar, untere, mittlere Einkommen müssen entlastet werden. Das wirkt dann auch konjunkturstabilisierend. Bei den oberen Einkommen werden die Einkommen ja nicht sozusagen für den Binnenmarkt verausgabt, konsumiert, sondern wandern schnurstracks in Finanzspekulation. Damit ist der Konjunktur in der strukturellen Krise überhaupt nicht geholfen.
Heckmann: Also Sie lehnen das komplett ab.
Hoffmann: Ja, also solche Steuerentlastungen für Unternehmen sind nicht zielführend.
"Wir haben einen riesigen Investitionsstau in der Bundesrepublik"
Heckmann: Stattdessen setzen Sie ja vom Deutschen Gewerkschaftsbund auf Investitionen des Staates, auf ein großes Paket. Dabei, Herr Hoffmann, ist ja noch gar nicht klar, wie groß der Einfluss der Corona-Krise eigentlich sein wird. Nutzen jetzt alle Beteiligten die Krise, um ihre alten Forderungen wieder hervorzuholen?
Hoffmann: Nein, es geht nicht darum, aufgrund der Corona-Krise alte Forderungen wieder hervorzuholen. Norbert Walter-Borjans hat es ja heute auch noch mal zu Recht deutlich und klar formuliert. Wir haben einen riesigen Investitionsstau in der Bundesrepublik, der ist in den letzten 20, 30 Jahren angefallen, und wenn wir die Herausforderungen mit Digitalisierung, aber auch die Bekämpfung des Klimawandels erfolgreich bewältigen wollen, dann müssen wir massiv investieren. Hier gibt es ja seit dem letzten Herbst durchaus intelligente Vorschläge, beispielsweise durch die beiden Forschungsinstitute der deutschen Wirtschaft und der Hans-Böckler-Stiftung und dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung.
Heckmann: Das ist die gewerkschaftsnahe Institution.
Hoffmann: Das ist die gewerkschaftsnahe Forschungseinrichtung in der Hans-Böckler-Stiftung, wie gesagt, mit dem Institut der deutschen Wirtschaft. Also zwei Institute, die nicht so dafür bekannt sind, dass sie eng zusammenarbeiten, aber es war doch überraschend, dass beide Institute in einem gemeinsamen Gutachten zu dem Schluss gekommen sind, dass wir in Deutschland einen Investitionsbedarf für die nächsten zehn Jahre von rund 450 Milliarden Euro haben. Das sind 45 Milliarden Euro im Jahr. Dabei wird durchaus mitberücksichtigt, dass mit dem Finanzminister Olaf Scholz in den letzten zwei, drei Jahren die Investitionen deutlich nach oben gefahren wurden.
Heckmann: Sind deutlich nach oben gefahren worden ist ein gutes Stichwort. Nun möchte ich gerne reingehen. Das bestreitet ja auch die Union nicht, dass es einen großen Bedarf gibt an Investitionen. Jetzt möchten Sie aber, dass für diese Investitionen auch die Schuldenbremse ausgesetzt wird. Dabei haben wir ja derzeit einen Rekordwert bei den Steuereinnahmen verzeichnet, milliardenschwere Überschüsse im Bundeshaushalt. Weshalb neue Schulden? Ist das aus Ihrer Sicht generationengerecht, immer neue Schulden aufzutürmen?
Hoffmann: Nein, ich würde erst mal sagen, lassen Sie uns darüber verständigen, wo haben wir Investitionsbedarf. Das fängt ganz praktisch an bei der frühkindlichen Bildung, das geht weiter über den Ausbau von Ganztagsschulen, das geht dann hin zur digitalen Infrastruktur, beim Breitbandausbau, bei der Verkehrsinfrastruktur, bei der ganzen Dekarbonisierung unserer Wirtschaft. Wenn wir uns darüber gesellschaftlich verständigt haben, ich glaube, dann sind die Prognosen vom IW und IMK sehr zielführend. Dann müssen wir uns in einem zweiten Schritt darüber Gedanken machen, wie wollen wir das finanzieren. Die Schuldenbremse ist überhaupt nicht zwingend erforderlich, wenn ich die finanziellen Konvergenzkriterien nach dem Maastrichter Vertrag, also der Währungsunion einhalten will.
Bürokratiehemmnisse abbauen
Heckmann: Steht aber im Grundgesetz.
Hoffmann: Ja, steht im Grundgesetz, aber deshalb braucht es trotzdem noch mal eine Klarstellung, was ist ökonomisch sinnvoll. Es ist doch nicht sinnvoll – um auf den Kern Ihrer Frage zu kommen –, dass wir der Jugend, den jungen Menschen eine marode Infrastruktur hinterlassen, wie wir sie ja heute schon erleben, und nicht jetzt und in den nächsten Jahren ambitioniert Investitionen getätigt werden. Die Kosten für die jungen Menschen werden um ein Vielfaches höher sein, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft wird massiv darunter leiden und damit auch die Zukunftsperspektiven von jungen Menschen. Das kann man nicht verantworten. Das kann man nicht wollen. Deshalb halte ich ein sklavisches Festhalten weder an der schwarzen Null noch an der Schuldenbremse für zielführend. Ich finde, man muss hier viel ideologiefreier an die Probleme sich heranarbeiten.
Heckmann: Ja, genau, das ist auch ein gutes Stichwort, Herr Hoffmann: ideologiefrei. Die Union argumentiert nämlich, es nützt überhaupt nichts, immer mehr Geld in die Hand zu nehmen, wenn die bereits eingestellten Mittel überhaupt nicht abfließen, weil die Planungskapazitäten derzeit nicht ausreichen. Was sollen dann neue Schulden?
Hoffmann: Das ist ein berechtigter Punkt, aber warum fließen die Investitionsmengen nicht ab. Wir haben hier zwei ganz zentrale Engpässe. Zum einen in den öffentlichen Verwaltungen sind die Planungsgenehmigungskapazitäten in den Kommunen überhaupt nicht vorhanden. Wir haben Bürokratiehemmnisse, auch da sage ich, müssen wir nachjustieren, Bürokratiehemmnisse abbauen, solange damit nicht die Deregulierung des Arbeitsmarktes verbunden ist. Wir erleben auch eine seit Jahren anhaltend gute Konjunktur der Bauwirtschaft, die überhaupt keine Kapazitäten haben, um diese Investitionen dann auch abzuarbeiten. Hier brauchen Unternehmen eine Langfristperspektive, damit sie Kapazitäten aufbauen und dann den Investitionsbedarfen gerecht wird, indem dann entsprechende Maßnahmen begonnen werden.
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