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Dialog der Konfessionen

Christen, Juden, Muslime, Buddhisten, Hindus – mehr als 300 Konfessionen gibt es in Berlin. Die Initiative "Treffpunkt Religion und Gesellschaft" will sie miteinander ins Gespräch bringen und das interkulturelle Verständnis stärken.

Von Annette Rollmann | 10.08.2012
    Im Zusammenleben der Religionen läuft in Deutschland vieles falsch und wenig zusammen. Das muss sich ändern, sagten sich Berliner Juden, Christen und Muslime. Ihr Verein, kürzlich gegründet, plant Diskussionen und Kongresse und will auch spirituelle Akzente setzen.

    "Es muss ein Treffpunkt werden. Wir können alle zusammen kommen, wir können an einem Tische sitzen und miteinander sprechen, nicht aneinander vorbei."

    Levi Salomon ist Sprecher der Initiative "Treffpunkt Religion und Gesellschaft". Vor 20 Jahren ist der Jude aus der Sowjetunion nach Deutschland eingewandert, sein Geld verdient er als Regisseur. Zusammen mit anderen Initiatoren arbeitet Salomon seit zwei Jahren an der Gründung des Vereins. Im Mai ist sie formal vollzogen worden. Das Charakteristikum des Vereins: Die Religionsgemeinschaften sollen sich gleichberechtigt auf Augenhöhe begegnen. Da sei es ein glücklicher Zufall, dass die Initiative nicht von einer der Religionsgemeinschaften ausgegangen sei, sondern von säkularer Seite, erzählt Pfarrerin Elisabeth Kruse. Die Theologin steht der evangelischen Kirchengemeinde Genezareth vor, die mitten im mehrheitlich muslimischen Neukölln ganz in der Nähe des ehemaligen Flughafens Tempelhof liegt.

    "Der Anstoß für die Gründung dieses Vereins ging von der Tempelhof Projekt GmbH aus, die schon Ende 2009 an die Religionsgemeinschaften herantrat, die es hier zahlreich gibt, im Umfeld des Tempelhofer Feldes, das jetzt Tempelhofer Freiheit heißt, und hat Kontakt aufgenommen zu Vertretern dieser Religionsgemeinschaften."

    Der "Treffpunkt Religion und Gesellschaft" will Impulse zu gesellschaftspolitischen Fragen geben, aber auch ein Ort des interkulturellen Dialogs sein. In einem gemeinsamen Zentrum sollen Kongresse und Veranstaltungen stattfinden, die sich etwa mit dem Themenfeld Staat und Religion beschäftigen. Momentan bereiten die Initiatoren eine Diskussion zur Frage der Beschneidung von Babys in jüdischen und muslimischen Familien vor. Wolfgang Klose, Katholik und Mitinitiator, sieht noch weitere Nutzungsmöglichkeiten eines künftigen Zentrums:

    "Ich kann mir vorstellen, dass wir die Schulen einladen und sagen: Kommt zu uns und redet miteinander, tauscht eure Position aus. Ich kann mir vorstellen, dass wir Väter und Mütter einladen und sagen, wie sieht das Elternbild in den einzelnen Religionen und in den einzelnen Gesellschaften aus."

    Doch auch spirituelle Akzente will der Verein setzen. Feste wie der muslimische Fastenmonat Ramadan oder das katholische Fronleichnamsfest sollen gemeinsam gefeiert werden, damit die religiöse Praxis der anderen Religionen und Konfessionen hautnah miterlebt werden kann.

    Einmal im Monat lädt der Verein dazu ein, schweigend über das weite Feld von Tempelhof zu gehen. Hier fahren die Berliner sonst Skateboard, grillen und feiern. Pfarrerin Kruse schwärmt von "einem religiösen Kraftfeld":

    "Das fördert die Wahrnehmung für sich selbst, aber auch für die Umwelt, aber auch für den Anderen, der ja auch, wenn er selber schweigt, doch in uns ist mit seinen Ideen, mit seinen Stimmen, vielleicht auch Widersprüchen manchmal. Und das eine Weile schweigend auszuhalten ist sehr heilsam."

    Dass im Zusammenleben der Konfessionen in Deutschland vieles falsch und kaum etwas zusammen läuft, das empfinden alle Gründungsmitglieder des Treffpunkts Religion und Gesellschaft so. Doch gerade für viele Migranten spielt die Religion eine große Rolle, sie ist sinnstiftend und wichtig für ihre gesellschaftliche Integration.

    Pinar Cetin arbeitet ehrenamtlich in der ebenfalls am Flughafen Tempelhof gelegenen Sehitlik-Moschee. Die verheiratete Muslima, Mutter zweier Kinder, ist zweite Vorsitzende des Landesverbandes der türkischen Gemeinde " DITIB" Berlin und hat den "Treffpunkt Religion und Gesellschaft" mitgegründet. Cetin ist im gutbürgerlichen Stadtteil Charlottenburg ausgewachsen. Die 30-jährige Politologin weiß, wie schwer es Migranten fällt, ihre eigene religiöse Identität zu finden – und zu leben. Zu dieser Identifikationssuche könne auch der "Treffpunkt Religion und Gesellschaft" beitragen und helfen, dass sich vor allem Jugendliche nicht radikalisierten.

    "In der Anfangszeit, wenn man versucht zu finden, was man ist, ist man erstmal sehr streng mit sich selber und mit dem, was man wichtig für sich findet. Und da finden viele Jugendliche erst einmal einen Anlauf in etwas konservativen Gegenden. Aber das nimmt wieder ab, sobald man sich sicher ist, sobald man diese Identitätssuche abgeschlossen hat."

    Die Sehitlik-Moschee bietet mehrmals am Tag Führungen für Nichtmuslime an, um sich der Gesellschaft zu öffnen und die Gesellschaft für sie zu öffnen. Ron Weber, ein Jurist, arbeitet wie Pinar Cetin an der Moschee:

    "Ich habe das Gefühl, dass das Nebeneinander der Religionen aufbricht und das man mehr versucht aufeinander zuzugehen. Und das bemerke ich gerade auch bei uns, von islamischer Seite, dass wir mehr versuchen auf den anderen zuzugehen, weil man auch merkt, dass das sehr positive Effekte hat. Sich zurückzuziehen ist, glaube ich, etwas, was aus einer Zeit von vor zehn, zwanzig Jahren."

    Gibt es aber auch Grenzen der Ökumene? Droht die eigene Identität zu verlieren, wer für alles offen ist? Pfarrerin Kruse hat vor dem Verlust ihrer religiösen Identität keine Angst. Im Gegenteil:

    "Die gläubige Praxis kann auch dazu führen, das Eigene wieder zu entdecken."

    Beim Glockengeläut, das dreimal am Tag in ihrer Gemeinde erklingt, hält Kruse seit einiger Zeit inne und betet. Eine wohltuende Unterbrechung sei das, sagt sie. Den Anstoß habe sie durch die Praxis der Muslime bekommen, fünf Mal am Tag in Richtung Mekka zu beten.

    Über den grundsätzlichen Weg, den der Berliner Verein gehen soll, ist sich die Pfarrerin ganz sicher.

    "Wir sind längst angekommen in einer multireligiösen Gesellschaft und müssen auch als Christen ernst nehmen, das wir nicht mehr Alleinvertretungsanspruch erfüllen können für alles, was Religion heißt."