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Dialog mit Fanszenen
Grindel will den DFB an die Fans heranrücken

Der DFB sucht den Dialog mit der aktiven Fanszene. Inhalte aus dem Treffen verschiedener Ultra-Gruppierungen in Erfurt wurden bisher nicht öffentlich - klar ist aber, dass Verbandspräsident Reinhard Grindel die Chance sieht, seinem Verband ein neues Profil im Umgang mit den Fans zu verschaffen.

Von Daniel Theweleit | 10.09.2017
    Proteste von Fans gegen den DFB, hier beim FC Augsburg
    Proteste von Fans gegen den DFB, hier beim FC Augsburg (imago sportfotodienst)
    Inzwischen sind die Proteste nicht mehr so laut und wütend wie beim Pokalfinale im Mai, aber die Wut der Massen hat Reinhard Grindel, den Präsidenten des in zahlreichen Stadien als "Scheiß DFB" beschimpften Verbandes nachdenklich gemacht. Zum Erstaunen vieler aktiver Fans hat er einen Weg der Deeskalation eingeschlagen. Statt restriktiv zu reagieren, hat der DFB die umstrittene Bestrafung ganzer Fankurven für das Fehlverhalten einzelner vorerst abgeschafft.
    Fanvertreter: "Das Zeichen ist gut angekommen"
    Volker Goll von der Koordinierungsstelle Fanprojekte spürt ein neues Klima des Dialogs. "Das Zeichen vom DFB-Präsidenten ist gut angekommen. Er ist ja auch relativ neu im Amt, kann natürlich auch sagen, ich will mir da erstmal ein Bild machen, streckt die Hand aus und sagt: 'Ich will über die sachlichen Themen reden.' Das ist erstmal angekommen", sagt Goll.
    Dass der Auftritt der Sängerin Helene Fischer in der Halbzeit des Pokalfinals in wütenden Pfiffen unterging, hat viele Funktionäre aufrichtig erstaunt. Es wurde klar, wie wenig die Verantwortlichen über die Bedürfnisse des Publikums wissen. Doch seither versucht Grindel, die komplexe Fanszene in der angemessenen Differenziertheit zu betrachten und "auf die Wirklichkeit zu reagieren. Wir wollen mit allen ins Gespräch kommen, und deswegen war es notwendig und zwingend, dieses Signal zu setzen, dass wir erstmal von Kollektivstrafen ablassen, und damit eine Vorleistung für einen glaubwürdigen Dialog liefern".
    Denn längst sind nicht mehr nur die sogenannten Ultras sauer, von denen einige mit ihren Pyrotechnik- und Gewaltaktionen immer wieder Regeln verletzen. Das Unbehagen ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch Leute, die sich allenfalls am Rande für Fußball interessieren, können die Wut der Stadionfans verstehen, seit der 222-Millonen-Euro-Wechsel des Brasilianers Neymar vom FC Barcelona nach Paris zu einem gut sichtbaren Monument des Irrsinns wurde. Grindel ist ein Politiker, der lange für die CDU im Bundestag saß, er hat ein Gespür dafür, wenn Strömungen sich vom Rand in die Mitte bewegen.
    Gegen den DFB wird protestiert, gegen die DFL nicht
    Die Wucht des Widerstands war zu groß, um sich darüber hinweg zu setzen, sagt Rainer Vollmer von der Fanorganisation "Unsere Kurve": "Man hat ja gesehen, dass es in der ersten Pokalrunde und am ersten Spieltag doch flächendeckende Proteste gab, und da saß der Herr Grindel im Stadion und ist da auch ausgepfiffen worden, die Proteste waren ja unüberhörbar. Dann glaube ich schon, wirkt das auch ein."
    Besonders schmerzhaft sind die Proteste, weil sie sich alleine gegen den DFB richteten und nicht auch gegen die Deutsche Fußball-Liga, die die Hauptverantwortung für viele der kritisch betrachteten Entwicklungen trägt: für die Kommerzialisierung, für die fortschreitende Zersplitterung der Spieltage und für das Ärgernis, dass immer mehr TV-Abos nötig sind, um alle Spiele der Bundesliga zu sehen. Aber der Kontakt, den die DFL mit den Fans pflegt, wird als offener und zugänglicher empfunden, während beim DFB eher ein technokratisches Funktionärstum vorherrscht. Grindel will das Image seines Verbandes nun ändern.
    "Wenn man sagt: Scheiß DFB, dann muss man sehen: Der DFB ist mehr. Der DFB, das sind 1,7 Ehrenamtliche, sind 3,2 Millionen Hobbykicker, das ist der Jugendtrainer in der E-Jugend, der sich neben seinem Beruf unheimlich kümmert, dass ist der ehrenamtliche Platzwart, der kreidet, das ist der Schiedsrichter, der sich in der Kreisliga beschimpfen lässt", sagt Grindel. "Ich will auch deutlich machen, diesen Leuten, die sich im Stadion so verhalten, wen sie da alles beschimpfen und dann sollen sie mit uns in der Spitze des DFB diskutieren, aber die Ehrenamtler in Ruhe lassen."
    Grindel steht vor einer Chance
    Der DFB soll verstärkt als Verband der Basis wahrgenommen werden. Als Präsident der Amateure ließ Grindel sich ins Amt wählen, nun geht er einen ersten Schritt, um näher an die Kurvenfans heranzurücken. Und sich vielleicht sogar von der DFL abzugrenzen. Denn die Hauptaufgabe des Ligaverband besteht darin, immer mehr Geld zu verdienen, während der DFB gerne seine gesellschaftliche Verantwortung betont und dieser zuletzt nicht immer gerecht wurde.
    "Es ist für mich schwer, dem DFB-Präsidenten hinter die Stirn zu schauen. Aber ich glaube, dass er mit dem Schwung, dass er doch relativ neu ist, einfach die Themen nochmal frischer angehen kann und sagen kann: So, was ist eigentlich das Problem? Diese Haltung ist zu spüren", sagt Volker Goll. Grindel hat während der vergangenen Wochen mit vielen Leuten gesprochen, um die Gefühle und Bedürfnisse des Fußballpublikums in einer neuen Tiefe zu verstehen. Nicht einmal die Möglichkeit einer Legalisierung des Abbrennens von Pyrotechnik nach bestimmten Regeln schließt er kategorisch aus.
    Der Präsident steht vor der Chance, seine Amtszeit mit einem echten Sinn zu versehen: Sein Vorvorgänger Theo Zwanziger ist zu einer historischen Figur geworden, weil er einen engagierten Kampf gegen Intoleranz und Homophobie im Fußball führte. Grindel könnte als Funktionär in die Geschichte eingehen, der die Entfremdung zwischen der Fanbasis, dem Publikum auf den teuren Plätzen und den in der Kommerzspirale gefangenen Klubs zumindest ein bisschen bremsen konnte.