Donnerstag, 25. April 2024

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Diamanten und Feuersteine

Durch Apurímac fließen die tiefsten und musikalischsten Flüsse Perus; alte, mächtige Flüsse mit stählerner Strömung, welche die Anden an der höchsten Stelle - Feuersteine und Diamanten - durchschnitten haben, bis Abgründe entstanden, an deren Rand der Mensch erzittert, trunken vor Tiefe, während er die silbrigen Wasser betrachtet, die zwischen hängenden Wäldern durchziehen.

Dorothea Dieckmann | 24.02.2003
    Feuersteine und Diamanten, das ist der Titel der Geschichte, aus der diese klingenden Sätze stammen, und er könnte als Überschrift für alle Erzählungen gelten, die der Peruaner José Marìa Arguedas schrieb. Dunkle Steine sind es, rauh und glänzend zugleich. Arguedas' Thema ist das von Unterdrückung bestimmte Leben der Indios, weniger jedoch im Sinn einer getreuen Dokumentation denn als Neuerfindung ihres Lebens - in den Worten von Mario Vargas Llosa: "Eine gelungene Fiktion ist ein kluges Gemetzel, eine kühne Schmuggelaktion, denn sie zerstört die reale Wirklichkeit und ersetzt sie durch eine andere." Die Hauptfigur dieser nun als Einzelveröffentlichung erschienenen Geschichte ist Mariano, der den Titel des Don trägt, obwohl er als Indio zum Sklavenvolk gehört, denn er hat eine einzigartige Gabe, die arpa zu spielen. Den Namen dieses Saiteninstruments muss man sich genauso merken wie die Bedeutung eines klangähnlichen Wortes: Mariano ist ein upa, ein Geistesschwacher, ein einfältiger Mensch also, dem man jedoch auch übernatürliche Fähigkeiten zuspricht. Seine Singstimme ist tief und, so heißt es, "zart wie die des Wassers, das sich beruhigt ... und klagend durch die blühenden Felder, auf der geliebten Erde dahinzieht."

    Stets durchweben Bilder der mächtigen Hochlandnatur die einfache und klare Sprache des Peruaners, schlicht und grausam ist die novellenhafte Begebenheit, die er schildert. Selbst ein Falke fehlt nicht: Mariano hat das Tier gezähmt und nennt es "kluger Jovín." In der Provinzhauptstadt trifft er auf den weißen Herrn der Region, den reichen Don Aparicio, der auf den ersten Blick von dem Indio bezaubert ist und ihn für sich arbeiten und spielen lässt. Der düstere junge Patron, ein Gönner mit unberechenbaren Leidenschaften, unterhält viele Geliebte, darunter Irma, die er aus einem entfernten Dorf entführt hat. Als nun jedoch die blonde Adelaida, eine Weiße von der Küste, mit ihrer Mutter auftaucht und Aparicio alles daransetzt, die Fremde zu erobern, wendet sich die verzweifelte Irma an Mariano. Irma singt Don Aparicio ein Lied, und Mariano begleitet ihren Gesang heimlich vom Nebenzimmer aus auf seiner arpa, um den abtrünnigen Herrn zu betören. Diesen Versuch, seine Musik für die Betrogene einzusetzen, bezahlt der Liebling des Tyrannen mit dem Tod. Aparicio trauert in schrecklicher Weise um sein eigenes Opfer. Bestechend das Mittel der Wiederholung, mit dem Arguedas das Ende einleitet: "Er stand auf. In seinem gelblichen Gesicht brannten die Augen, die zerzausten Brauen verdüsterten ihn, verdüsterten ihn." Er entsagt Adelaida, ordert ein Prunkbegräbnis für Mariano und füttert den verlassenen Turmfalken mit einem Halsmuskel seines schwarzen Lieblingshengstes Halcón, den er ihm aus dem lebendigen Fleisch schneidet.

    Arguedas, der als Ethnologe auch die Indiosprache Quechua lehrte, ist ein hierzulande weitgehend unentdeckter Stern unter den südamerikanischen Autoren, deren starke, sinnliche Erzählliteratur doch so viele Leser gefunden hat. Vielleicht liegt es an der kompromisslos harten Melancholie seines Schreibens, dem Verzicht auf vordergründige Sozialkritik und gefällige Folklore. Doch gerade dies sind unschätzbare Qualitäten. Man sollte dieser Stimme aus den Anden, so zart und tief wie die des upa Mariano, wieder mehr Gehör verschaffen. Nach dem Erscheinen des Romans Die tiefen Flüsse im Jahr 1980 ist mit der durch Elke Wehr präzise und klangvoll übersetzten Erzählung endlich ein Neuanfang getan.