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Dichlormethan im Abbeizer

In Brüssel streiten Politiker, Umweltaktivisten und Industrielobbyisten zurzeit heftig über die kommende Chemikalienpolitik. Wie vorsichtig soll künftig mit Chemikalien umgegangen werden? Und Handlungsbedarf besteht! Und das vor allem bei vielen Chemikalien, die schon seit vielen Jahren eingesetzt werden. Beispielsweise bei einem Stoff, der Dichlormethan oder Methylenchlorid genannt wird, und in sehr vielen Abbeizern enthalten ist.

Von Ralph Ahrens | 24.01.2003
    Um Graffiti von Wänden zu entfernen oder Fassaden von alten Farben zu befreien, greifen manche Maler und Reinigungsfirmen auf Abbeizer mit dem Wirkstoff Dichlormethan zurück. Dieser Wirkstoff bereitet jedoch Reinhold Rühl von der Bau-Berufsgenossenschaft Frankfurt am Main große Sorgen. Nicht nur, weil diese Chemikalie Augen und Schleimhäute reizt und im Verdacht steht, Krebs zu erzeugen:

    Es gibt immer wieder schwerste Unfälle, zum Teil mit Todesfolge: Weil die Personen durch das Dichlormethan betäubt werden. Das ist ein Lösemittel, was zur Bewusstlosigkeit führt. Wenn sie dann umfallen, ist aufgrund der Schwere des Dichlormethans fast nur Dichlormethan, kein Sauerstoff. Wenn sie da nicht aus der Lage befreit werden, ersticken sie. Diese Fälle haben wir immer wieder, auch im Freien, also auch bei Abbeizarbeiten an Fassaden.

    Weil der Stoff so gefährlich ist, darf er nach der Chemikalienverbotsverordnung auch nur mit strengen Auflagen verkauft werden:

    Diese dichlormethanhaltigen Abbeizer unterliegen nämlich einem so genannten Selbstbedienungsverbot. Das heißt, sie dürfen nur noch verkauft werden - ähnlich wie Pflanzenschutzmittel - mit einer Beratung. Jeder kennt das, im OBI und Praktikermarkt liegen die Pflanzenschutzmittel in einem Schrank, der normalerweise verschlossen sein sollte. Und genauso dürften auch nur noch die dichlormethanhaltigen Abbeizer verkauft werden. Gehen Sie mal in eine Malereinkaufsgenossenschaft: Auch als normaler Mensch können Sie da locker alles einkaufen, auch die dichlormethanhaltigen Abbeizer. Und das ist das Hauptproblem: Die werden nicht legal verkauft. Das ist illegal.

    Dabei geht es auch anders: Manche Fachmärkte klären ihre Kunden vorbildlich über Gefahren von gefährlichen Produkten auf und weisen auf Sicherheitsmaßnahmen hin. Außerdem sind zahlreiche Abbeizer erhältlich, die ebenso gut wirken, aber weniger gefährliche Chemikalien enthalten. Selbst die Europäische Kommission in Brüssel denkt darüber nach, ob und wie Verkauf oder Einsatz dichlormethanhaltiger Abbeizer in der gesamten EU beschränkt werden sollte. Reinhold Rühl:

    In Europa ist jedoch das Hauptproblem, dass die Engländer keine Notwendigkeit sehen, dieses voranzutreiben. Das Bedauerliche für uns ist, dass die Firma in England, die das am meisten verteidigt und Druck macht, dass eine europäische Regelung verhindert wird, die Tochter ist einer sehr großen deutschen Chemiefirma.

    Nämlich von Henkel in Düsseldorf. Zwar stellt der Waschmittel- und Klebstoffkonzern seit mehr als zehn Jahren in Deutschland keine dichlormethanhaltige Abbeizer mehr her; die britische Tochter Henkel UK verkauft jedoch solche Abbeizer noch heute. Das fördert nicht unbedingt das Firmenimage. Werner Haller von Henkel Deutschland:

    Sagen wir mal, Methylenchlorid ist nicht ein Produkt, das wir besonders gerne verkaufen. Aber irgendwo gibt es ja wirtschaftliche Zwänge, denen wir uns nicht einfach entziehen können.

    Denn der Dichlormethanhaltige Abbeizer mit dem Namen 'Nitromors’ hat in Großbritannien und Irland einen hohen Marktanteil:

    Nichtsdestotrotz: Seit mehreren Jahren beschäftigen wir uns mit dieser Frage. Es sind inzwischen drei Produkte zusätzlich im Markt gekommen – als methylenchloridfreie Abbeizer. Die aber alle ein gewisses Akzeptanzproblem bei den Kunden haben.

    Mit einem weiteren dichlormethanfreien Abbeizer will Henkel UK gemeinsam mit einer Baumarktkette in Kürze den Durchbruch schaffen. Vielleicht gerade rechtzeitig! Denn zu den Zielen der neuen europäischen Chemikalienpolitik, die zurzeit in Brüssel beraten wird, zählt auch, Menschen – und damit auch Maler und Reinigungskräfte – besser vor gefährlichen Chemikalien zu schützen:

    Sagen wir mal so: Das würde unsere Bemühungen eines Ausstiegs deutlich verbessern. Das ist klar. Abgesehen davon, wissen wir ohnehin nicht, ob nicht über das Weißbuch und die damit verbundenen Regularien ohnehin auch europaweit solche Produkte deutlich schärfer beurteilt werden werden und damit ohnehin die Alternativen auf dem Vormarsch sein werden.

    Das würde Unfallversicherungen, vor allem die Bau-Berufsgenossenschaften, freuen: Nimmt die Zahl der Unfälle durch dichlormethanhaltige Abbeizer ab, sinken ihre Ausgaben.