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Dichter und Schokoladenfabrikant

Die Flucht aus Nazideutschland führte Erich Arendt über die Schweiz nach Kolumbien. Dort finanzierte sich das Ehepaar Arendt mit Pralinenherstellung. Ab 1950 arbeitete Arendt wieder in Ost-Berlin - und fand bei den Parteikadern dennoch kaum Anerkennung. Zu düster seien seine Gedichte.

Von Manfred Jäger | 25.09.2009
    Wie kommt es, dass Erich Arendt außerhalb eines kleinen Kreises von Kennern, die ihn mit dem berühmten Paul Celan auf eine Stufe stellen, unbekannt geblieben ist? Es liegt zum einen an dem anpruchsvollen hohen Stil. Zum anderen an der Entscheidung für den Wohnsitz Ost-Berlin, die ihn als DDR-Literaten definierte.
    Die Kulturpolitiker der DDR irritierte stets sein Mangel an Volkstümlichkeit, Verständlichkeit und offener agitatorischer Absicht. Seine Herkunft dagegen "stimmte": die DDR-Lexika nennen den 1903 in Neuruppin Geborenen mal Kind einfacher, mal Kind armer Eltern – der Vater war Hausmeister an einer Schule. Dass der junge Dichter von 1926 an expressionistisch schrieb, trübte in den Augen der Parteiideologen schon seine Anfänge formalistisch ein. Arendts Freund Stephan Hermlin sah den lästigen Widerspruch:

    "Der ganz junge Arendt beginnt in der Nachfolge August Stramms, aber zugleich mit dem Versuch, über Stramm hinauszugelangen. Diese Gedichte stehen in Herwarth Waldens 'Sturm' und rufen den Ärger seiner neuen Gefährten und Verbündeten hervor, denn beinahe gleichzeitig tritt Arendt der KPD und dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller bei."

    Das frühe Gedicht "Folterung" soll den Leser oder Hörer dazu zwingen, den Platz des Gequälten einzunehmen. Hier ein Ausschnitt, gelesen vom Autor:

    "Roh wühlt das Klirren
    Angst
    Hetzt henkerwild entlang
    Die weißerwürgten Augen
    Morden!
    Die Scheiben knicken
    Blut
    Licht erfüllt den Raum
    Erstickt
    Des Grauens voller Mund!"

    Im März 1933 verließ Erich Arendt Nazideutschland, lebte in der Schweiz, in Spanien und auf Mallorca. Nach dem Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs schlug er sich zu einer katalanischen Division durch, für die er als Agitator, Publizist und Übersetzer arbeitete. Nach dem Sieg der Franco-Truppen und der Flucht nach Frankreich durchlebte er gefährliche Zeiten, bis er Anfang der 40er-Jahre in Kolumbien ein sicheres Exilland fand. Als Kleinunternehmer eröffnete das Ehepaar Arendt in Bogotá einen Familienbetrieb zur Pralinenherstellung.

    "Wir mussten Schokolade fabrizieren, um unser tägliches Leben zu haben."
    "Es waren sehr gute Schokoladen übrigens ... "

    Katja und Erich Arendt äußerten sich nach der Rückkehr im Rundfunk der DDR:

    "Wir sind 1950 nach 17-jähriger Emigration zuletzt aus den Tropen, aus Kolumbien, zurückgekommen."

    Die Arendts hatten sich nicht krank vor Heimweh isoliert, sondern sich den Formen und Farben des Gastlandes neugierig geöffnet. Das belegt auch ein Bildband mit eigenen Photos von 1954, dem noch weitere über die Reisen in den mittelmeerischen Raum folgen sollten. Arendt sorgte sich, wie er seinen Enthusiasmus in der engen DDR bewahren könnte. Fünf Monate pro Jahr auf Hiddensee halfen fürs Erste:

    "Der erste Arbeitssommer war ein so intensiver Arbeitssommer. 'Der große Gesang' von Pablo Neruda ist hier fast völlig übersetzt worden. Und das Meer und die Farben und das Rauschen und der Sturm, die haben meinem Mann so ungeheuer geholfen."

    Er hat nicht nur Nerudas Gesamtwerk, sondern auch die Lyrik Rafael Albertis und Nicolás Guilléns ins Deutsche gebracht. Von Unkundigen wurde Arendt als Epigone derer betrachtet, die er kongenial eindeutschte. Hinzu kam der Vorwurf der Literaturideologen, er habe proletarische Zuversicht gegen pessimistische Unverständlichkeit eingetauscht. Tod, Stein, Staub, Kälte wurden zu Grundworten des Enttäuschten:

    "Flüstern des Steins, hoch
    unter dem fischhäutigen Mond. Weiß war der Tag. Unbiegsam
    die steinerne Schlange Licht
    auf den Wegen. Weiß
    wie die Lippe der Tod."

    Nach einem schweren Schlaganfall im Dezember 1981 hat er kaum noch gesprochen. Er ging aber gern mit jüngeren Freunden im Prenzlauer Berg spazieren, zum Beispiel mit Adolf Endler, der, wie er sagte, "den alten Schamanen mit seinen Beschwörungsritualen" bewunderte. Am 25. September 1984 ist Erich Arendt, ein großer Unbekannter, verstorben.