Freitag, 29. März 2024

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#dichterdran - Sexismus in der Literaturkritik
„Ironie ist die beste Psychohygiene“

Frauen schreiben über Schriftsteller wie sonst nur Männer über Schriftstellerinnen. Das ist die Idee von #dichterdran. Die Mitinitiatorin und Autorin Simone Meier meint: "Man muss als Frau ja schon viel Scheiße fressen, wenn man Feuilletons liest." Nun dreht sie den Spieß um - mit Witz und Erfolg.

Simone Meier im Gespräch mit Michael Köhler | 08.08.2019
Der Schriftsteller und Dichter Hermann Hesse, 1877 - 1962, hochbetagt in seinem Haus in Montagnola im schweizerischen Tessin
Bei #dichterdran kommt auch Hermann Hesse nicht ungeschoren davon (picture alliance / akg-images)
Michael Köhler: Frisur, Körper, Ernährung, Kinder oder das Altern – Autorinnen, Künstlerinnen, Schauspielerinnen werden oft auf Themen reduziert, die kaum was mit ihrer Arbeit zu tun haben. Was kochen Sie am liebsten? Wo sind die Kinder? Wenn Sie schreiben oder drehen, wie halten Sie nur diese Figur? Alles nur mit Ananassaft?
Jetzt drehen drei Schweizerinnen den Spieß um. Seit Tagen veröffentlichen User*innen Tweets unter #dichterdran.
Und die gehen so: "Sie sehen blendend aus für Ihr Alter, Chapeau! Verraten Sie uns Ihre drei Must-Have-Körperpflege-Produkte, Frank Schätzing?" So stellt sich Autorin und Regisseurin Güzin Kar eine Interviewfrage für den gefeierten Thriller-Autor vor.
"Während die beeindruckende Katja Mann erfolgreich die Fabriken ihres Vaters leitete, kümmerte sich Gatte Thomas liebevoll um die Kinder. Daneben schrieb er Bücher." Der ist vier Tage alt und von Autorin und Feuilletonistin Simone Meier. Sie ist Redakteurin beim Schweizer Newsportal watson.ch.
Frau Meier, was war Anlass und Auslöser für #dichterdran?
Simone Meier: Es war der schweizerische Nationalfeiertag. Und drei Frauen saßen in Zürich vor ihren Computern und sollten schreiben und prokrastinierten vor sich hin. Und eine davon, die Nadia Brügger, die stieß auf diese Kritik über Sally Rooney "Gespräche mit Freunden", wo Sally Rooney erstmal aufgrund ihres Pressefotos eingeführt wurde.
Lippen und Rehblick
Köhler: Eine irische Schriftstellerin ist das, oder?
Meier: Genau, Bestsellerautorin. Sehr, sehr junge Frau, die ein sehr junges Buch über junge Menschen geschrieben hat. Großartig! Da wurde von ihren Lippen und von ihrem Rehblick und weiß der Teufel wieder was salbadert. Und wir haben uns alle drei latent darüber genervt aber auch nicht viel dabei gedacht, weil man muss als Frau ja schon viel Scheiße fressen, wenn man Feuilletons liest. Das ist irgendwie unabdingbar. Und auch wenn man ab und zu selbst drin vorkommt.
Die Nadia hat das dann aber auf Twitter gestellt, und ich habe vorgeschlagen: Komm, wir drehen den Spieß doch mal um und schreiben für uns so ein bisschen. So wie die Männer über uns schreiben, schreiben wir jetzt mal über Männer. Und wir haben damit angefangen und hatten Riesenspaß dabei, weil Ironie ist ja erstens die beste Psychohygiene auf Seite der Produzierenden – und merkten sehr bald, wir stoßen da auf großen Anklang, weil auch die Rezipierenden sehr viel Spaß damit hatten. Und es ist ja schon so, dass quasi der Moment, in dem man lachen muss, der bedeutet ja auch immer eine Art von Lustgewinn. Und da kann man den Leuten sehr oft Dinge unterschieben und klarmachen, die man, wenn man sie in einem ernsthaften Ton erzählt, nie an die Frau oder den Mann bringt oder nur mit sehr viel Mühe.
"Unfassbar gemein! Unfassbar überzeichnet!"
Köhler: Sie schreiben über Autoren wie sonst Männer über Autorinnen schreiben. Da bleibt keiner unverschont – ob Joyce oder Max Frisch, Gottfried Benn, Thomas Mann.
Mein Favorit von Ihnen ist jetzt drei Tage alt. Der lautet: "76 Jahr, stumpfes Haar, so stand er vor mir – Peter Handke hantiert mit Worten wie andere mit dem Föhn: Zu viel heiße Luft tut weder der Literatur noch der Frisur gut."
Meier: Es ist natürlich unfassbar gemein! Auch unfassbar überzeichnet! Aber man muss halt sagen: Peter Handke hat diese Haare, und Peter Handke schreibt diese Bücher. Und ein Körnchen Wahrheit ist da schon drin. Einige sind total frei erfunden. Aber gerade wenn es jetzt um die Lebenden geht – so ein bisschen… Ich hoffe, dass wir uns jetzt nicht auch zu viele Feinde gemacht haben damit.
Ein Porträt der Schweizer Journalistin und Schriftstellerin Simone Meier
Simone Meier, Schweizer Journalistin und Schriftstellerin (Kein und Aber / André Wunstorf)
Köhler: Ist das nur Sockel- und Denkmalsturz? Oder auch ein Stück weit Liebe und Werbung für Literatur?
Meier: Also, für Hermann Hesse mache ich nun gar keine Werbung. Das muss ich sagen. Andere hingegen mag ich sehr: Thomas Mann lese ich immer noch super gerne, auch jüngere Autoren. Ich schreibe ja selbst Bücher, ich bewege mich im Feld der Literatur. Diese ganzen Werke, die gehören auch zu meiner Sozialisierung als Literatin. Da komme ich nicht umhin.
Köhler: Eine Kollegin von Ihnen hat über den weichen Gang geschmeidig starker Schritte geschrieben und meinte, da würde Rilke über sich selber schreiben in seinem berühmten Gedicht "Reiten, reiten, reiten, durch den Tag". Vielleicht hat sich Rilke auch einfach nur verschrieben und meinte "streiten, streiten, streiten" oder "zubereiten". Vielleicht könnte man’s ja auch so mal drehen. Ich finde, am Ende bleibt immer ein Stückchen Neugierde. Man fragt sich: Worauf beziehen die sich da? Was ist das für ein Text? – Dann ist doch schon was gewonnen, oder?
Meier: Das freut mich sehr. Ja! Schöner wär’s natürlich, wenn für uns und für andere Autorinnen was gewonnen wäre. Nicht jetzt unbedingt für die Herren, die wir da persiflieren. Aber klar, ich meine, alle die Autoren, auf die wir uns beziehen, die meisten der Werke, die wir da irgendwie zitieren, haben wir gelesen, haben wir intus.
Köhler: Aber wenn das mal gesammelt erscheint, hätten Sie auch nichts dagegen, ne?
Meier: Nein, natürlich nicht. Alles, was uns am Ende Ruhm und Geld bringt, ist super!
"Plötzlich checken es alle"
Köhler: Unterm Strich, Frau Meier, ist es ein Gebrauchsgenre. Ein Hashtag, man liest ihn schnell. Man amüsiert sich, man sagt: Die haben recht, oder die spinnen – und dann ist es gut?
Meier: Ja, genau. Es ist ja das Ding: Wir beschreiben hier ja ein Phänomen, das gibt es seit Jahrzehnten. Wir monieren das auch seit fast ebenso langer Zeit und probieren, den Kollegen, also den Kritikern, das auch immer nahezulegen – nett bis jetzt – dass Sie das vielleicht unterlassen sollten. Und sie sehen es nie ein. Und sie sagen immer: Ja, aber das ist doch nicht so schlimm. Sie sieht halt so toll aus auf diesen Fotos… Und dann macht man es mal mit Ironie, und dann plötzlich checken es alle. Das ist so großartig! Es ist ein bisschen dramatisch, aber wenn man es nutzen kann – wieso nicht?!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.