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Dichterinnenschicksal in der Sowjetzeit

Sie gilt heute als eine der bedeutendsten russischen Dichterinnen: die Schriftstellerin Anna Akhmatowa. Der französische Komponist Bruno Mantovani hat ihr Leben und Leiden jetzt auf die Bühne gebracht. An der Pariser Bastille-Oper feierte das Stück Premiere.

Von Frieder Reininghaus | 29.03.2011
    Seit Sommer 2010 Leiter des Pariser Konservatoriums: Bruno Mantovani
    Seit Sommer 2010 Leiter des Pariser Konservatoriums: Bruno Mantovani (picture alliance / dpa)
    Bruno Mantovani hat sich viel zugemutet. Er hat ein Werk vorgelegt, das Historien- und Künstleroper zugleich sein sollte – in diesem Fall: eine Künstlerinnen-Oper.

    In Zentrum der Handlung steht der Konflikt der egozentrischen, sensiblen, von Schaffenskrisen heimgesuchte Poetin Anna Akhmatowa mit ihrem nur bedingt lebenstüchtigen Sohn. Um den kümmert sich die früh beliebt gewordene Autorin wenig - die Operngänger lernen sie in den Jahren der beengten Verhältnisse kennen, in denen sie bereits Publikationsverbot erhalten hat und die Leningrader Wohnung mit dem früheren Ehemann und dessen neuer Lebensabschnittspartnerin teilt.

    Schwer problematisch wird das Verhältnis zum jungen Lev, als dieser im Zuge des eskalierenden Terrors zum wiederholten Male ohne Rechtsgrundlage inhaftiert wird. Gegenüber drei britischen Literaturexperten erklärt Achmatova – zu deren größter Verwunderung – ihre Übereinstimmung mit den politischen Zielen des Partei- und Staatsführers Stalin, sogar die Behandlung ihres Sprösslings hält sie für angemessen.

    Solche offensichtlich aus Angst und Opportunismus resultierenden Bekundungen zu durchleuchten, dürfte kaum Sache einer Oper sein. Daher stellt sich die Frage, ob Christophe Ghristi eine glückliche Wahl traf, als er für sein politisch-literarisches Anliegen die Form des Librettos wählte. Zumal eines, das einfach den biografischen Stationen des Dichterinnenlebens von 1937 bis 1966 folgt wie ein wenig inspirierter Volkshochschulvortrag. Die Gestaltung des Konflikts zwischen der alternden Anna und ihrem Sohn funktionierte im Sinne einer 'klassischen' Operndramaturgie ungleich plausibler, zumal der Tonsatz aus naheliegenden Gründen die Partie der Akhmatowa privilegiert, die des Tenors Lev als Kontrapunkt einsetzt.

    Die in Wien im letzten Jahrzehnt gefeierte Mezzosopranistin Janina Baechle, vom Typ her eine Mutter Courage und nicht gerade wie eine fragile Dichterin wirkend, bringt die geballte Kraft ihrer Stimme in der großen Pariser Halle an der Place de la Bastille effektiv zum Einsatz. Attila Kiss soll es neben dieser 'Mutter' nicht leicht haben, behauptet sich aber doch energisch und mit elegantem Wohlklang.

    Bruno Mantovanis Ton, nicht frei vom Überreizen der wiederkehrenden Kraftgesten, besitzt Drive und drastische Züge. Er beweist sich als energischer und hartnäckiger Impulsgeber und variantenreicher Hintergrund für die in der Inszenierung von Nicolas Joel in deutlicher Einfachheit gezeigten Lebens- und Leidensgeschichte.

    Die Ausstattung von Wolfgang Gussmann ist in geometrischer Säuberlichkeit und zunächst ganz in Weiß angelegt: Zum einleitenden Bratschensolo sitzt die Titelfigur in einem Designersessel auf der weitgehend leeren Bühne vor der berühmten Strichzeichnung, die Amedeo Modigliani einst von ihr anfertigte. Es werden - warum auch immer - noch sechs Riesenkopien dieser weißen Grafik herein- und wieder hinausgetragen.

    Auch im weiteren dient – welch verquere Chiffren für jene elenden, chaotischen, blutigen und teilweise ziemlich schmutzigen Jahre – lichte lineare Klarheit als Grundlinie der Ausstattung, unterbrochen nur durch etwas kollektives Grau für die Fahrt ins Evakuierungsgebiet nach Ausbruch des Großen Vaterländischen Kriegs - zusammen mit anderen Künstlern wurde die Achmatova nach Taschkent verschickt.

    Noch weniger als der Text des nicht unkritisch angelegten Dichterinnen-Porträts schickt sich die Bebilderung an, den fatalen Zusammenhang zwischen individueller Biografie und verheerender Zeitgeschichte ins Visier zu nehmen. Der Mechanismus: Hie Künstler und im Grunde gut, dort der abgrundböse Stalin – das ist als Nachdenklichkeitspotenzial für ein Theater der in sicherer Distanz Nachgeborenen zu schlicht und einfach – und daher auch falsch. Aber den Opernerfolg schmälert es wenig.

    Webseite der Opéra Bastille in Paris