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Dichterkampf

Vor kurzem wurde die Wahl des Oxford Professor of Poetry bekannt gegeben. Bereits seit 1708 wird dieser Posten vergeben. In England gilt diese Wahl als zweitwichtigste nach denen für das Parlament.

Von Walter Bohnacker | 19.06.2010
    Elf Bewerber waren angetreten zum Oxforder Dichter- Wettstreit: unter ihnen Michael Horowitz, Englands letzter Überlebender der "Beat Generation", der schon mit Allen Ginsberg auf der Bühne stand; ein Barde, der als Vertreter der "True English Poetry Party" schon mal fürs Unterhaus kandidierte; ein von der Dichtung Robert Graves' zum Schreiben angeregter Neuropsychologe; Geoffrey Hill, die graue Eminenz der englischen Lyrik; und er, der Performance-Poet Steve Larkin.

    Er verstehe sich als Hüter des gesprochenen Wortes. Dichtung, sagt Larkin, müsse sprudeln, zischen und funken. Nur so, im mündlichen Vortrag, erreiche sie ihr Publikum.

    Als Vortragskünstler hatte Larkin – nicht verwandt mit seinem großen dichtenden Namensvetter Philip Larkin – keine ganz schlechten Karten. Schon ein gewisser Joseph Trapp, 1708 der erste Inhaber des renommierten Oxforder Poetik-Lehrstuhls, war ein wahres Performancegenie, der mit Vorliebe Shakespeare rezitierte – und das, wie sich es damals gehörte, auf Lateinisch.

    Doch Larkin der Jüngere ging leer aus. Bei der Stimmenauszählung gestern landete er nur auf Platz sechs. Knapp 1200 der insgesamt 2500 abgegebenen Stimmen entfielen auf den Favoriten, den – so steht's in der Laudatio – "größten lebenden Dichter der englischen Sprache", Geoffrey Hill.

    Mit anderen Worten: Man ging auf Nummer sicher. Die rund 200.000 Stimmberechtigten der Universität und ihrer Colleges und Fakultäten: Studenten, Graduierte, ehemalige und aktuelle Angehörige des Lehrkörpers – die sogenannte "Convocation" entschied sich für Alt-bewährtes und Tradition. Hill ist immerhin Oxford-Ab-solvent.

    Mit der Tradition wurde vor einem Jahr gebrochen, unter recht skandalösen Begleitumständen. Dieser Skandal war es, der die Neuwahl nötig machte. Ruth Padel, eine Nachfahrin von Charles Darwin, trat als erste Frau im Amt des "Oxford Professor of Poetry" von dem Posten zurück – nach nur neun Tagen im neuen Job.

    Die Dichterin war als Initiatorin einer Schmutzkampagne gegen ihren Mitbewerber, Literaturnobelpreisträger Derek Walcott, geoutet worden. Sie bestritt alle gegen sie erhobenen Vorwürfe und nahm ihren Hut. Hat die Affäre der angesehenen Poetikdozentur damit nicht dauerhaft geschadet?

    Nein, meint Professor Seamus Perry, Vorsitzender der Wahlkommission der "Convocation”. Aber die Kontroverse habe gezeigt, welches Prestige dem Lyrik-Lehrstuhl immer noch zukomme.

    Aber was verdankt die Oxforder Poetik-Dozentur bis heute ihren hohen Stellenwert? Nur der Tradition? Ihren berühmten Inhabern: Matthew Arnold, Robert Graves, Cecil Day Lewis und W.H. Auden? Der Ire Seamus Heaney, Literaturnobelpreisträger auch er, war von 1989 bis 1994 "Oxford Professor of Poetry".

    "Diese Professur ist für die literarische Kultur im Königreich von zentraler Bedeutung, zumal wenn sie von Experten bekleidet wird, die in ihr auch einen Auftrag zur Popularisierung von Lyrik sehen."

    Dichtung populär machen: Dafür sind in Großbritannien andere Institutionen zuständig. Sie haben in den letzten Jahren in der Tat eine wahre Lyrik-Renaissance ausgelöst: Einrichtungen wie die "Poetry Society", die vielen auf Lyrik spezialisierten Kleinverlage und die Klubs landauf, landab, in denen Leute wie Steve Larkin bei "Poetry Slams" ans Mikrofon treten.

    Larkin war als Rebell ins Rennen gegangen um, wie er sagte, den literarischen Kanon aufzumischen und seine Literaturkanone abzufeuern auf die "Elfenbeintürme des Establishments, die wie Trutzburgen permanent alles Neue blockieren". Gleichwohl, auch der Außenseiter hat dem neuen Mann in Oxford spontan gratuliert, wenn schon nicht zum neuen Lorbeer, so wenigstens zum Geburtstag. Professor Geoffrey Hill wurde gestern 78.