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Dichtung und Wahrheit

Stärkt die Abwehrkräfte, unterstützt das Wachstum - solche Aussagen dürfen Lebensmittelhersteller nur noch auf ihre Produkte schreiben, wenn sie wissenschaftlich bewiesen sind, heißt es in der neuen EU-Health-Claims-Verordnung. 44.000 Werbesprüche wurden bei der zuständigen EU-Behörde daraufhin geprüft, nur 200 kamen durch.

Von Susanne Kuhlmann | 14.12.2012
    Schwarztee fördert die Konzentrationsfähigkeit, und Kinderschokolade unterstützt das Wachstum – Werbeaussagen wie diese sind ab heute verboten. Das ist eine gute Nachricht, meint Oliver Huizinga von der Verbraucherorganisation Foodwatch. Das Verbot betrifft auch andere Wirkstoffgruppen:

    "Beispielsweise die probiotischen Joghurts, beispielsweise von Danone unter anderem, jahrelang beworben als Verdauungswunderjoghurts - Stichwort Activia - oder Produkte, die angeblich vor Erkältung schützen sollen oder das Immunsystem stärken. Das ist alles nicht belegt worden, bzw. nicht zugelassen worden durch die EU. An dieser Stelle ist es so, dass die Hersteller jahrelang Dinge behauptet haben, die sie jetzt nicht mehr behaupten, ganz einfach weil sie es nicht mehr dürfen."

    Lebensmittelhersteller dürfen auch nicht mehr behaupten, dass bestimmte Pflanzenstoffe Wechseljahresbeschwerden lindern oder dass Cranberry die Gesundheit der Blase fördert,

    "… während wir auf der anderen Seite als Sieger, wenn man das so bezeichnen darf, die Vitamine und Mineralstoffe allgemein haben, die Phytosterole und auch die Ballaststoffe hinsichtlich Verdauung."

    Phytosterole als Bestandteile pflanzlicher Fette und Öle bilden die Vorstufe von Vitaminen und Hormonen. Vitamin C stärkt das Immunsystem und Knochen brauchen Kalzium. Doch Angela Clausen, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, beklagt, dass die neue Verordnung keine Höchstgrenzen für das Zusetzen von Vitaminen und Mineralstoffen setzt:

    "Wir haben das Problem der Mehrfachanreicherung, dass wir eben inzwischen in ganz vielen Produkten Vitamin C drin haben, Vitamin B zugesetzt haben, Folsäure drin haben. Gerade die Folsäure ist ein großes Problem, weil die Höchstmenge, die man pro Tag zu sich nehmen kann, relativ schnell zu überschreiten ist, wenn sehr viele Produkte damit angereichert werden."

    Obst und Gemüse lieferten zudem in frischem Essen Vitamine in ausreichender Menge. Angela Clausen sieht noch ein weiteres Problem.

    "Im Moment ist es tatsächlich so, dass ich einen Bonbon, der zu 100 Prozent aus Zucker besteht, wo ich einfach Vitamine rein tue, als gesundes Lebensmittel, als super vitaminreich oder als Vitaminquelle bezeichnen darf. Das sollte eigentlich nicht der Fall sein."

    Verhindern ließe sich das mit Nährwertprofilen, die zeigen, wie süß, salzig oder fett ein Lebensmittel ist, unabhängig vom Vitamingehalt.

    Ob Hersteller künftig mit Allgemeinplätzen werben, statt mit gesundheitsbezogenen Aussagen, wie die Verbraucherzentrale befürchtet oder ob sie ihr Marketing ganz anders aufbauen – jeder muss die neue Verordnung umsetzen. Danone hat schon Anfang dieses Jahres reagiert und die Kommunikation in Bezug auf seine Joghurtprodukte verändert, erklärt Unternehmenssprecher Friedrich von Heyl.

    "Rückblickend glauben wir tatsächlich, dass die eine oder andere komplexe wissenschaftliche Erkenntnis vielleicht zu vereinfacht kommuniziert wurde. Das sehen wir. Und da haben wir auch dazugelernt."

    Die Ernährungsindustrie spürt zudem, dass die Verbraucher kritischer geworden sind.

    "Richtig ist auch, dass die Erwartung der Verbraucher in puncto Produktkommunikation sich geändert hat. Heute ist der Verbraucher viel sensibler als noch vor einigen Jahren, und wir haben uns dieser Verantwortung gestellt, indem wir unser gesamtes Kommunikationskonzept überdenken."
    Fazit: Die neue Verordnung sorgt dafür, dass viele unbewiesene Gesundheitsversprechen aus den Werbebotschaften verschwunden sind. Es bleiben aber noch Lücken zu schließen. Ernährungsexpertin Angela Clausen rät:

    "Nicht auf angereicherte Produkte, sondern auf ganz natürliche Lebensmittel setzen, auf saisonale Herkunft, auf regionale Herkunft achten soweit es geht."