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Dichtung und Wahrheit

Maike Albath: Zu Beginn Ihres neuen Romans Die mysteriöse Flamme der Königin Loana erwacht Ihr Held nach einem Infarkt aus dem Koma und kann sich nicht mehr an seinen Namen erinnern. Statt dessen fallen ihm lauter Zitate ein, in denen von Nebel die Rede ist. Auch aus früheren Büchern kennt man Nebel-Szenen. Wie kommt es zu Ihrer Vorliebe für dieses meteorologische Phänomen, Umberto Eco?

Von Maike Albath | 20.09.2004
    Umberto Eco:
    Ich bin im Nebel geboren. Für mich war das immer etwas Magisches, vor allem in den Kriegsjahren, in der Zeit, als man die Fenster verdunkeln musste, die ja auch Gegenstand meines Romans ist. Sich im Nebel zu bewegen und geschützt zu fühlen, das mag ich sehr. Neulich haben wir mit meiner Schwiegertochter eine Reise ins Piemont unternommen, sie stammt aus Rom und konnte gar nicht begreifen, was ich meine! Die Schönheit des Nebels war völlig ihr fremd, sie fand ihn hässlich. Für mich gibt es zwei Sorten von Nebel: der Nebel der Ebene, denn meine Heimatstadt Alessandria liegt im Flachland, und dort kann der Nebel total sein. Die andere Sorte ist der Nebel in den Hügeln, wie in den Langhe im Piemont, da gibt es lauter Hügelketten, die wie Theaterkulissen aufeinander folgen. Zwischen den Hügeln können Bänder aus Nebeln entstehen, kleine Inseln, während andere Stellen noch frei liegen, das ist wunderschön. Ich habe sogar Nebel-Fotos gesammelt und wollte ursprünglich eine nebelige Landschaft auf dem Buchumschlag abbilden. Für mich ist Nebel etwas Faszinierendes und Schützendes zugleich – ich fühle mich wie im Mutterbauch. Ich kann nicht sagen, dass ich glücklich wäre, wenn während einer Autofahrt Nebelschwaden aufsteigen, aber ich habe das Autofahren im Nebel gelernt und fühle mich dann viel sicherer als andere.

    Maike Albath: Genau wie Sie ist ihr Held, der Antiquar Bodoni, genannt Yambo, 1932 in Alessandria geboren, Sie teilen mit ihm Herkunft, Alter und die Leidenschaft für alles Gedruckte. Anders als er haben Sie mit Ihrem Gedächtnis keine Probleme, aber es gibt doch einige Parallelen zu Ihrer Lebensgeschichte. Können Sie uns diesen Yambo etwas näher vorstellen, was ist er für ein Mensch?

    Umberto Eco: Es handelt sich nicht um einen autobiographischen Roman. Aber da es um die 30er und 40er Jahre geht, habe ich Yambo viele meiner eigenen Erinnerungen geschenkt, einige typische Erfahrungen meiner Generation, und etliches habe ich auch meinen Freunden geklaut. Ich habe mich darum bemüht, eine Figur zu erfinden, die sich deutlich von mir unterscheidet. Yambo hat zum Bespiel nie etwas geschrieben, seine Nachkriegserlebnisse sind völlig andere als meine. Ich brauchte einen eher normalen Menschen, dem die Tragödie des Gedächtnisverlustes widerfährt. Bevor ich dieses Problem anging, habe ich geforscht und zahlreiche Bücher über Gedächtnisverlust konsultiert. Mir wurde klar, dass es verschiedene Formen von Gedächtnis gibt. Auf der einen Seite existiert das, was wir das "automatische Gedächtnis" nennen, es erlaubt mir, Auto zu fahren oder mir die Schuhe zuzubinden. Eine andere Form nennt sich "semantisches Gedächtnis", das ist das öffentliche, allgemeine Gedächtnis, man weiß, dass der Löwe ein Tier ist, das in Afrika lebt oder kann auswendig ein Goethe-Gedicht rezitieren. Das dritte Gedächtnis ist das autobiographische, ich weiß, wer meine Eltern sind. Nun habe ich entdeckt, dass man sehr wohl nur das autobiographische Gedächtnis verlieren kann und die anderen nicht. Meinem Helden passiert genau das: Er weiß nicht, wer er ist, erkennt weder seine Frau, noch seine Kinder wieder, aber er erinnert sich an seine gesamte Bildung. Mich interessierte eine Figur, die sich an sich selbst nicht erinnert, aber alles über Homer und T.S. Eliot weiß und sich davon nicht mehr befreien kann. Die gesamte Enzyklopädie stürmt auf diesen Mann ein wie lose Blätter, und er muss sie mit bloßen Händen vertreiben, als sei es ein Bienenschwarm. Darum geht es in meiner Geschichte. Yambo kann sein Gedächtnis mithilfe von Papier rekonstruieren, er fängt nämlich an, die Bücher seiner Kindheit wieder zu lesen. Übrigens hatte ich große Angst vor fremden Einflüssen, denn nach Proust kann man natürlich nicht von der Suche nach Erinnerungen durch Gerüche und Gefühle erzählen. Bei mir geht es um das Gegenteil: durch Papier, durch Bücher kann sich mein Held eine ganze Epoche ins Gedächtnis rufen. In diesem Sinne sollte es auch die Autobiographie einer Generation sein.
    Maike Albath: In Ihrem Buch finden sich genau aus diesem Grund viele Abbildungen: ganze Seiten aus Comicheften, Einbände von Abenteuerbüchern, Schallplattenhüllen, Zigarettenschachteln, Zeitungsseiten. Besteht ein Unterschied zwischen den dreißiger Jahren und heute, was den Wert des öffentlichen Gedächtnisses angeht?

    Umberto Eco: Ich glaube, früher hat man die Erinnerung an die Vergangenheit viel stärker bewahrt. In jedem Haus fanden sich alte Zeitungssammlungen, die Mutter oder sogar die Großmutter erzählte von früher. Heute erzählen die Großmütter nicht mehr. Die Leute gucken Fernsehen, es kommt jeden Tag so viel Gedrucktes ins Haus, dass man das meiste davon wegschmeißt. Es scheint mir, dass es für einen Jugendlichen von heute weniger Rumpelkammern mit Erinnerungsmaterial gibt als noch zu meiner Zeit.

    Maike Albath: Bei früheren Büchern hatten Sie oft einen Initiationsmoment, einen Einfall, aus dem sich dann die ganze Geschichte entwickelt hat. Bei Der Name der Rose war es die Idee eines vergifteten Mönchs, beim Foucaultschen Pendel das Bild des großen Pendels in Paris. Was für eine Flamme hat sich dieses Mal entzündet, Umberto Eco?
    Umberto Eco: Dieses Mal war es eine ganz merkwürdige Flamme, die mit einer meiner wertvollsten Tugenden zusammenhängt: wenn andere sprechen, habe ich nämlich die Fähigkeit, wegzuhören und an meinen eigenen Kram zu denken. Deshalb sind für mich Gespräche ungeheuer nützlich! Ich wollte eigentlich einen Essay über Erinnerungen an die 30er und 40er Jahre schreiben. Aber genau ein Jahr zuvor hatte mein Freund, der große italienische Literaturkritiker Alberto Asor Rosa ein Buch über seine Erinnerungen verfasst. Ich bin sogar nach Rom gefahren und habe die Buchvorstellung gemacht! "Ich hasse Dich!", habe ich zu ihm gesagt, "Du hast das getan, was ich vorhatte!" Er antwortete, dass ihn mein Roman Das Foucaultsche Pendel auf die Idee gebracht hatte, denn darin hatte ich Kindheitserinnerungen verarbeitet. Ich habe gesagt, "Na gut, egal, ich mache das trotzdem, denn schließlich bist Du aus Rom und ich bin Norditaliener, unsere Erfahrungen sind also völlig unterschiedlich". Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich die Sache anpacken sollte. Eines Tages ging ich mit einem anderen sehr guten Freund in eine Bar. Er erzählte mir eine sehr interessante Geschichte, das vermute ich zumindest, und irgendwann tauchten in dieser Geschichte die Wörter "Gedächtnis" und "Vergessen" auf, und während ich meinen Gin Martini trank und er sprach, hatte ich plötzlich einen Einfall: ich wollte über jemanden schreiben, der sein Gedächtnis verloren hat. Mein Freund fragte plötzlich, "Entschuldige, hörst Du mir überhaupt zu?" "Ja, ja", antwortete ich ihm, "mir ist nur gerade etwas eingefallen". Und dann habe ich sofort an eine befreundete Neurologin in den USA geschrieben und ihr erklärt, dass ich eine Figur erfinden wollte, die nur einen Teil ihres Gedächtnisses verliert, ob das denkbar wäre? "Genau im letzten Jahr hatte ich so einen Patienten", antwortete sie mir, "nur zu!"

    Maike Albath: Außer in den kurzen Episoden im Foucaultschen Pendel haben Sie in Ihren Romanen noch nie Bezug auf die Gegenwart oder Ihre private Vergangenheit genommen. Ihre Bücher spielten immer in historisch fremden Räumen. Gibt es Vorteile oder Nachteile, Umberto Eco, wenn man sich der eigenen Zeit annährt?

    Umberto Eco: Die Vorteile und die Nachteile sind folgende. Ein Vorteil war für mich, dass ich zwei Jahre lang in meiner Vergangenheit leben durfte. Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis und kann mich tatsächlich noch an alles das, was ich in meinem Buch zitiere, erinnern, sogar die Texte der Schlager weiß ich auswendig. Trotzdem musste ich natürlich alles kontrollieren. Ich habe mich auf Flohmärkten herum getrieben und im Internet nach alten Bildern gesucht. Im Roman finden sich etwa 250 Abbildungen, aber in Wirklichkeit habe ich über 2000 zusammen gesammelt, aus denen ich dann eine Auswahl treffen musste. Und während dieses Prozesses fielen mir natürlich noch mehr Sachen ein, Dinge, die ich vergessen hatte. Die negative Seite der ganzen Angelegenheit war, dass ich das Buch irgendwann sehr schnell zu Ende bringen musste, weil ich zum Gefangenen meiner Sammlung wurde. Ich wachte schon morgens mit einer Schnulze auf den Lippen auf und habe an nichts anderes mehr gedacht. Ich musste da raus. Sonst wäre das Buch tausend Seiten dick geworden, mit tausend Bildern.

    Maike Albath: Ihre Protagonist Yambo erlebt ja eine ähnliche Situation: auf dem Dachboden seines Landhauses durchstöbert er Kisten mit Comics und Schulheften und immer wieder kommt ihm etwas Neues in die Hände. Er erlebt einen "ewigen Anfang", wie Sie es einmal nennen, und dreht sich im Kreis. Das Gedächtnis ist also dazu da, Erfahrungen zu hierarchisieren und ihnen einen bestimmten Platz zu geben?

    Umberto Eco: Das ist ein Problem, dass weit über mein Buch hinausgeht und sich auch in Bezug auf das Internet stellt. Das Gedächtnis hat zwei Funktionen: es bewahrt auf und es filtert. Wenn wir nicht die Hälfte all dessen, was wir lernen, wieder wegwürfen, würden wir völlig verrückt. Als Yambo sein autobiographisches Gedächtnis verliert und nur das semantische zur Verfügung hat, ist er völlig überfordert. Um es zu filtern, muss er sich selbst wieder finden, er muss sich sagen können: das bin ich, und für mich ist dieses oder jenes wichtig. Andernfalls ist am Ende alles wichtig. Heute befinden wir uns in einem Zeitalter, das mehr Informationen zur Verfügung hat als jedes andere. Die Enzyklopädie ist unendlich. Früher wurde uns die Arbeit des Filterns abgenommen. Nicht nur durch Zensur, auch weil ein Verlag bestimmte Bücher in sein Programm aufnahm und andere nicht. Heute hat ein Jugendlicher über das Internet Zugang zu jeder Art von Quelle. Wenn ich das Stichwort "Holocaust" eingebe, stoße ich auf Tausende von Websites. Einige sind antisemitisch, andere demokratisch, wieder andere stammen von Neonazis. Ich kann das erkennen, schon die Grafik zeigt mir, ob es sich um Websites von Neonazis handelt. Für einen Jugendlichen ist das nicht so einfach. Es geht darum, die Quellen einzuordnen und bewerten zu lernen. Die Kultur, verstanden als ein anthropologischer Begriff, hatte immer die Funktion eines Filters. Man muss wissen, wann Julius Cäsar gestorben ist, wann seine Frau starb, ist nicht so wichtig. Es geht um Entscheidungen. Man könnte die ganze Weltgeschichte neu aufschlüsseln und den Tod der Ehefrau Cäsars zu einem bedeutenden Ereignis machen. Die Kultur trifft bestimmte Entscheidungen und filtert. Im Internet existiert dieser Filter nicht mehr. Es fehlt das, was unsere alten Nachschlagewerke leisteten: dort findet man einen Eintrag zu Julius Cäsar, aber seine Frau wird höchstens in Klammern erwähnt. Jetzt besteht die Gefahr, dass sechs Milliarden Menschen auf der Welt sechs Milliarden verschiedener Enzyklopädien haben und sich überhaupt nicht mehr verstehen. Von wegen: der Westen gegen den Islam, ich gegen Sie! Das ist eine der großen Gefahren der Zukunft.

    Maike Albath: Sie argumentieren jetzt als jemand, der sich mit Zeichentheorie und Sprachphilosophie auskennt. Nach Ihrer Doktorarbeit über Thomas von Aquin waren Sie eine Zeitlang beim Fernsehen, Sie haben dann eine Weile in einem Verlag gearbeitet, bis sie zurück an die Universität gingen. Haben Sie sich bewusst für die Wissenschaft entschieden oder hat sich das einfach so ergeben?

    Umberto Eco: Außer während einer sehr kurzen Phase in meiner Kindheit, als ich Straßenbahnschaffner werden wollte, weil mir die Taschen der Kontrolleure mit diesen kleinen Fahrkartenmaschinen und den verschiedenen Billets so gefielen, wollte ich eigentlich immer Schreiben. Ich habe mit zehn Jahren einige Romane verfasst und ein paar Comics, der Gedanke, Bücher zu schreiben, war also schon früh da. Ursprünglich dachte ich an den Beruf des Journalisten. Dass ich mich dann der Arbeit an der Universität und im Verlag gewidmet habe, hing mit dem Einfluss eines Freundes zusammen. Er war vier Jahre älter als ich und hat mich immer wie einen Fußabtreter behandelt, aber mir große Weisheit vermittelt. "Du solltest nicht Journalist werden", sagte er mir, "solche Leute müssen nachts im Krankenhaus vorbei schauen und sich nach den Unfällen erkundigen, das ist doch schrecklich. Eine völlig überflüssige Sache. Du musst Wissenschaftler werden und Bücher veröffentlichen. Du wirst sehen, dass Du dann auf der ersten Seite des Corriere della Sera schreiben darfst".

    Maike Albath: Er hat recht behalten, denn Sie tun das ja mitunter, vor allem haben Sie in dem Wochenmagazin L’Espresso eine berühmte Kolumne, Ihre Streichholzbriefe, da nehmen Sie auch zu gesellschaftlichen Fragen Stellung. Hat sich die Rolle der Intellektuellen unter Berlusconi und angesichts der aktuellen politischen Probleme verändert?

    Umberto Eco: Natürlich nimmt man Stellung, das ist ganz klar. Aber die Massengesellschaft neigt dazu, den Intellektuellen auf eine Rolle als Orakel festzulegen. Das Telefon klingelt und jemand fragt: "Bitte sagen Sie uns doch die Wahrheit über dieses oder jenes". Wenn ich dann antworte: ich habe keine Wahrheit, sind sie extrem enttäuscht. Diese Orakel-Funktion bekommt oft etwas extrem Komisches. In meiner Heimatstadt Alessandria gab es vor ein paar Jahren eine fürchterliche Überschwemmung, das Wasser ging bis zu den Fenstern. Ich bekam einen Anruf: "Was haben Sie für eine Meinung zu dieser Überschwemmung?" Also wirklich, was soll ich da für eine Meinung haben? Ich habe Mitleid! Das einzige, was ich tun konnte, war, einen Scheck zu unterschreiben, aber nicht als Intellektueller! Sondern als Bürger! Ich muss wirklich lachen, wenn sich jemand meldet und sagt: "Greta Garbo ist gestorben. Was haben Sie dazu zu sagen?" Was soll man sagen, eine große Schauspielerin ist tot! Was erwarten die sich, was ein Intellektueller zum Tod von Greta Garbo zu sagen hat. Dieser Versuch, Intellektuelle zum Orakel zu machen, hängt mit dem allgemeinen Niedergang zusammen, mit dem Verlust der Ideologien, es gibt keine Parteien mehr, wen soll man um Rat fragen? Das treibt viele Intellektuelle dazu, zum professionellen Orakel zu werden und dauernd im Fernsehen aufzutreten und über alles zu reden. Da sie aber nicht über alles Bescheid wissen, erzählen sie Unsinn, der auch noch Einfluss gewinnt. Als Intellektueller muss man sich also verteidigen und sagen: ich kenne die Antwort nicht. Das ist das klassische Vorbild von Sokrates: man weiß, dass man nichts weiß. Nur ungebildete Menschen denken, dass sie viel wissen. Der gebildete Mensch weiß, dass er nichts weiß.

    Maike Albath:
    Sie überlegen es sich also gründlich, Umberto Eco, ob Sie sich in einer Angelegenheit zu Wort melden wollen oder nicht. Anlässlich einer Schule hier in Mailand, die eine Klasse für islamische Kinder einrichten wollte, haben Sie öffentlich Position bezogen. Wie beurteilen Sie die Konflikte zwischen dem westlichen Gedankengut und dem Islam, brauchen wir eine neue Aufklärung?

    Umberto Eco: Ich glaube nicht. Schon vor zehn Jahren habe ich geschrieben, dass Europa innerhalb der nächsten dreißig Jahre zu einem farbigen Kontinent werden wird. Das wird grundlegende Veränderungen mit sich bringen, die nicht von selbst passieren, sondern sehr schmerzhaft sein werden. Wir stecken jetzt mitten in diesem Prozess. Lösungen gibt es nicht. Der Streit um das Kopftuch zum Beispiel – ich sprach neulich mit meinen französischen Freunden darüber, da kann man geteilter Meinung sein. Auf jeden Fall ist sicher, dass das Land mit einer veränderten Situation zurecht kommen muss. In welche Richtung diese Veränderungen gehen werden, hängt nicht nur von uns ab, sondern auch vom Islam und von vielen anderen Dingen. Eine Sache, bei der ich mich zu Wort gemeldet habe, ist die Frage der italienischen Grenzen. Und da ist die einzige Möglichkeit die des Verhandelns. Es geht nicht darum, ob jemand schwarz oder weiß ist. Wir einigen uns, ich gebe dir das, du gibst mir das. Wenn wir nicht in mit dem Verhandeln beginnen, werden wir scheitern. Ich habe einen Artikel über diese Angelegenheit hier in Mailand geschrieben. Eine Gruppe ägyptischer Eltern wollte ihre Kinder nur auf das italienische Gymnasium schicken, wenn separate Klassen für sie eingerichtet werden. Das steht sämtlichen Vorstellungen von Integration, Demokratie und Respekt dem anderen gegenüber entgegen, denn die Ägypter haben das Recht zu sehen, wie die Italiener leben und andersherum genauso. Die Schule hat den Wunsch akzeptiert, aber es gab einen Aufstand unter den Eltern, schließlich musste die Schule das Angebot zurücknehmen, die Ägypter haben eine Privatschule gegründet, andere schickten ihre Kinder nach Ägypten zurück. Das Prinzip des Verhandelns hätte darin bestanden, ihnen zu sagen, gut, für ein oder zwei Jahre gibt es getrennte Klassen, aber ihr bemüht euch, unsere Kultur kennen zu lernen. Wir treffen einfach eine ganz bestimmte Abmachung. Ich befürchte, dass die Kopftuchfrage in Frankreich zu einem ähnlichen Konflikt führen wird, auch wenn ich die Prinzipien verstehe, aber vielleicht hätte man auch dort verhandeln müssen. Verhandlungen sind das, was auf dem orientalischen Bazar passiert. Du willst Hundert haben, ich biete dir Fünfzig an, du gehst auf Neunzig, ich will dir Sechzig geben und am Ende einigen wir uns auf Siebzig, ich habe ein bisschen mehr bezahlt und du hast etwas weniger verdient, aber am Ende sind wir beide ganz gut weggekommen.

    Die mysteriöse Flamme der Königin Loana
    Carl Hanser Verlag, 480 S., EUR 25, 90

    Die Geschichte der Schönheit
    Carl Hanser Verlag, 440 S., EUR 39,90