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Dido: "Still On My Mind"
Nostalgisch ohne Wehmut

Ihre Karriere begann als Backgrounds-Sängerin bei Faithless vor mehr als 20 Jahren - seit dem hat Dido immer wieder Platten veröffentlicht. Nun erscheint ihr neues Album - ein richtiges Familienprojekt: Es wurde produziert von ihrem Bruder, und alle Songs mussten zunächst ihrem Sohn gefallen.

Von Andreas Zimmer | 09.03.2019
Dido 2019
Erst nachdem Dido ihr Mutterglück erfolgreich in einem Song verarbeitet hatte, fühlte sie sich wieder bereit, mehr zu schreiben (FIN)
Eigentlich hat Dido schon immer lange Pausen zwischen fast allen ihren Alben eingelegt. So müssten die sechs Jahre, die es bis zur neuen Platte "Still On My Mind" gedauert hat, nicht weiter verwundern. Doch diesmal war alles ganz anders: Die heute 47-Jährige hatte erst spät, vor sieben Jahren, ihr erstes Kind bekommen und wollte sich dem Sohn ganz und gar widmen.
Außerdem: "Ich bin da ganz ehrlich: Nachdem ich meinen Sohn bekommen habe, waren alle Songs, die ich danach schrieb, einfach nicht wirklich gut. In jedem Stück, das ich bis dahin komponiert hatte, gab es eine Art inneren Konflikt, es gab Lügen, Dunkelheit. Nachdem mein Sohn da war, gab es für mich nur noch ein Gefühl: pure Liebe."
Songs ohne Reibungsfläche
Erst nachdem sie ihr Mutterglück erfolgreich in einem Song verarbeitet hatte, fühlte sie sich wieder bereit, mehr zu schreiben. Zur Not eben auch Songs ohne Reibungsfläche. Wohlklang war ja auch schon immer ihre Stärke. Und apropos Fläche: Auf "Still On My Mind" lässt Dido den Stücken Luft zum Atmen und pflastert nicht alles mit Soundflächen zu. Das ist angesichts des Produzentenpop im Radio – und das Radio hat sie ja nun mal groß gemacht - mutig. Und es ist gelungen.
"Ich wollte etwas wirklich Einfaches machen, irgendwie Lo-Fi, nicht zu kompliziert. Es sollte nur um die Songs gehen. Und um die Sounds, die ich mag. Ich komme aus der Dance-Musik und aus dem Hip-Hop. Also wollte ich diese Sounds auch benutzen. Auch die elektronische Musik. Die muss auch nicht immer Beats beinhalten."
Der Mann an den Reglern
Didos Bruder ist Rollo Armstrong, der als Mastermind von Faithless gilt. In der Band war Dido vor ihrem Durchbruch Background-Sängerin. Schon beim ersten Soloalbum war ihr Bruder der Mann an den Reglern und hat auch an den Songs mitgeschrieben. Das ist jetzt immer noch so. Wobei ein ganz neuer Aspekt eine wichtige Rolle spielte: Dido wollte ausschließlich mit ihrem Bruder arbeiten. Ohne ihn hätte es das aktuelle Album nicht gegeben:
"Ich dachte: 'Schau' mal, du könntest mit diesem oder jenem ins Studio gehen.' Klar, das wäre schon irgendwie lustig geworden. Aber eigentlich ist und war die einzige Person, mit der ich wirklich zusammenarbeiten wollte, mein Bruder. Und hätte er keine Zeit dafür gehabt, wäre es für mich auch OK gewesen, gar kein Album zu machen."
Kein Wunder also, dass "Still On My Mind" so vertraut klingt. Alles ist irgendwie schon mal dagewesen. Sogar Faithless-Sängerin Sister Bliss rundet das akustische Bild ab. Die Songs bauen auf altbekannten Dancemusic-Formeln der frühen Nullerjahre auf. Aber: Es gibt insgesamt nur ganz wenige Beats zu hören, was das Ganze dann doch zu etwas Besonderem macht.
Qualitätskontrolle durch den Nachwuchs
Dido fühlte sich bei der Arbeit an "Still On My Mind" von allen Zwängen befreit, nicht zuletzt deshalb, weil sie gar keinen Plattenvertrag hatte. Dementsprechend gab es auch niemandem vom Label, der reinreden wollten. Große Teile des Albums sind in Didos Wohnzimmer entstanden. Ein Familienalbum im wahrsten Sinne des Wortes: Denn es war schwer, den Sohnemann fern- beziehungsweise ruhigzuhalten. Alle Songs mussten daher seine Qualitätskontrolle überstehen.
"Mein Sohn liebt die Musik so sehr und war beim ganzen Entstehungsprozess dabei. Wie alle Kinder sagt er einfach geradeheraus genau das, was er denkt, ohne Vorbehalte. Er hat einen guten Instinkt und denkt nicht zu viel über alles nach. Er würde nie sagen: 'Ach, mach' doch mal da einen Beat drauf, das könnte ein Hit werden!' Wenn er nach 30 Sekunden nicht auf ein Stück reagiert, ist es wahrscheinlich nicht gut genug."
Didos Stimme gewinnt durch die Mutterschaft ein paar warme und volle Frequenzen in den tiefen Tonlagen hinzu. Man fühlt sich von der Musik förmlich in den Arm genommen und geborgen. Frei nach dem Motto: 'Keine Angst, Mama Dido ist für dich da!' Dennoch ist ihre Mutterschaft nur ein Teilaspekt des Albums. Wiegenlieder muss man nicht befürchten. All das, was Dido früher schon beschäftigt hat – Liebe, Liebeskummer –, klingt zumindest an.
Pop ohne Politik
An die aktuelle Politisierung der Popmusik schließt sie aber nicht an. Und so erklärt sich auch der Albumtitel "Still On My Mind" als Blick zurück: "Ich wollte das Album so nennen, weil ich dieses bestimmte Gefühl für die Leute hatte, die meine Musik hören. Ungefähr so: 'Ich denke immer noch an Euch und auch an die Musik. Ihr seid immer in meinem Kopf.' Ich komme davon nicht los und möchte das auch gar nicht. Ich hatte auch gar nicht vor, davor wegzulaufen, es ist einfach so passiert. Aber ich werde immer weiter machen."
Dido Plattencover 2019
Dido Plattencover 2019 (Somm)