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Die Abschaffung der alten Macht

Im Dezember 1989 überschlugen sich in der DDR die Ereignisse: Am 1. Dezember strich die Volkskammer den Verfassungsartikel, der den Führungsanspruch der SED begründet, zwei Tage später traten Politbüro und Zentralkomitee zurück. Am 7. Dezember trafen sich die ehemals Mächtigen mit der Opposition zur ersten Sitzung am Runden Tisch.

Von Kirsten Heckmann-Janz | 07.12.2009
    "Es ging ja um nichts anderes als die Abschaffung der alten Macht, wovon wir uns auch nicht abbringen lassen wollten."

    Martin Gutzeit, einer der 15 Vertreter der Opposition, die am frühen Nachmittag des 7. Dezembers 1989 am Verhandlungstisch im Ostberliner Dietrich-Bonhoeffer-Haus Platz nahmen. Ihnen gegenüber saßen Politiker der in der Volkskammer vertretenen Blockparteien und als Vertreter der SED unter anderem Gregor Gysi.

    Im Saal herrschte drangvolle Enge, mehr als 20 Kamerateams hielten den historischen Moment fest, als Oberkirchenrat Martin Ziegler, Gastgeber und Moderator, die Teilnehmer am Zentralen Runden Tisch begrüßte. Der Verhandlungstisch sei allerdings nicht rund, sondern rechteckig, stellte der Kirchenvertreter fest.

    "Wir wollten die Ecken der Tische zu unserem heutigen Gespräch auch nicht absägen. Das wäre nicht nur Beschädigung fremden Eigentums gewesen, es wäre auch der Sache nicht angemessen, denn die Probleme, mit denen wir uns heute zu befassen haben, sind kantig."

    Anfang November, schon vor dem Fall der Mauer, hatten Bürgerrechtsgruppen einen Runden Tisch gefordert. Die krisenhafte Situation könne mit den bisherigen Macht- und Verantwortungsstrukturen nicht mehr bewältigt werden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Die Einladung zum Runden Tisch erfolgte - auf Bitten der Opposition - durch die Kirchen. Martin Gutzeit:

    "Ein wichtiger Punkt war: Wir brauchen jetzt eine legitimierte Regierung. Und damit lag ja schon die zentrale Aufgabe des Runden Tisches fest, das heißt, die Voraussetzungen für die freien Wahlen zu schaffen. An der Frage der Wahl hing natürlich Verschiedenes, die Verfassungsfrage lag dann auch mit auf dem Tisch - oder Wahlgesetz, Parteiengesetz und all solche Fragen."

    Ein riesiges Arbeitspensum, das in nur wenigen Monaten bewältigt werden musste, erinnert sich Ulrike Poppe, die die Initiative "Demokratie Jetzt" am Runden Tisch vertrat:

    "Uns fehlten Berater, uns fehlte ein Büro, uns fehlten Leute, die ein wenig die Entscheidungen vorbereiten, die wir am Runden Tisch zu treffen hatten. Und das waren aber auch tagespolitische Entscheidungen, die zu fällen waren, weil weder Regierung noch Volkskammer die Autorität besaßen, um so wichtige, aktuelle, notwendige Entscheidungen treffen zu können. Zum Beispiel, was die Lage im Lande betraf, so hörten wir einiges von Unruhen, von drohender Gewalt, von einem bestimmten Zustand in der Volkswirtschaft, aber wir hatten gar nicht die Möglichkeiten, diese Informationen zu prüfen, zu beurteilen."

    "Die Befürchtungen von Instabilität und so weiter und so fort ist insbesondere von den Vertretern der alten Macht, auch den Blockflöten, massiv vorgetragen worden, wo sie sozusagen Angst machten, um uns sozusagen etwas einzuschüchtern, aber ich glaube, es hat uns nicht gehindert, unsere Forderungen vorzutragen."

    Am Ende des ersten Verhandlungstages fasste der Pfarrer Wolf-Dieter Günther die Ergebnisse vor der Presse zusammen:

    "Obwohl der Runde Tisch keine parlamentarische oder Regierungsfunktion ausüben kann, will er sich mit Vorschlägen zur Überwindung der Krise an die Öffentlichkeit wenden. Er fordert von der Volkskammer und der Regierung, rechtzeitig vor wichtigen rechts-, wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen informiert und einbezogen zu werden. Er versteht sich als Bestandteil der öffentlichen Kontrolle in unserem Land."

    In fast jeder größeren Stadt bildeten sich örtliche Runde Tische, ebenso zu verschiedenen Themen, wie Medien oder Kultur. Der Zentrale Runde Tisch tagte bis Mitte März 1990. Wenige Tage später fanden die Volkskammerwahlen statt. Ulrike Poppe:

    "Durch den Runden Tisch war es möglich, dass in verhältnismäßig kurzer Zeit die Vorbereitungen getroffen werden konnten für wirklich freie Wahlen und damit sozusagen der Grundstein gelegt wurde für eine demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung. Ich habe große Zweifel, ob das also ohne diesen Runden Tisch so gelungen wäre, wie es hier gelungen ist. Außerdem war das eine Möglichkeit, auch gewaltsame Auseinandersetzungen zu vermeiden. Man hat miteinander geredet, wir haben also auch an dem Runden Tisch mit unseren politischen Gegnern geredet, mit der SED, und dieses Sprechen miteinander hat es möglich gemacht, dass das alles ohne Gewalt ablaufen konnte."