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Die Achillesferse der Krebszellen

Am Krebsforschungsinstitut in London sind Wissenschaftler einer Art Achillesferse von Tumorzellen auf der Spur, die sie mit Medikamenten angreifen wollen. Ihr Ziel ist es, den Widerstand der Krebszellen gegen eine Bestrahlung zu brechen. In Stockholm haben sie erste Ergebnisse auf einem internationalen Krebskongress präsentiert.

Von Christine Westerhaus | 28.09.2011
    Der Kampf gegen den Krebs findet meist auf mehreren Schauplätzen statt. Chemotherapien bringen die Zellfunktionen durcheinander, eine Bestrahlung verhindert die Zellteilung, und wenn es möglich ist, wird ein Tumor operiert. Manche Krebszellen zeigen sich aber auch von den heftigsten Angriffen nur wenig beeindruckt. Kevin Harrington vom Krebsforschungsinstitut in London forscht daher an neuen Medikamenten, die Tumorzellen empfindlicher für eine Bestrahlung machen. Dabei hat er es vor allem auf spezielle Schutzfunktionen abgesehen, die Zellen aktivieren, um sich vor Schäden zu schützen. Diese Notbremse versucht der Forscher auszuschalten:

    "Wenn sich eine Krebszelle teilt, muss sie verschiedene Kontrollpunkte passieren, die wie Ampeln funktionieren. Eine normale Zelle wird diese Ampeln auf Rot stellen, wenn wir sie durch eine Chemo- oder Bestrahlungstherapie stressen. Steht die Ampel auf Rot, teilt sich die Zelle nicht weiter und schützt sich damit vor den Schäden einer solchen Behandlung. Bei Krebszellen funktionieren die meisten dieser Ampeln zwar nicht mehr, aber sie haben noch einen letzten intakten Kontrollpunkt, und den wollen wir mithilfe eines Medikaments ausschalten."

    Der Kontrollpunkt, auf den es die Forscher abgesehen haben, wird auch G2/M-Checkpoint genannt. Er ist gewissermaßen die Achillesferse der Krebszelle, die die Wissenschaftler mit Medikamenten angreifen wollen. Auf der Suche nach einer Substanz, die diese letzte Notbremse der Krebszellen ausschalten kann, sind Kevin Harrington und seine Kollegen bereits fündig geworden. Es ist ein kleines Molekül, das die Forscher Check-1-Hemmer genannt haben. Viel mehr möchten sie über die Struktur dieser Substanz nicht verraten.

    "Unser Ziel ist es, daraus ein Medikament zu entwickeln, das oral eingenommen werden kann. Wenn es zu den Krebszellen gelangt, wird es sie daran hindern, die Ampel auf Rot zu stellen und dadurch Schäden durch eine Chemo- oder Bestrahlungstherapie zu verhindern. Die Tumorzelle wird dann an diesen Schäden sterben. Ein solches Medikament wird zwar auch auf normale Zellen wirken. Doch bei ihnen sind die anderen Kontrollpunkte noch intakt und bieten immer noch einen Schutz vor den Schäden."

    Erste Laborstudien mit dem neuen Molekül lieferten schon vielversprechende Ergebnisse. Kevin Harrington und seine Kollegen verfolgen aber noch einen anderen Weg, mit dem sie die Wirkung einer Chemo- oder Strahlentherapie effektiver machen wollen. Sie nutzen dazu so genannte onkolytische Viren. Dazu gehören auch Herpes- oder Pockenviren, die gentechnisch so verändert sind, dass sie keine gesunden Zellen befallen. Im Körper eines Krebspatienten dringen diese Erreger in die Tumorzellen ein und bringen diese dazu, neue Viren zu produzieren. Dadurch wird die Krebszelle zerstört. Offenbar bevorzugen diese Viren entartete Zellen, weil sie sich in ihnen besonders gut vermehren können. In klinischen Studien verabreicht Kevin Harrington seinen Patienten gentechnisch veränderte Herpesviren zusammen mit einer Chemo- oder Bestrahlungstherapie.

    "Unsere Laborstudien haben gezeigt, dass die Viren offenbar besonders gut wirken, wenn man sie mit einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung kombiniert. Beide Therapien haben einen synergistischen Effekt und bringen gemeinsam signifikant mehr Krebszellen zum Absterben, als wenn man sie einzeln einsetzt."

    Kevin Harrington vermutet, dass die Viren mit derart geschwächten Krebszellen ein leichteres Spiel haben. Sie vermehren sich einfacher in ihnen und können sie besser angreifen.

    "Was wir auch beobachten können, ist, dass die Viren im Körper eine Immunreaktion gegen den Tumor auslösen. Wir haben also die Möglichkeit, die Krebszellen aus zwei Richtungen zu attackieren: Zum einen bringen die Viren die Tumorzellen direkt um, das nennt man Onkolyse. Zum anderen aktivieren sie das Immunsystem, das sich dann ebenfalls gegen die Krebszellen richtet."

    Neben Herpeserregern gibt es noch andere Viren, die Forscher bereits in klinischen Studien gegen Tumoren einsetzen. Ob solche potenziellen Krankheitserreger gefahrlos verabreicht werden können, wird ebenfalls genauestens untersucht. Bisher habe es jedoch keine schwerwiegenden Probleme gegeben, versichert Kevin Harrington.