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Die Achillesferse der Schlafkrankheit

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass in Afrika rund eine halbe Million Menschen unter der Schlafkrankheit leiden. Ein internationales Forscherteam hat nun einen vielversprechenden Ansatzpunkt zur Entwicklung eines neuen Medikaments entdeckt. Dabei kommt ein spezielles Röntgenverfahren zum Einsatz.

Von Frank Grotelüschen | 04.12.2012
    Sie zählen zu den Schlüsselmolekülen des Lebens: Enzyme bringen biochemische Reaktionen in Lebewesen erst so richtig in Gang. Ohne Enzyme läge unser Stoffwechsel völlig lahm. Deshalb sind Wissenschaftler darauf erpicht, Enzyme möglichst genau zu analysieren. Denn:

    "Man weiß erst, wie ein Enzym eine bestimmte Aktivität hat, wenn man die räumliche Struktur vor Augen hat."

    Forscher wie Christian Betzel von der Uni Hamburg wollen nicht nur wissen, aus welchen Atomen ein Enzym besteht. Sie möchten auch herausfinden, wie diese Atome im Detail angeordnet sind, also welche Gestalt das Molekül besitzt. Nur dann nämlich lässt sich enträtseln, wie ein Enzym im Detail funktioniert. Dabei hilft eine Spezialmethode, die Röntgenstrukturanalyse.

    "Wir brauchen Röntgenstrahlung und Kristalle. Kleine Kristalle im Millimeter-Bereich oder auch ein bisschen kleiner werden mit Röntgenstrahlung beleuchtet."

    Die Atome des Enzyms lenken das Röntgenlicht ab. Detektoren fangen die abgelenkten Röntgenstrahlen auf. Es entsteht ein Beugungsbild, aus dem die Forscher rekonstruieren, welche Form das Enzym besitzt. Ein detailliertes 3D-Bild, aus dem sich schließen lässt, wie das Enzym seinen Job macht und wie man es beeinflussen kann. Allerdings hat die Methode einen Nachteil: Man muss aus den Enzymen millimetergroße Kristalle züchten. Das aber lässt nicht jedes Enzym mit sich machen. So auch Cathepsin B, ein Schlüsselenzym des Schlafkrankheit-Erregers. Eine Art Zellen-Putzfrau, die den Proteinmüll im Parasiten aufräumt.

    "Wir beobachten dieses Enzym seit sechs Jahren, weil es für den Parasiten, den wir bekämpfen wollen, ein sehr wichtiges ist: Wenn dieses Enzym nicht vorhanden ist, ist der Parasit nicht überlebensfähig. Das heißt, wenn man dieses Enzym blockiert, hat man Ansätze für zukünftiges Wirkstoff-Design."

    Aber: Wir Menschen besitzen ein ähnliches Putzfrauen-Enzym. Und um ein Medikament zu entwickeln, das nur das Parasiten-Enzym blockiert und nicht das Menschen-Enzym, sollte man die Unterschiede zwischen beiden möglichst genau kennen. Dazu mussten die Forscher eine neue Röntgenmethode entwickeln. Eine Methode, die mit winzigen Nano-Kristallen auskommt, größere Kristalle lassen sich aus dem Parasiten-Enzym nämlich nicht gewinnen. Um diese Nano-Kristalle überhaupt ins Visier nehmen zu können, musste der stärkste Röntgenlaser der Welt her, ein kilometerlanger Teilchenbeschleuniger in Kalifornien. Dessen Röntgenblitze aber sind derart stark, dass sie die Nanokristalle buchstäblich pulverisieren, sagt Betzels Kollege Lars Redecke.

    "Der hochenergetische Laserpuls trifft den Kristall. Der Kristall wird augenblicklich zerschossen. Aber das Beugungssignal entsteht, bevor der Kristall eine Schädigung nimmt. Das heißt wir nehmen dieses Beugungssignal auf, bevor die Zerstörung des Kristalls zustande kommt."

    Prozesse, die unfassbar schnell ablaufen: Ganze 50 billiardstel Sekunden nach Einschlag des Röntgenblitzes ist der Kristall explodiert. Das Röntgenbild ist zum Glück schon nach zehn billiardstel Sekunden im Kasten. Mit einer Aufnahme jedoch ist es nicht getan.

    "Wir brauchten dafür sehr, sehr viele Kristalle. Wir haben ungefähr mit einer Milliarde Kristalle gearbeitet und von jedem einzelnen Kristall ein Beugungsbild erzeugt, die dann alle zusammengefügt. Und das ergab uns unsere Struktur."

    Eine Weltpremiere, noch nie wurde die Struktur eines Biomoleküls mit dieser Methode enträtselt. Das eröffnet nun die Möglichkeit, viele andere Proteine, die sich schlecht kristallisieren lassen, unter die Röntgenlupe zu nehmen. Nur: Ob und wann aus den neuen Erkenntnissen ein Medikament gegen die Schlafkrankheit wird, ist derzeit noch nicht zu sagen, meint Christian Betzel.

    "Wir liefern die Grundlagen. Dann geht es in einigen Jahren weiter in sogenannte Tiermodelle, bis man vielleicht dann im Wirkstoff-Design erfolgreich ist. Ein langer Weg, aber wir haben die Tür geöffnet."