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Die "Aktion Sorgenkind" ruft im Fernsehen erstmals zu Spenden auf

Das Fernsehen wird in den 60er Jahren zum wichtigsten Massenmedium der Deutschen. Das erfolgreichste Sendeformat der frühen TV-Jahre sind Ratespiele nach angelsächsischem Vorbild. "Alles oder nichts" oder "Hätten Sie’s gewusst?", so heißen die Shows bei uns. Als das Zweite Deutsche Fernsehen 1963 und damit zehn Jahre nach der ARD seinen Sendebetrieb aufnimmt, probiert man sich auch dort sofort an dem beliebten Genre. Am 9. Oktober 1964, einem Samstagabend, ist es soweit. "Vergissmeinnicht" die erste Rate-Show im ZDF hat Premiere.

Von Jürgen Bräunlein | 09.10.2004
    Vergissmeinnicht, Vergissmeinnicht ... bis wir uns wieder sehen ...

    Der bei der ARD zum Publikumsliebling avancierte Peter Frankenfeld - Markenzeichen großkarierte Sakkos - moderiert eine Game-Show, die auch pädagogische Absichten verfolgt.

    Frankenfeld: Eines muss ich nachtragen. Vergessen Sie nicht: wenn Sie sich morgen oder übermorgen Wohlfahrtsmarken besorgen, um an der Lotterie mit zu spielen, deren Reinerlös der Aktion Sorgenkind zu fließt, dass Sie dann, wenn Sie in den richtigen drei Postämtern in der Bundesrepublik, einschließlich Berlin ihre Briefe abliefern, einen Farbfernseher gewinnen können.

    Kurze Zeit vorher gründeten die damals sechs Wohlfahrtsverbände, darunter der Caritasverband und das Deutsche Rote Kreuz, gemeinsam mit dem ZDF "Die deutsche Behindertenhilfe Aktion Sorgenkind". Anstoß dazu war der Contergan-Skandal, der Anfang der 60er Jahre die Bundesrepublik erschütterte. Tausende Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft das Schlafmittel Contergan genommen haben, kamen mit schweren Missbildungen zur Welt. In "Vergissmeinnicht" wird die "Aktion Sorgenkind" zum ersten Mal öffentlich vorgestellt. Kandidaten im Saal spielen gegen einander, Showstars wie Peter Alexander und Catarina Valente geben Gesangseinlagen. Doch dazwischen wird immer wieder an die "Aktion Sorgenkind" erinnert. Erlös und Spenden gehen direkt an Einrichtungen für Behinderte. Die Verknüpfung von Unterhaltungsshow und Wohltätigkeitslotterie ist ein Novum in der deutschen Fernsehgeschichte. Und "Vergissmeinnicht" wird ein großer Publikumserfolg.

    Frankenfeld: Ich habe Sie eingeladen Frau Claus. Woher kommen Sie denn? - Aus Recklinghausen. - Eine große Überraschung wartet auf Sie! - Für mich? - Ja. Sie haben bei "Vergissmeinnicht" mit gemacht und Sie haben alle Städte richtig anggegeben und auch die Briefmarken richtig aufgeklebt. Ich gratuliere Ihnen! Sie haben etwas gewonnen - Ich ...? - Ja, Gewinn! All das gehört Ihnen!- Ich kann das gar nicht begreifen! - Doch, begreifen Sie, dann haben Sie!

    Dank "Vergissmeinnicht" erlebt Peter Frankenfeld einen neuerlichen Popularitätsschub. Er erscheint selbst als Wohltäter, weil er als Moderator mit dem guten Zweck identifiziert wird. Und "Aktion Sorgenkind" entwickelt sich im Bewusstsein der Westdeutschen zu einer Marke. Zum festen Bestandteil der Sendung gehört auch der Auftritt des Oberpostbeamten Walter Sparbier, der in Briefträgeroutfit den Umschlag mit den Siegern aus seiner schwarzen Lederumhängetasche zieht. Sparbier wird - lange vor Verona Feldbusch - zu einer der ersten Kultfiguren des Deutschen Fernsehens.

    Als "Vergissmeinnicht" nach 47 Sendungen eingestellt wird, übernimmt Wim Toelke die Nachfolge-Show "Drei Mal Neun", aus der später "Der große Preis" wird. Mit dem Abgang des Quizmasters 1992 kommt die bis dahin erfolgreichste Soziallotterie der Welt in die Krise. Die Einschaltquote fällt, die Moderatoren wechseln in rascher Folge. Zur selben Zeit gerät auch die "Aktion Sorgenkind" selbst ins Kreuzfeuer der Kritik. Behindertenverbände stören sich zusehends an dem Image, das durch den Vereinsnamen transportiert wird. Im März 2000 wird die "Aktion Sorgenkind" schließlich in die "Aktion Mensch" umbenannt. In der damaligen Presseerklärung heißt es:

    Das Wort "Sorgenkind" drückt eine Sicht von Behinderung aus, die den Betroffenen wenig Spielraum für ein positives und optimistisches Selbstbild lässt.

    Die Geschichte der "Aktion Mensch" ehemals "Aktion Sorgenkind" ist bis heute ein Erfolg: In den 40 Jahren ihres Bestehens konnten nicht weniger als 1,6 Milliarden Euro an Lotterie-Einnahmen und 234 Millionen Euro Spenden eingenommen werden.