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Die alternde Gesellschaft - Migration als Chance

Rund 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Migranten. Das ist aus der demografischen, aus der ökonomischen und aus der gesellschaftlichen Sicht ein sehr hohes Gewicht - aber vielleicht auch eine Chance im Hinblick auf den demografischen Wandel.

Von Armin Himmelrath | 05.04.2010
    Physikunterricht im Privatgymnasium Dialog in Köln-Buchheim. Die Fünftklässler machen gerade Experimente – naturwissenschaftlicher Unterricht, wie er an vielen deutschen Gymnasien stattfindet. Doch in dieser Schule gibt es eine Besonderheit: Die Kinder haben zwar alle einen deutschen Pass, kommen aber zum größten Teil aus türkischsprachigen Elternhäusern. Eine selbstbewusste Schülerschaft, keine Frage.

    "Das Besondere an dieser Schule ist: Man kann auf dieser Schule sehr viel erreichen nach dieser Schule, nach dem Abitur hab ich mehrere Chancen wie auf anderen Gymnasien, um eine Arbeit zu finden, und das ist mir sehr wichtig, damit ich nachher besser für meine Familie sorgen kann. Dieses Gymnasium ist auch schön, weil, da kann man in verschiedenen Sprachen Theater machen und AGs und da kann man auch mit dem Computer mehr Infos haben und wir machen hier auch ne Zeitung, und da kann man auch besser, intensiver Türkisch lernen."

    "Wir sind keine Eliteschule, wollen aber die Kinder elitär fördern. Das auf jeden Fall!"

    sagt Alp Saraç, Vorsitzender des Türkisch-Deutschen akademischen Bundes und einer der Schulgründer. Seit zweieinhalb Jahren läuft hier der Unterricht nach den regulären Lehrplänen des Landes Nordrhein-Westfalen, ein ganz normales Gymnasium - wie Alp Saraç betont – aber mit der Besonderheit, dass hier von Anfang an zusätzlich das Pflichtfach Türkisch unterrichtet wird. Dieses Zusatzfach und der türkisch geprägte Trägerverein der Privatschule senken die Hemmschwelle für türkischsprachige Eltern, ihre Kinder auf dieses Gymnasium zu schicken. Für Alp Saraç eine überfällige Antwort auf Defizite im deutschen Bildungssystem.

    "Es gibt ja die Diskussion in Deutschland schon des Längeren. Nicht nur seit der PISA-Studie alleine, nicht nur seit der VERA-Studie alleine für die Grundschulen. Die Chancengleichheit – und zwar die echte Chancengleichheit – gibt's in unserem Bildungssystem nicht."

    Dabei wäre es für Wirtschaft und Gesellschaft durchaus von Vorteil, die Bildungschancen der Migranten zu erhöhen, sagt Ilona Riesen vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Sie ist dort Referentin für Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik.

    "Ungefähr 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Migranten. Das ist aus der demografischen, aus der ökonomischen und aus der gesellschaftlichen Sicht ein sehr hohes Gewicht. Und Migranten haben im Durchschnitt auch mehr Kinder. Das heißt, der Anteil der Migranten in unteren Altersklassen steigt immer weiter. Und wenn man diese Gruppe außer Acht lässt und einfach nur die Bildungsarmut außer Acht lässt, dann werden wir am Schluss noch mehr Unqualifizierte haben und noch mehr Schwierigkeiten haben, sie im Arbeitsmarkt einzusetzen."

    Weiter steigende Kosten für die Sozialsysteme wären eine Folge – zumal, sagt Ilona Riesen, zusätzliche Entwicklungen eine Rolle spielen:

    "Weil auch der Arbeitsmarkt verändert sich natürlich mit der Zeit: Nicht nur die Demografie ist das Problem, sondern der Arbeitsmarkt verändert sich. Es werden immer höhere Technologien eingesetzt, es werden immer weniger Geringqualifizierte gebraucht. Und alleine aus ökonomischer Sicht ist das einfach nicht vertretbar, die Schwierigkeiten der Integration außer Acht zu lassen."

    Die Konsequenz ist klar: Integration muss auch über Bildung ermöglicht und gefördert werden. Dass etwa jeder 5. Bewohner Deutschlands einen Migrationshintergrund hat, spiegelt sich im Bildungssystem nämlich nicht wieder: An den Hochschulen hat zum Beispiel noch nicht einmal jeder zwölfte Student keine deutschen Wurzeln. Bevölkerungsanteil und Bildungsteilhabe klaffen hier weit auseinander - und genau das wollen die Initiatoren des Privatgymnasiums Dialog ändern. Die Schulgründung ist dabei nicht ihr erster Schritt. In der Vergangenheit organisierte der Türkisch-Deutsche akademische Bund bereits Nachhilfeunterricht für Kinder aus Einwandererfamilien. Und diese Förderung soll auch im Privatgymnasium fortgesetzt werden. Langfristiges Ziel ist es, je zur Hälfte türkischstämmige Kinder und Kinder aus deutschen Familien in den Klassen zu haben, die dann ebenfalls Türkisch lernen. Dabei geht es den Initiatoren erklärtermaßen nicht um bildungspolitische Ausgrenzung: Türkische Gymnasien, wie sie kürzlich der türkische Ministerpräsident Erdogan für Deutschland gefordert hat, hätten mit dem Ansatz des Kölner Privatgymnasiums nichts zu tun. Schulgründer Alp Saraç:

    "Wir haben ja schon seit Jahrzehnten die Diskussion in unserer Gesellschaft, die da besagt: Wie können wir unsere Bildungslandschaft besser aufstellen. Es sollen ja nicht nur Kinder aus akademischen Familien zu einem akademischen Lebensweg geführt werden, es sollen alle Kinder dieser Gesellschaft – egal, welcher Couleur auch immer – die Chancengleichheit von vorneherein bekommen."

    Denn für viele Kinder gibt es diese Chancengleichheit bisher nicht. Wenn etwa die Eltern selber keine Akademiker sind und über ein eher niedriges Einkommen verfügen, dann sinkt für deren Kinder die Chance auf das Abitur und ein anschließendes Studium rapide. Ähnliche Effekte hat in der Regel auch der Migrationshintergrund einer Familie – und am schwierigsten ist es, wenn alles zusammenkommt. Ilona Riesen:

    "Egal, welchen Bereich man sich anguckt – also, ob es Kindergarten ist, Schule oder später – sind die Betreuungsquoten oder Besuchsquoten von Kindern mit Migrationshintergrund immer niedriger als diejenigen von deutschen Kindern oder ursprünglich deutschen Kindern. Im Kindergarten fällt das auch schon bei unter 3jährigen auf oder gerade bei unter 3jährigen auf. Da sind nämlich so ungefähr 11 Prozent der unter 3jährigen mit Migrationshintergrund, die betreut werden in Kinderkrippen, bei Kindern ohne Migrationshintergrund sind das 24 oder 25 Prozent."

    Und das schlechtere Ergebnis für Familien mit ausländischen Wurzeln setzt sich in der weiteren Bildungskarriere fort: Während fast ausnahmslos jedes Kind, dessen Muttersprache Deutsch ist, einen Kindergarten besucht, bleibt bei den Kindern mit Migrationshintergrund immerhin ein Fünftel bis zur Einschulung zu Hause. Ilona Riesen:

    "In der Grundschule merkt man auch die Unterschiede zwischen Migrantenkindern und der Nicht-Migranten-Kindern soweit, dass die Leistungen sich einfach anfangen zu unterscheiden. Also nicht nur sprachliche Leistungen, sondern auch Mathematik, Naturwissenschaften natürlich weniger, aber auch in allen Bereichen unterscheiden sie sich, was natürlich nicht zuletzt auch auf die sprachlichen Defizite zurückzuführen ist."

    In Studien wie der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung, kurz IGLU, werden diese Leistungsunterschiede immer wieder bestätigt. Das Ergebnis ist eindeutig: Je länger der Kindergartenbesuch dauert, desto besser sind später die Schulleistungen. Leider stimmt auch der Umkehrschluss, sagt Ilona Riesen: Wer nur kurz oder gar nicht in den Kindergarten geht, hat es im Bildungssystem danach erheblich schwerer.

    "Die Schere klafft dann immer weiter auseinander, indem die Kinder mit Migrationshintergrund eher auf die Realschule beziehungsweise auf die Hauptschule verwiesen werden. Das belegen auch Zahlen, dass der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund in den Hauptschulen doppelt so hoch ist wie von Kindern ohne Migrationshintergrund, in Realschulen unterscheidet sich das nicht, aber in Gymnasien ist das dann wieder umgekehrt."

    Kurz gesagt: Je höher die Bildungseinrichtung, desto geringer der Ausländeranteil. Und weil in den kommenden Jahren die Schülerzahlen insgesamt sinken, die Zahl der Studierenden aber von heute zwei auf 2,7 Millionen steigen soll, um den Fachkräftebedarf der Wirtschaft zu decken, ist klar: Ohne eine stärkere Bildungsbeteiligung von Migranten ist dieser Spagat nicht zu schaffen. Es muss gegengesteuert werden, sagt Bildungsforscherin Ilona Riesen – und zwar so früh wie möglich.
    "Das Schulsystem, die Bildung allgemein ist ein kumulatives System. Das heißt, etwas, was in Kinderjahren nicht gelernt wurde, bleibt als Lücke da und diese Lücke wird immer größer im Unterschied zu den anderen Kindern. Und Defizite sammeln sich einfach über Jahre. Und so ist das bei Migranten-Kindern natürlich auch: Sprachliche Defizite lassen sich im späteren Verlauf, also zum Beispiel in der Hauptschule, kaum noch reduzieren ohne entsprechende externe Förderung."

    Ilona Riesen begrüßt deshalb ausdrücklich, dass mittlerweile alle Bundesländer mit Sprachtests vor der Einschulung überprüfen, wie es eigentlich um die Deutschkenntnisse der Kinder steht – um dann gegebenenfalls mit Fördermaßnahmen reagieren zu können. Nordrhein-Westfalen war 2007 eines der ersten Bundesländer, das eine solche Sprachstandserhebung flächendeckend einführte. Schulministerin Barbara Sommer, CDU, sagte damals:

    "Die Zielsetzung ist klar: dass jedes Kind der Unterrichtssprache Deutsch folgen kann, wenn es in die Schule kommt. Die ist eindeutig und die ist auch nicht zu verwässern und da kann man auch nicht sagen: Ach, das hab ich so nicht gewusst, sondern das ist wirklich die Zielsetzung, dieser Zielsetzung stellen wir uns."

    Ein hoher Anspruch, der von der Landesregierung auch formal untermauert wurde, indem per Gesetz in die Elternrechte eingegriffen wurde: Seit drei Jahren muss jeder 4jährige verpflichtend zum Sprachtest.

    "Es ist Zwang, es ist vorgezogene Schulpflicht, die eben auch mit einem Bußgeld belegt wird. Allerdings würden wir sicher nicht so weit gehen, dass wir sagen, also, wir fordern Ordnungskräfte auf, uns dabei zu helfen. Wir müssen sehen, dass wir die Eltern kriegen. Dass sie davon überzeugt sind, dass das für die Kinder ne Chance ist, denn die Kinder wollen sicherlich gerne."

    Sprache als Mittel zur Integration – ein gutes Rezept, bestätigt Bessa Gashi aus Bochum. Als Flüchtlingskind kam sie aus dem Kosovo nach Deutschland, und gute Bildung, sagt die 19jährige voller Überzeugung, sei der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft. Dass sie diesen Schlüssel nutzen kann, verdankt sie zumindest zum Teil auch privatem Engagement: Die gemeinnützige Hertie-Stiftung fördert mit einem Stipendienprogramm namens START Migranten-Kinder, die einen guten Schulabschluss – in der Regel das Abitur – anstreben. So wie Bessa Gashi.

    "Diese letzten eineinhalb Jahre waren einfach wundervoll, weil, durch START bin ich so rumgekommen, wie ich eigentlich – das hätte ich mir nicht vorstellen können. Und abgesehen davon unterstützen die mich halt auch finanziell. Wir kriegen Bildungsgeld in Höhe von 100 Euro monatlich, und was ganz wichtig ist: Die bieten uns halt auch Seminare an. Teilweise verpflichtend, andere auch nur freiwillig, auf freiwilliger Basis – macht auf jeden Fall sehr viel Spaß."

    Gute Schulnoten und soziales Engagement sind die Auswahlkriterien der Stiftung – dann können die Schüler maximal fünf Jahre lang bis zu ihrem Abschluss gefördert werden. Grundlegendes Ziel: die Verbesserung der Berufschancen – und damit die langfristige Integration in Deutschland. Avira Gobi aus Dorsten, geboren in Sri Lanka, ist ebenfalls START-Stipendiatin.

    "Mein letztes Seminar war Berufsorientierung. Da zum Beispiel haben wir gelernt, wie man sich bewirbt, was es für Alternativen nach dem Abitur gibt und so weiter. Wir sind halt auch in Kleingruppen, das ist ein sehr großer Vorteil, finde ich, weil es dann halt auch intensiver ist, ja."

    Bildungs-Chancen eröffnen, die den jungen Migranten-Kindern gerecht werden und damit die üblichen Hürden aus dem Weg räumen – das ist das Ziel der Initiative. Und dabei, sagt Avira Gobi, gehe es keinesfalls immer nur um direkte Berufsorientierung.

    "Zum Beispiel nehme ich jetzt Klavierunterricht, schon seit einem Jahr, und da unterstützt mich START auch dabei. Das ist ja auch ein bisschen teuer und meine Eltern können das halt nicht so wirklich finanzieren. Und ich hab ja noch ne kleine Schwester, ja."

    Ulrich Schulze ist Landeskoordinator für die START-Stipendien in Nordrhein-Westfalen.

    "Allgemein bekannt ist ja, dass Jugendliche aus Migranten-Familien, etwa, was das Abitur angeht, es dreimal schwieriger haben als Jugendliche aus deutschen Familien, und wenn wir andere Indikatoren durchgehen, dann kann man sehen, da gibt’s eine Schieflage. Und wir versuchen, mit unserem Stipendienprogramm, das 2002 erstmals in Hessen aufgelegt wurde, da einen Kontrapunkt zu setzen und zu zeigen: Wenn man sich hier engagiert, dann hat man ne Chance, was zu erreichen, um andere damit andere zu motivieren und zu sagen: Lass dich nicht entmutigen davon, dass die Lage schwierig ist! Zeig, was in dir steckt, und dann werden andere diesen Weg auch gehen!"

    Denn die Lage ist dramatisch für viele der Jugendlichen. Sie fühlen sich, sagt Uwe Schulze, systematisch ausgegrenzt.

    "Schwierig ist glaube ich vor alle, dass viele das Signal bekommen haben: Na ja, ob ihr hier so richtig seid, das wissen wir gar nicht. Und es wird ganz viel über die Probleme gesprochen – darüber, dass die Sprache nicht richtig beherrscht wird. Darüber, wie es in den Familien zugeht oder wie die Eltern sich kleiden oder ähnliche Dinge. Bei vielen ist also so etwas angekommen wie die Botschaft: Eigentlich sind wir hier nicht so ganz erwünscht. Und das ist sehr schade und das vermitteln wir ihnen zum ersten Mal so richtig erlebbar mit dem Stipendium, mit der Aufnahme in dieses Programm, dass sie das Gefühl bekommen: Au ja, da sieht jemand, wir haben was drauf, und das wird auf einmal auch gewürdigt und wir können hier mal richtig zeigen, was in uns steckt, ohne andauernd gebremst zu werden mit irgendwelchen Dingen, die uns verletzen, ins Grübeln bringen und halt nicht so richtig motivieren."

    Bundesweit rund 650 Schülerinnen und Schüler profitieren derzeit von dem Stipendien-Programm – und bauen auf diesen Erfahrungen ihre persönliche Zukunft auf. So wie Same Majami. Der 17jährige wurde in Kabul geboren und lebt in Herne.

    "Man hat beim START-Stipendium ein riesiges Netzwerk an Leuten, da kann man kann sich untereinander auch unterstützen, der eine kann besser die Sprachen, der andere kann besser die Naturwissenschaften, da kann man miteinander reden und einfach gut austauschen, da weiß man, dass man nicht in der Situation hier alleine gelassen ist. Das ist unglaublich viel Unterstützung. Also, wir haben Praktikumsvermittlung, Studienplatzvermittlung, und durch die Seminare, da haben wir zum Beispiel Rechtsanwälte, da hat man zum Beispiel einen sehr guten Draht zu Jura schon mal. Und da werden die ganzen Bereiche abgedeckt. Und da hat man schon sehr viele gute Kontakte."

    Doch solche bürgerschaftlichen Initiativen können nicht verdecken, dass es von staatlicher Seite aus noch deutlich zu wenig Unterstützung für die Idee gibt, Integration durch gezielte Bildungsförderung zu ermöglichen – da sind sich die meisten Experten einig. Im Gegenteil: Das deutsche Bildungs- und Erwerbssystem gibt sich gegenüber Zuwanderern extrem zugeknöpft, sagt Ilona Riesen vom Institut der Deutschen Wirtschaft:

    "Es ist auf dem deutschen Arbeitsmarkt so, dass sehr stark auf formelle Abschlüsse einfach geachtet wird. Und die Problematik taucht dann auf, wenn formelle Abschlüsse oder Qualifikationen aus dem Ausland mitgebracht werden und hier nicht anerkannt sind. Das ist momentan eine heiße Debatte, dass das Anerkennungsgesetz in Anführungszeichen kommen soll. Das zielt genau darauf ab. Viele Bereiche des Arbeitsmarkts in Deutschland sind für Migranten ohne einen deutschen Abschluss nicht zugänglich. Und ohne formale Anerkennung haben sie keinen deutschen Abschluss, es sei denn, sie durchlaufen die Ausbildung noch mal. Das ist eben ein strukturelles Problem."

    Für ältere Zuwanderer bedeutet das: Je leichter ihre mitgebrachten Bildungsabschlüsse anerkannt werden, desto besser gelingt ihre Integration. Doch obwohl Deutschland längst ein Einwanderungsland geworden ist, spielt ausgerechnet die Vorbildung der Migranten bisher so gut wie keine Rolle.

    "Wenn man sich die Kriterien, nach denen man nach Deutschland zuwandern darf, anguckt, dann merkt man einfach, dass eine anderweitige Zuwanderung kaum möglich ist. Nur zwei Prozent aller Aufenthaltserlaubnisse, die in Deutschland erteilt sind, haben Erwerbstätigkeit als Zweck zu Grunde. (...) Die meisten kommen als Familienangehörige oder als Flüchtlinge. Und bei diesen beiden Gruppen wird der Bildungsstand zum Beispiel nicht geprüft."

    Integration durch Bildung müsste aber eigentlich schon an diesem Punkt ansetzen, sagt Ilona Riesen:

    "Was ich wichtig fände, wäre, dass man Zuwanderung von Hochqualifizierten weiter lockert. Die Anzahl der Hochqualifizierten, die nach der neuen Gesetzgebung nach Deutschland kommen, ist kaum quantifizierbar. Also, das ist ein so geringer Anteil, es hat einfach kein Gewicht auf dem Arbeitsmarkt. Die Zuwanderungskriterien müssten noch mal darauf geprüft werden, inwieweit qualifizierte Zuwanderer überhaupt nach Deutschland kommen dürfen – das dürfen sie nämlich kaum."

    Und wenn sie dennoch kommen, dann stehen sie nicht selten vor dem Problem, dass ihre Abschlüsse gar nicht oder allenfalls zum Teil anerkannt werden. Generationen von Akademikern etwa aus der ehemaligen Sowjetunion haben diese Erfahrung schon machen müssen. Ein politischer Fehler, der dringend korrigiert werden muss, fordert Ilona Riesen.

    "Mit dem Anerkennungsgesetz hoffen wir zumindest für die Neueinwanderer und für die Einwanderer, die noch nicht so lange in Deutschland sind, diese Brücke zu schlagen, dass man die mitgebrachten Qualifikationen durch Feststellung der tatsächlichen Qualifikationen hier verwerten kann und irgendwie begutachten und verschriftlichen kann, weil es für den deutschen Arbeitsmarkt eben wichtig ist. Weil viele Unternehmer achten eben darauf, dass die Qualifikation in Deutschland in irgendeiner Weise anerkannt ist."

    Doch bis das neue Anerkennungsgesetz kommt, dürfte es noch eine Weile dauern. Zwar hat das Bundeskabinett im vergangenen Dezember entsprechende Eckpunkte verabschiedet, doch wegen der Länder-Zuständigkeit im Bildungsbereich ist mit schnellen Lösungen nicht zu rechnen. Auch deshalb verlässt sich der Kölner Schulgründer Alp Saraç lieber auf sein eigenes Engagement.

    "Die Chancengleichheit ist heutzutage nur für die
    Menschen – oder hat den Anschein – dass es nur für die Menschen gilt, die entweder sich ganz gut positionieren können gegenüber den Schullehrern oder dem Klassenlehrer, oder einen sozialen Status haben, der das schon psychologisch hergibt. Oder aber Elternhäuser haben, die sich nicht so sehr um ihre Kinder kümmern können, weil sie halt mehrschichtig arbeiten oder weil sie halt auch die sprachliche Barriere haben."
    Alp Saraç ist sicher, dass die Zeit für Konzepte läuft, die Integration über Bildungsteilhabe erreichen wollen. Und dass er deshalb auch mehr und mehr deutsche Eltern von den Vorteilen des Privatgymnasiums mit türkischem Sprachunterricht überzeugen wird.