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"Die Amerikaner haben in Afghanistan nichts zu tun"

Der ehemalige CDU-Parlamentarier und Medienmanager Jürgen Todenhöfer fordert einen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan innerhalb der nächsten drei Jahre. Dies würde auch den Wünschen des afghanischen Staatspräsidenten Hamid Karzai entsprechen, der ein Mehr an deutschen Soldaten ablehne. Das militärische Vorgehen der amerikanischen, aber auch deutschen Truppen habe "die deutsche Sicherheit am Hindukusch nicht gestärkt, sondern geschwächt".

Jürgen Todenhöfer im Gespräch mit Jochen Spengler | 07.10.2008
    Jochen Spengler: Heute kommt der Deutsche Bundestag zu einer Sondersitzung zusammen, um über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu debattieren und in erster Lesung zu entscheiden. Das deutsche Truppenkontingent für die NATO-geführte ISAF-Schutztruppe soll um 1000 Mann aufgestockt werden auf 4500 Soldaten. Neben dem ISAF-Einsatz, der den Wiederaufbau Afghanistans militärisch sichern soll, gibt es noch die sogenannte Operation "Enduring Freedom", den Anti-Terror-Einsatz, der von den USA geführt wird.

    Über die Verlängerung der deutschen Beteiligung daran wird Anfang November im Bundestag abgestimmt. Die Bundesregierung kündigte aber jetzt an, man werde dafür die 100 Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte nicht länger zur Verfügung stellen.

    Am Telefon begrüße ich den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer, Medienmanager, Autor und Publizist, der sich als Kritiker insbesondere des Irak-Kriegs einen Namen gemacht hat, der aber vor kurzem auch Afghanistan bereist hat. Guten Morgen, Herr Todenhöfer.

    Jürgen Todenhöfer: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Herr Todenhöfer, wollen die Afghanen die Hilfe des Westens und die Einsätze gegen die Taliban nicht mehr?

    Todenhöfer: Die Afghanen? Wer ist "die Afghanen"? Ich habe mit vielen gesprochen und die meisten Afghanen, die ich getroffen habe, waren entsetzt über die Strategie der NATO, vor allem über die Strategie der Amerikaner, die, so sagten mir viele Afghanen, sich aus der Rolle des Befreiers längst in die Rolle des Besatzers gebombt haben.

    Aber um es konkreter zu machen: Ich habe auch Staatspräsident Karzai gefragt, ob er mehr deutsche Soldaten und mehr Kampfeinsätze der deutschen Soldaten wolle, und er hat mir eindeutig gesagt "Nein! Das brauche er nicht und das wolle er nicht."

    Was Karzai will: Karzai will eine andere Strategie. Er will, dass diese wahllosen und schlimmen Bombardements aufhören, bei denen ständig Zivilisten getötet werden, und Karzai möchte, dass die afghanische Nationalarmee besser ausgebildet wird. Und da sehe ich in der Tat auch einen ganz wichtigen Punkt. Ein Mitglied der afghanischen Nationalarmee verdient knapp 100 Dollar. Ein Taliban bekommt zwischen 200 und 400 Dollar.

    Da kann man sich sehr gut vorstellen, wofür sich ein junger Afghane, der arbeitslos ist - und dort ist über die Hälfte der Menschen arbeitslos -, entscheidet. Er entscheidet sich eher, für die Taliban zu kämpfen als für die afghanische Nationalarmee. Da können wir viel tun!

    Spengler: Das heißt, wir sollten statt Soldaten mehr Geld schicken?

    Todenhöfer: Geld zur Ausbildung und zur Bezahlung der afghanischen Nationalarmee. Wir sollten unsere deutschen Truppen, weil die Präsenz deutscher Truppen in Asien keine Dauerlösung sein kann, innerhalb der nächsten drei Jahre stufenweise zurückziehen.

    Spengler: Dieser Anti-Terror-Einsatz, der ja vor allen Dingen von den Amerikanern und den Briten geführt wird, den Sie kritisieren, macht der erst es nicht möglich, dass die ISAF-Schutztruppen einigermaßen erfolgreich das Land mit wiederaufbauen können?

    Todenhöfer: Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass der Zuwachs, den die Taliban in den letzten Monaten bekommen haben, der ja sehr erstaunlich ist, weil diese Taliban verachtet und davongejagt worden waren von der afghanischen Bevölkerung…

    Spengler: Sie sind auch kein Freund der Taliban?

    Todenhöfer: Ich halte Taliban für eine grauenvolle Gruppierung. Aber dass diese Gruppierung wieder Zulauf bekommt, hängt erstens damit zusammen, dass sie Geld haben, aber noch stärker damit, dass die Amerikaner fast täglich irgendwelche Dörfer angreifen und sich dann anschließend herausstellt, dass zwei Drittel und manchmal sogar 100 Prozent der Getöteten keine Taliban, sondern Zivilisten sind.

    Spengler: Was sollen denn amerikanische Truppen tun, wenn die immer wieder aus Pakistan angegriffen werden, wenn sich auch Taliban ganz bewusst unter Zivilisten mischen?

    Todenhöfer: Das ist nun mal leider so, dass Guerillas sich immer unter die Zivilbevölkerung mischen. Sie empfinden sich als einen Teil der Zivilbevölkerung. Guerillas leben nun mal nicht in Kasernen. Die Amerikaner haben in Afghanistan auch nichts zu tun.

    Wie man auf die Idee kommen kann, den Terrorismus mit Kriegen zu besiegen, verstehe ich ohnehin nicht. Den Terrorismus kann man besiegen, wenn wir erstens anfangen würden, die muslimische Welt so zu behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen. Das haben wir in den letzten Jahrzehnten und übrigens seit Beginn der Kolonialisierung nicht getan.

    Und zweitens: Die Bekämpfung eines Terroristen, zum Beispiel eines globalen Terroristen, der Anschläge plant gegen Madrid oder New York, das ist Sache von Polizei-Spezialeinheiten und Geheimdienst-Operationen, aber doch nicht Sache von Armeen. Das hat es nie gegeben, dass eine Armee eine terroristische Bewegung besiegen könnte.

    Spengler: Wird für Sie Deutschlands Sicherheit nicht am Hindukusch verteidigt?

    Todenhöfer: Zurzeit wird durch die Bombardements der Amerikaner, die ständig Zivilisten töten, aber auch durch Zwischenfälle, bei denen Deutsche Zivilisten getötet haben - die Deutschen haben das ja auch zugegeben vor einigen Wochen -, die deutsche Sicherheit am Hindukusch nicht gestärkt, sondern sie wird geschwächt, sie wird gefährdet, weil diese Bilder der getöteten Kinder, die man dann aus irgendwelchen Trümmern herausholt, und wo die Amerikaner dann sagen, das seien in Wirklichkeit Taliban, um die ganze Welt gehen.

    Die führen dazu, dass es immer wieder radikale junge Muslime gibt, die dann sagen, da können wir nicht tatenlos zuschauen. Ich halte die jetzige Strategie in Afghanistan für völlig kontraproduktiv. Das glaubt auch der afghanische Präsident. Diese Strategie muss geändert werden.

    Die Lösung besteht im Grunde genommen in drei Dingen. Erstens: wir brauchen dort eine regionale Friedenskonferenz, an der Afghanistan, Pakistan und auch Indien wegen des Kaschmir-Konflikts beteiligt sind. Wir brauchen zweitens, wie ich vorhin sagte, eine Stärkung der afghanischen Nationalarmee. Nur Afghanen können Afghanen besiegen. Und wir brauchen einen Zeitpunkt für den Rückzug all dieser Truppen, denn westliche Truppen haben am Hindukusch nichts verloren.

    Spengler: Was ist denn das Ziel oder was sollte das Ziel der westlichen Truppen sein, solange sie jetzt noch da sind? Sie wollen ja, dass sie innerhalb von drei Jahren abgezogen werden.

    Todenhöfer: Ich spreche jetzt mal zuerst nicht von den westlichen Truppen, sondern wir haben ja dort auch Entwicklungshelfer. Das Ziel muss sein, dort durch Großprojekte Arbeitsplätze zu schaffen. Diese Großprojekte sollten in den nächsten Jahren militärisch abgesichert werden. Aber das Ziel ist es nicht, ständig in irgendwelchen Dörfern zu behaupten, da seien Taliban, und dann aus den Trümmern Kinder oder Frauen herauszuholen.

    Spengler: Sind für Sie die Taliban eigentlich Terroristen?

    Todenhöfer: Die meisten Taliban arbeiten mit terroristischen Mitteln. Das heißt für mich vor allem, dass sie Zivilisten angreifen. Aber der globale Terrorismus, vor dem wir uns in Deutschland fürchten, dieser globale Terrorismus hat mit den Taliban nichts zu tun.

    Spengler: Herr Todenhöfer, und wie überzeugen wir die Amerikaner?

    Todenhöfer: Vielleicht kann man ihnen sagen, wo steht ihr jetzt nach sieben Jahren Krieg. Die Taliban waren verjagt, sie waren verachtet und sie waren noch nie so stark, wie sie heute sind. Das ist das Ergebnis dieser Bombenstrategie.

    Diese Strategie ist im Irak gescheitert, wo die Amerikaner nur deswegen weniger Verluste haben, weil sie sich inzwischen nicht mehr oder kaum noch aus ihren Militärbasen herausbewegen, und diese Strategie scheitert im Augenblick geradezu dramatisch in Afghanistan.

    Ich habe keinen einzigen Politiker getroffen, der mir in Afghanistan - übrigens auch in Pakistan - nicht gesagt hätte, dass sich die Lage von Woche zu Woche, von Monat zu Monat verschärft. Und wenn wir jetzt mehr Soldaten hinschicken, setzen wir das falsche Signal. Wer den deutschen Wählern und den deutschen Soldaten sagt, in Afghanistan würden jetzt mehr Soldaten gebraucht und mehr Kampfeinsätze gebraucht, der täuscht die deutsche Bevölkerung und der täuscht auch die deutschen Soldaten. Das ist keine afghanische Forderung; das ist eine amerikanische Forderung und dieser Forderung sollten wir uns verschließen.

    Spengler: Danke, Jürgen Todenhöfer, Expolitiker, Medienmanager und Autor des Bestsellers "Warum tötest du, Zaid?".