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Die angebliche Renaissance der Religion

"Der Gotteswahn", "Das Ende des Glaubens" und "Gottes Eifer" heißen Bücher, die momentan in den Feuilletons für reichlich Diskussionsstoff suchen. Das Interesse an Religion ist in den vergangenen Jahren gestiegen, wenngleich sich immer wieder auch religionskritische Stimmen melden. Es hat den Anschein, dass der Niedergang der kommunistischen Systeme, die materialistische Werte propagiert hatten, der Wiederkehr der Religion den Weg bereitet hätten.

Der Autor im Gespräch mit Klaus Englert | 17.01.2008
    Ist es bloßer Zufall, dass sich viele Menschen in den letzten Jahren wieder der Religion zugewendet haben? In Fernseh- Talkshows wird vermehrt über die vermeintliche "Wiederkehr der Religion" diskutiert. Auch akademische Symposien nehmen sich zusehends des Themas an. Und seit dem letzten Bücherherbst sind allein fünf diskussionswürdige Neuerscheinungen auf den Markt gekommen. Im angelsächsischen Sprachraum machten der englische Evolutionsbiologe Richard Dawkins sowie die Wissenschaftspublizisten Christopher Hitchens und Sam Harris mit religionskritischen Schriften auf sich aufmerksam. In einem Radiointerview bemerkte kürzlich die Grünen-Politikerin Antje Vollmer, das Interesse an Religion explodiere. Ihr gerade erschienenes Buch "Gott im Kommen?" behauptet, das gesellschaftliche Bindemittel der Religion habe keineswegs ausgedient.

    Differenzierter äußert sich Peter Sloterdijk, Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Der Medien- und Kunstphilosoph rechnet sich eher zu den Religionsskeptikern, zu jenen kritischen Geistern, die mit wachem Verstand die angebliche Renaissance der Religion begleiten. In seinem neuesten Buch "Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen" fragt er nach dem Auf und Ab im Projekt der säkularisierten Moderne. Sloterdijk nennt zunächst die Geburt des Kommunismus aus dem Geiste des Christentums. Den heute zu beobachtenden Prozess der "Desäkularisation" versteht er als Abkehr von den säkularen Glücksversprechungen:

    1. "Wenn es richtig ist, (...) dass die großen weltlichen Utopien des 19. und 20. Jahrhunderts (....) im wesentlichen Säkularisationsprodukte aus der monotheistischen Tradition dargestellt haben; schlicht und einfach gesagt: wenn das Projekt 'Paradies auf Erden‘ einen politischen Enttäuschungsprozess ausgelöst hat, in dessen Nachwehen wir uns heute befinden, dann wäre es plausibel, dass wir in dieser postkommunistischen Position wieder günstigere Bedingungen dafür finden, dass die Menschen nach den im (...) Monotheismus codierten Wahrheiten zurückfragen"."

    Offenbar hatte dies auch Papst Johannes Paul II vorhergesehen. Er stammte zwar aus dem kommunistischen Polen, wußte aber, dass in seiner Heimat die tiefen katholischen Gefühle stärker als die kommunistischen Glaubensüberzeugungen sind:

    2. " "Die ursprünglichen Monotheismen sind in gewisser Weise die Nachlaßverwalter des kommunistischen Anliegens. Man hat ja auch bei Johannes Paul II (...) kaum verhüllt gelegentlich den Anspruch geäußert gehört, dass der Katholizismus die Urgestalt dessen ist, wovon der Kommunismus die Perversionsgestalt gewesen sei. Also die weltlichen, säkularen Utopien scheitern und die Erstformulierungen des monotheistischen Anliegens erhalten dadurch wieder eine geschichtliche Chance"."

    Peter Sloterdijk verfolgt die Religionsentwicklung unter dem Zeichen der Moderne. Als Friedrich Nietzsche Ende des vorletzten Jahrhunderts sein berühmtes "Gott ist tot" verkündete, war dies die Zeit des industriellen und wissenschaftlichen Aufschwungs. Seither hatte der aufgeklärte Bürger die mystischen Nebelschwaden vertrieben und an die Stelle des jenseitigen Gottes das Licht der Vernunft gesetzt. Als später die kommunistische Sowjetunion den ersten Menschen in den Weltraum schickte, berichtete der nach seiner Rückkehr, keinen Gott angetroffen zu haben. Kommunistischer Diesseitsglauben und wissenschaftlicher Naturbeherrschungseifer verstanden sich bestens. Mittlerweile ist diese Politik an ihre Grenzen gestoßen. Dem materialistischen Extremismus folgt heute eine allgemeine Desillusionierung, auf deren Nährboden wieder religiöse Gefühle gedeihen:

    3. " "Wenn wir heute auf breitester Front (...) die Wiederkehr der Religion beobachten, dann hat das vor allem damit zu tun, dass die Menschen heute die von der Religion angebotenen Immunleistungen wieder nachfragen. (...) Sie wollen einfach eine Sprache der Seele hören, um es ganz lapidar zu sagen. Und die Religionen haben natürlich diese unerhörte Stärke: Sie sprechen eine Sprache der Seele und sie setzen den Absolutismus des Seelischen, Lebendigen gegenüber die Sprachen des Toten, des Dinglichen, des Mechanischen wieder ganz deutlich in Geltung. Und nach einem hundertjährigen Ausflug in diese technische Prosa und diese Sprache der Äußerlichkeiten werden die Sprachen der Seele, die von den Religionen herkommen, wieder besser gehört"

    Peter Sloterdijk stellt in seinem jüngsten Buch "Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen" die folgende grundlegende Frage: Worin bestehen - bei allen Unterschieden, die Christentum, Judentum und Islam voneinander trennen - ihre Gemeinsamkeiten? Bekannt sind das Missionsstreben der Christen, die politisch-militärische Expansionsform der Mohammedaner und die introvertierte Ritualgemeinschaft der Juden. Doch es haben sich gemeinsame religiöse Äußerungsformen herausgebildet. Sloterdijk findet sie im typisch monotheistischen Eiferertum. Im Ausblenden von Zweifeln und Vieldeutigkeiten. In der fanatischen Suche nach der einwertigen Ursprache und einfachen Wahrheit. Da die Komplexitätsreduktion jeden Eiferer auszeichnet, ist dem Aufklärer Sloterdijk grundlegend jede Religion:

    "In einer funktionalistischen Interpretation sind Religionen (...) Codierungen und Kanalisierungen für ein den Menschen inhärentes Exzesspotential, ein Potential des Überschwangs, der Ekstase und der Gewalt. (...) In Umrissen habe ich versucht, in dem Buch Gottes Eifer die drei großen Monotheismen nach ihrer internen Verfasstheit zu charakterisieren. Dabei wird klar: (...) Alle Monotheismen (...) sind ekstatische Formen des Dienstwillens, den ein gläubiges Subjekt gegenüber einem überaus hoch angesetzten Herrn empfindet"."

    Dieser Dienstwillen ist charakteristisch für religiöses Eiferertum. Gleichgültig ob es sich um Allah, Jahwe oder den Gott des Neuen Testaments handelt. Gemeinsam ist diesen Eiferern die Selbstauflösung im Sein und die Selbstverzehrung im Dienst am Herrn. Die Gläubigen, schreibt Sloterdijk, kommen niemals zur Ruhe. Denn das religiöse Leben befindet sich im "täglichen Ausnahmezustand" (S. 179), da die selbst proklamierte Wahrheit unentwegt angefochten wird. Angegriffen von Spöttern, Heilsverweigerern und Häretikern. Ein friedliches Miteinander unter Glaubensbrüdern und Angehörigen verschiedener Religionen habe es - so Sloterdijk - niemals gegeben. Vielmehr war es den Frommen stets klar, dass beständig die Häresie im Innern und die heidnische Gefahr im Äußeren drohe. Deswegen ist Sloterdijk davon überzeugt,

    4. "(...) dass ein religiöses Eiferertum von vornherein nur auf einen Feind funktionieren kann. Die monotheistischen Religionen leben aus einer Affektdynamik der furchtsamen Aufmerksamkeit auf die Tätigkeiten dessen, der nicht zustimmt. (...) Die Eifersucht ist umso größer je näher sich zwei geistige Formationen stehen. Weswegen der Kampf gegen die Häretiker (...) immer sehr viel heftiger war als der Kampf gegen die Heiden. Der Kampf der Christen gegen die Moslems war immer viel heftiger als der Kampf beider gemeinsam gegen irgendwelche Ungläubigen draußen. Die hat man bekehrt oder missioniert oder sehr häufig auch nur in Ruhe gelassen. Und als abschreckendes Beispiel gottlosen Lebens in den eigenen Predigten verwendet, was weitgehend harmlos blieb. Richtig intensiv wurden die innermonotheistischen Kämpfe immer dann, wenn man es mit einem nahestehenden Gegner zu tun hatte, der Dich nach dem Prinzip der kleinsten Differenz nervös macht. Auf diesem Feld muss man die eigentliche intermonotheistische Rivalität ansiedeln. Hier sind sich drei große geistige Bewegungen in der Sache zu nahe gekommen und sie sind deswegen von vornherein (...) im Modus der unauflöslichen Rivalität und der unauflöslichen spirituellen Eifersucht ineinander verzahnt"

    Dieses rivalisierende Spannungsfeld tut sich nicht nur zwischen den Offenbarungsreligionen aus. Den äußeren Spannungen folgen die inneren, psychodynamischen. So hat es der Glaubenskrieger im Islam nicht nur mit dem Feind, sondern auch mit dem eigenen, niederen Selbst zu tun:

    "Dieser ominöse Begriff des Dschihad im Islam ist zumindest in seinen spirituellen Interpretationen vom 11. Jahrhundert an so gelesen worden als müsse der einzelne gläubige Moslem einen heiligen Krieg gegen sich selber führen, weil, wenn man aufmerksam in sich hineinsieht, bemerkt man immer sozusagen eine ungläubige Provinz oder eine gotteslästerliche Oase, wo noch die paganen Stämme fröhliche Urständ und Orgien feiern. In diese inneren, unbekehrten Zonen schickt man den Glaubenskämpfer voran, damit er dort für Frieden und Einheit sorgt"."

    Peter Sloterdijk brandmarkt die islamischen, christlichen und jüdischen Endzeiteiferer, die den Haß gegenüber dem Bestehenden schüren und das Heil im Jenseits suchen. Ebenso mißtraut er Rousseaus religion civile, jener aufgeklärten "Gesellschaftsreligion", die den Monotheismus beseitigen wollte, dann aber doch nur das gleiche Eiferertum hervorgebracht hatte - gepaart mit Wut, Strenge und Gewalt. Was bleibt also nach dem Scheitern des kommunistischen Menschheitstraums? In seinem vorletzten Buch "Zorn und Zeit" forderte Sloterdijk eine "Rationalitätskultur" (S. 355), die sich von jeglichem Ressentiment befreit. Und in "Gottes Eifer" verlangt er nun eine Religion, die sich am "Projekt der Zivilisierung" (S. 201) mißt. Sloterdijk vertraut Nietzsches Zarathustra, der eine Religion verkündet, die dem Jenseitsfuror abschwört und sich der Welt zuwendet. In Lateinamerika nennt man das Befreiungstheologie, in Europa wäre das eine Religion, die "das Bündnis mit der säkularen Zivilisation" (S. 217) sucht. Doch diese "aufgeklärte Religion", da macht sich Sloterdijk nichts vor, wird heute beständig von den eigenen Fundamentalismen bedroht:

    ""Der Fundamentalismus, den wir heute beobachten, ist diejenige Unruhe, durch die eine bloß kulturalisierte Religion wieder universalistisch gesprengt wird. Das heißt, die islamischen Fundamentalisten sind diejenigen, die den bloß arabischen, türkischen, persischen Islam überwinden wollen und ihn buchstäblich generalisieren, in alle Welt hinaustragen. Das sind die feindlichen Brüder der Aufklärung"."

    Wenn Peter Sloterdijk die zivile Religion als "postmonotheistische Weisheitskultur" (S. 212) versteht, dann stellt sich zwangsläufig die Frage, ob es sich wirklich noch um Religion handelt. Hat sie sich doch dem Geist des aufgeklärten Zeitalters unterzuordnen. Und den bestimmt der Nietzsche-Adept Sloterdijk wie folgt:

    ""Die Aufklärung ist eine universalistische Unternehmung. Die wollen Techniken, Wahrheiten, Kulturformen, Menschenrechte unter dem Gesichtspunkt ihrer Gültigkeit (...) in alle Welt hinaustragen. Die Aufklärung hat von daher natürlich auch eine fundamentalistisch-universalistische Dynamik, die sich allerdings von einer bloßen Universalisierung einer Kultur dadurch unterscheidet, dass sie fortwährend durch einen Prozess der Selbstprüfung, der Selbstläuterung hindurchgeht. Während sich der typisch religiöse Fundamentalismus ja dadurch auszeichnet, dass man meistens mit einem ziemlich kruden buchstäblichen Verständnis der heiligen Schriften, die ganz ungefiltert in die Welt gelassen werden, auf Eroberungsfeldzüge geht. Das ist der unaufhebbare Unterschied zwischen einem zivilisatorischen Prozess und einer bloß gewaltsamen Verallgemeinerung einer religiösen oder kulturellen Norm"

    Peter Sloterdijk: Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen, Verlag der Weltreligionen, 218 S., 14,80Euro.