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Die Angst der Christen im Irak

Etwa zwei Drittel aller im Irak lebenden Christen haben ihre Heimat in den vergangenen Jahren verlassen. Dabei gehört der Irak zu den ältesten Siedlungsgebieten des Christentums überhaupt.

Von Gottfried Bohl | 31.08.2012
    "Wir haben das Land nicht erobert, wir haben es keinem weggenommen. Hier leben schon so lange Christen, hier gibt es so viele alte Kirchen und Wallfahrtsorte. So vieles erinnert an unsere christlichen Vorfahren. Umso mehr tut es weh, dass so viele Christen das Land verlassen, dass gerade die jungen Leute keine Zukunft im Irak sehen."

    Eine dramatische Entwicklung für ein Land, das zu den ältesten Siedlungsgebieten des Christentums überhaupt gehört, betont Botros Moshe, syrisch-katholischer Erzbischof von Mosul. Im irakischen Kernland, dem früheren Mesopotamien, stellten Christen vor der islamischen Eroberung im 7. Jahrhundert die Bevölkerungsmehrheit. Heute sind es mit geschätzten 400.000 noch etwa zwei bis drei Prozent. Ungefähr zwei Drittel der Christen haben seit Beginn des Irakkriegs im Jahr 2003 das Land verlassen, beklagt Shlemon Warduni, der chaldäisch-katholische Weihbischof von Bagdad.

    "Viele Muslime sind interessiert am Dialog mit uns Christen, an einem friedlichen Zusammenleben. Aber es gibt natürlich auch andere, sehr viel konservativere Denkweisen, die zurzeit leider starken Zuspruch haben. Und das führt dann dazu, dass wir Christen im Irak es ausbaden müssen, wenn etwa der Papst was Kritisches zum Islam sagt oder wenn in Dänemark Mohammed-Karikaturen veröffentlicht werden."

    Nach dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung haben islamistische Terroristen und kriminelle Banden bisher weit mehr als 1.000 Christen ermordet, viele wurden entführt, Kirchen gesprengt. Besonders gefährlich ist das Leben für Christen derzeit in Großstädten wie Bagdad, Kirkuk und insbesondere Mosul. Dort lebt der chaldäische Erzbischof Amil Nona:

    "Ich will ein Zeichen setzen, indem ich bei meiner Gemeinde bleibe, auch wenn die immer kleiner wird. Außerdem ist mein Vorgänger als Bischof in Mosul umgebracht worden. Wenn ich jetzt die Stadt verlassen würde, würden die Terroristen triumphieren und sich noch bestärkt fühlen."

    Dabei könnten sich viele Christen, so Nona, noch gut an Zeiten erinnern, in denen es kein Problem war, Tür an Tür mit muslimischen Nachbarn zu leben:

    "Der Terror hat nicht nur Menschen getötet, sondern auch das gesamte bisherige Denken und Zusammenleben. Die unerträgliche Gewalt und der Hass machen den Menschen Angst. Selbst Nachbarn, die früher befreundet waren, ziehen sich zurück."

    Es sind aber auch fehlende wirtschaftliche Perspektiven, die junge und gut ausgebildete Christen dazu bringen, ins Ausland zu gehen. Dabei würden sie dringend im Irak selbst gebraucht, erklärt Wirtschaftsexperte Basem Anton:

    "Im Norden zum Beispiel, im Kurdengebiet, wohin ja viele Christen geflohen sind in den letzten Jahren, gibt es gerade dort große Fortschritte, wo die gut ausgebildeten Flüchtlinge mit ihren Fachkenntnissen helfen, etwas Neues aufzubauen. Auf der anderen Seite aber gibt es auch viele eigentlich gut ausgebildete Flüchtlinge, die irgendwo auf dem Land oder in den Bergdörfern ums Überleben kämpfen, weil sie mit ihren Qualifikationen hier nicht weiterkommen."

    Genau hier soll die Arbeit eines neuen Koordinationsbüros ansetzen, das die irakische Kirche mit der Unterstützung katholischer Hilfswerke aus Deutschland zum Jahresende eröffnen will – in Arbil im kurdischen Autonomiegebiet im Norden des Landes. Islamische Fanatiker sind hier selten. Kirchenvertreter wie Erzbischof Moshe wollen aber auch kein christliches Ghetto im Norden errichten:

    "Uns geht es nicht nur darum, den Christen zu helfen, damit sie nicht alle auswandern. Von den Hilfsprojekten muss die gesamte Bevölkerung der Region profitieren. Das stärkt auch das friedliche Zusammenleben vor Ort – es verbessert jedenfalls die Chancen enorm. Und ganz wichtig ist auch, dass wir wieder mehr ausländischen Firmen Mut machen, im Irak zu investieren."

    Das neue Büro soll Kleinkreditprogramme fördern, dazu kommen Beratung und Expertenhilfe bei der Existenzgründung und das Werben um ausländische Investoren. Wenn der Auszug der Christen gestoppt werden könnte, würde das ganze Land davon profitieren, glaubt Bashir Warda, der chaldäisch-katholische Erzbischof von Arbil:

    "Wir hoffen auf eine Zukunft, in der wir als christliche Gemeinschaft einen wichtigen und hilfreichen Beitrag leisten für die gesamte irakische Gesellschaft. Gerade unsere Arbeit im Gesundheits- und im Bildungsbereich ist ja bei der großen Mehrheit der Iraker hoch angesehen. Und darüber hinaus möchten wir insgesamt ein Beispiel dafür geben, wie man auf christliche und menschliche Weise eine Gesellschaft mit aufbauen kann."