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Die Angst, "mit diesem italienischen Schiff unterzugehen"

In Italien geht die Angst um, darin sind sich diejenigen Europaabgeordneten einig, die nicht zu Berlusconis Partei gehören. Der Ministerpräsident sei angezählt und dabei, "Italien zu zerstören". Längst überfällige Reformen oder Infrastrukturmaßnahmen würden einfach nicht angepackt.

Von Doris Simon | 26.10.2011
    Der italienische Europaabgeordnete Niccolò Rinaldo hat sich die Pressekonferenz angeschaut. Er kann keine Erniedrigung seiner Heimat erkennen, wenn die EU die italienische Regierung massiv zu Reformen und Einschnitten drängt. Aber lachen oder spotten über Berlusconi, das hält der liberale Abgeordnete aus Florenz trotzdem für unangebracht.

    "Es gibt da nichts zu lachen. Wir haben schon vor einiger Zeit aufgehört, über Berlusconi zu lachen oder Witze über ihn zu reißen. Denn dieser Mann ist dabei, Italien zu zerstören und riskiert damit auch die Zerstörung Europas."

    Inzwischen ist die Angst vor dem, was kommt, auch in den wohlhabendsten Gegenden Italiens angekommen. Bisher sei man ja vom italienischen Schlamassel weitgehend verschont geblieben, seufzt der Europaabgeordnete Herbert Dorfmann von der Südtiroler Volkspartei. Dorfmann, ein sportlicher Typ aus Brixen, der in Piacenza studiert hat und fließend italienisch spricht, verweist auf die weitgehende Autonomie und die florierende Wirtschaft seiner Heimat. Doch jetzt hätten auch die Bürger in Südtirol Angst, wenn auch ganz anders als in Deutschland:

    "In Deutschland spüre ich vor allem die Sorge der Menschen, die sagen, müssen wir das alles bezahlen, was sich hier in Europa abspielt. Bei uns ist das eher die Angst, mit diesem italienischen Schiff unterzugehen - in diesem Staat zu sein und miterleben zu müssen, dass nichts passiert, was eigentlich dringend notwendig wäre."

    Aus Sicht des Südtiroler Europaabgeordneten Dorfmann ist das italienische Problem vor allem ein politisches Problem: Ministerpräsident Berlusconi sei angezählt, die Regierung extrem schwach. Längst überfällige Reformen wie die Veränderung des total verkrusteten Arbeitsrechts oder dringende Infrastrukturmaßnahmen würden in Italien einfach nicht angepackt.

    "Ich sag das immer ganz einfach: Was bewegt heute ein Unternehmen, sich in Italien niederzulassen- höchstwahrscheinlich gar nichts. Das ist das langfristige Problem von Italien, und nicht unbedingt ein kurzfristiges Finanzproblem. Italien muss schauen, dringend notwendige Dinge zu machen, und wenn man jetzt schaut, was in diesen Tagen passiert, diese Regierung hat weder die Mehrheit dazu noch den Willen."

    Der liberale Europaabgeordnete Niccolò Rinaldi warnt seit Jahren vor den Folgen der Politik von Ministerpräsident Berlusconi. Er hat Haushaltsdisziplin angemahnt und die politischen und realen Kosten von Korruption, Vetternwirtschaft, Ineffizienz und Selbstbereicherung der herrschenden Klasse angeprangert. Freunde hat sich der Mann aus der Partei "Italien der Werte" damit nicht gemacht, nicht zuhause – aber auch nicht in der EU. Tja, typisch Berlusconi, den Satz bekam Rinaldi häufig zu hören. Nun bedrohen Italiens Probleme und ein Berg von 1800 Milliarden Euro italienischer Schulden die gesamte Eurozone. Dafür sei ganz klar die Regierung Berlusconi schuld, urteilt der liberale Europaabgeordnete. Aber auch die übrigen Regierungen in der EU sieht Rinaldi in der Verantwortung:

    "Es besteht kein Zweifel daran, dass die EU viel zu lange mitgemacht oder zumindest die Konfrontation mit der Regierung Berlusconi deutlich gescheut hat. Auch Merkel und Sarkozy, die zur selben Parteienfamilie gehören wie Berlusconi. Sie haben selbst, als es noch einfacher gewesen wäre, niemals entschieden reagiert auf all die Verstöße gegen Gesetze und EU-Regeln in unserem Land."

    Den Italienern stehen in jedem Fall harte Zeiten bevor. Der liberale Europaabgeordnete Rinaldi glaubt, die meisten Bürger wüssten genau, dass es ohne die längst überfälligen Reformen in vielen Bereichen nicht gehe, dass tiefe Einschnitte kommen müssten. Allerdings warnt Rinaldi vor einem entscheidenden Glaubwürdigkeitsproblem: Wenn Korruption und Selbstbereicherung der herrschenden Politkaste weitergingen, dann werde kein Bürger einsehen, warum ausgerechnet er Opfer bringen solle. Ein Problem in Italien, aber auch anderswo in der EU:

    "Die Politik muss sicher stellen, dass nicht wie bisher eine Gruppe von Leuten, die sich für besonders schlau und durchtrieben hält, weiterhin von der Not der Bürger profitieren."

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