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Die Angst vor Wahlfälschungen

Das Gespenst des Wahlbetrugs lässt die Ukraine nicht los. Das Land schien auf dem Weg zu einer westlichen Demokratie. Die Demonstranten setzten sich, vor drei Jahren, bei der orangenen Revolution durch und erzwangen eine Wiederholung der Präsidentenwahl unter fairen Bedingungen. Vor der vorgezogenen Neuwahl am kommenden Sonntag beschuldigen sich die Parteien wieder einmal gegenseitig, das Ergebnis fälschen zu wollen.

Von Florian Kellermann | 28.09.2007
    Auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz stehen schon drei große Armeezelte. Ein paar Dutzend Jugendliche bauen gerade an einer großen Bühne. Und das, obwohl der Wahlkampf schon fast vorbei ist. Die Partei der Regionen bereitet sich hier auf die Zeit nach der Wahl vor. Mit groß angelegten Demonstrationen will sie reagieren, wenn sie am Sonntag von ihren Gegnern betrogen werden sollte. Das sagt zumindest der Vorsitzende der Partei der Regionen, Premierminister Viktor Janukowytsch. Er hat gelernt, von der orangefarbenen Revolution, die ja vor allem gegen ihn gerichtet war. Mit seinen Sorgen ist Janukowytsch nicht allein. Dass es bei der Wahl zu Fälschungen kommt, glauben 70% der Ukrainer. So auch die Managerin Swetlana Michailowna.

    "Bei uns sagt man: Wer wacht, der herrscht auch. Wer an der Macht ist, der kann manipulieren. So offensichtliche Fälschungen wie früher wird es nicht mehr geben. Dafür umso mehr versteckte. Schließlich geht es um viel. Unsere Abgeordneten wollen ins Parlament, um sich zu bereichern! Nicht umsonst müssen sie den Parteien so viel Geld für einen Listenplatz bezahlen."

    Bei der orangefarbenen Revolution war klar, wer die Wahl fälschte. Der damalige Präsident Leonid Kutschma hatte die Kontrolle über fast alle Bereiche des Staates. Er und die ostukrainischen Industrie- Oligarchen wollten mit aller Macht jenen Viktor Janukowytsch zum Präsidenten machen, der heute Premier ist und sich so sehr vor Manipulationen fürchtet.

    Inzwischen ist die Lage aber viel unübersichtlicher geworden. Denn der neue Präsident, der Held der orangefarbenen Revolution, Viktor Juschtschenko hat, Aufgrund einer Verfassungsänderung, längst nicht mehr die Macht wie sein Vorgänger. Deshalb musste er ja seinen Rivalen Viktor Janukowytsch als Premier akzeptieren, nachdem dessen Partei der Regionen letztes Jahr die Parlamentswahl gewonnen hatte. Seitdem streiten die beiden mit Haken und Ösen, wer im Staat das Sagen hat. Der Politologe Wolodymyr Fesenko:

    "Es klingt paradox, aber deshalb fürchten sich heute alle vor Wahlfälschungen. Natürlich kann die Partei der Regionen am besten im Osten des Landes schummeln, weil sie dort sowieso die Mehrheit hat, den Verwaltungsapparat beherrscht und leicht noch ein paar Stimmen dazu schlagen kann. Im Westen des Landes sieht es anders aus – dort ist die Opposition, das Präsidentenlager populär und können das Ergebnis manipulieren."

    Die Methode, die den beiden Lagern zur Verfügung steht, ist denkbar einfach: Sie erhöhen künstlich die Wahlbeteiligung dort, wo die meisten Menschen für sie stimmen.

    Zum Beispiel mit Hilfe der so genannten "Abstimmung zuhause": Dabei suchen Gesandte der örtlichen Wahlkommission Bettlägerige auf, damit auch sie ihre Stimme abgeben können. Aber ob die Gesandten wirklich dort waren und wer den Wahlzettel letztendlich ausgefüllt hat, das lässt sich hinterher nur schwer kontrollieren.

    Vermutlich erwartet die Ukraine nach der Wahl also eine Propagandaschlacht mit gegenseitigen Anschuldigungen. Wolodymyr Fesenko:

    "Das kann so weit gehen, dass eine der Parteien die Wahlen nicht anerkennt. Die Ukraine würde dadurch in eine noch tiefere politische Krise gestürzt. Ich habe aber den Eindruck, dass alle, zumindest dem Ausland gegenüber, die Ukraine als stabilen, demokratischen Staat präsentieren wollen. Und dazu gehört dann natürlich, dass sie das Wahlergebnis akzeptieren."

    Swetlana Michailowna, die Managerin, vertraut keiner politischen Partei in der Ukraine mehr. Trotzdem will sie zur Wahl gehen. Mit ihrer Freundin hat sie abgesprochen, dass beide ihr Kreuz bei dem Feld "gegen alle" machen werden. So kann wenigstens niemand mit ihrer Stimme manipulieren.

    "Unsere Politiker sind doch alle von einem Schlag, stammen aus einem System. Ihre Mentalität ist geformt, daran ändert sich nichts mehr. Es braucht mindestens noch eine Generation, bis vielleicht Politiker heranwachsen, die an das Land und nicht nur an sich denken."