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Die Antworten von Margot Honecker gingen einem schon mal nach

Regisseur Eric Friedler hat die ehemalige First Lady der DDR, Margot Honecker, für eine Fernsehdokumentation in Chile interviewt. Friedler stellte der 84-Jährigen kritische Fragen zur DDR-Politik und ihrem Mann. Er zeigt, wie die DDR-Übergangsregierung mit den ehemaligen Machthabern umging.

Eric Friedler im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 02.04.2012
    Doris Schäfer-Noske: Dieser Dokumentarfilm hat schon Aufmerksamkeit erregt, obwohl er erst heute Abend im Fernsehen zu sehen ist. "Der Sturz - Honeckers Ende" heißt er, doch der Grund für das große Interesse ist, dass in dem Film die ehemals mächtigste Frau der DDR auftritt. Margot Honecker ist heute 84 Jahre alt und sie lebt seit 1992 im politischen Asyl in Santiago de Chile. Nach Jahrzehnten des Schweigens hat sie ihre Ansichten gerade in einem Buch veröffentlicht und sie hat für den Dokumentarfilm ein Interview gegeben. Frage an den Regisseur Eric Friedler: Herr Friedler, wenn man die Vorabberichte liest, dann hat man den Eindruck, es gehe in dem Film vor allem um Margot Honecker. Welchen Raum nimmt denn das Interview im gesamten Film ein?

    Eric Friedler: Es ist ein 90 Minuten langer Film. Margot Honecker kommt selbstverständlich darin vor, weil sie natürlich ja auch dann als so wichtige Zeitzeugin beschreiben kann, wie sie sich und wie auch Erich Honecker sich fühlte, was sie dachten, wie sie mit dem Sturz umgegangen sind. Aber hier in diesem Film sind Protagonisten drin, von Helmut Schmidt über Eduard Schewardnadse bis Michail Gorbatschow, Kriminalbeamte und ehemalige Ministerpräsidenten der DDR wie Modrow oder Krenz. Sie alle beschreiben eine Zeit des kleinen Machtvakuums zwischen Krenz, Modrow und de Maizière in diesen drei Monaten, wie dieses Deutschland mit ihrem letzten Diktator umgegangen ist.

    Schäfer-Noske: Ich habe ein Buch schon erwähnt, das Margot Honecker im März jetzt veröffentlicht hat, und dort wurden ihr keine kritischen Fragen gestellt. Das haben Sie aber sehr wohl getan. Welche Fragen haben Sie ihr gestellt und welche Antworten erhalten?

    Friedler: Also die Antworten gingen einem schon manchmal nach, wenn man Antworten erhält, wie "das ist schon bitter, wenn ein junger Mensch über die Mauer klettert, aber das hätte ja nicht sein müssen, das war ja dumm", oder zu sagen, dass die Staatssicherheit doch sehr notwendig war, weil es in der DDR doch auch Feinde des Sozialismus gab, oder es normal war, dass man eben auch politische Gegner hat einsperren müssen. Das sind natürlich auch Dinge, die einem dann nachgehen, aber in dem Moment hört man diesen Antworten zunächst einmal zu. Das "Aha!" kommt erst, glaube ich, ein paar Stunden später.

    Schäfer-Noske: Wie wird denn mit diesen Antworten umgegangen in dem Film?

    Friedler: Wir ordnen die Antworten ein, sie werden auch von Zeitzeugen und eben auch von Wegbegleitern eingeordnet und natürlich auch historisch eingeordnet. Das ist ja nun auch jetzt 20 Jahre her. Es gibt nun auch viele jüngere Menschen, die jetzt nicht unbedingt wissen, wer jetzt Margot Honecker war. Insofern werden auch ihre Antworten in Kontext gebracht, damit man auch die Dimension dieser Antworten dann auch versteht.

    Schäfer-Noske: Was hat Sie denn an diesem ganzen Thema interessiert, an diesem Machtvakuum, das da entstanden ist, und an dem Ende von Erich Honecker?

    Friedler: Wir sehen ja, in der arabischen Welt werden Diktatoren gestürzt, in anderen Ländern verschwinden sie auch, man ist auf dem Weg oder dem Versuch zur Demokratie, und die Frage stand im Raum, wie ging eigentlich damals Deutschland mit ihrem gestürzten Diktator um. Er, gestürzt von den eigenen Genossen, stürzte so tief, wie man überhaupt nur stürzen kann, bis hin in die Obdachlosigkeit. Dass am Ende nur ein mutiger Pastor aus dem brandenburgischen Lobetal, Pastor Holmer, ihn letztendlich als einziger aufgenommen hat, die Honeckers in die beiden Kinderzimmer gesteckt hat, also für zehn Wochen die wohl ungewöhnlichste Wohngemeinschaft Deutschlands entstand, und dass am Ende, wie man auch in Lindow sehen konnte - ein anderer Ort, wo er dann letztendlich untergebracht werden sollte -, die Menschen ihnen das nicht mit gleicher Münze heimgezahlt haben, sie in Ruhe gelassen haben und abziehen ließen, das ist schon beachtlich und das zeigt eben auch, dass die DDR-Bürger anders agiert haben wie beispielsweise viele Menschen in Rumänien oder in anderen Ländern, wo eben auch mit Diktaturen anders umgegangen worden ist.

    Schäfer-Noske: Was hat denn den Pastor damals dazu gebracht, Erich Honecker und seine Frau aufzunehmen?

    Friedler: Ihr Glaube. Überzeugte Christen, die gesagt haben, wir können einen Menschen, der obdachlos ist, nicht auf der Straße sitzen lassen, und Erich Honecker war am 30. Januar 1990 der berühmteste Obdachlose der DDR - ein Land, was ja offiziell überhaupt keine Obdachlosen hat. Die damalige DDR-Regierung, die ja noch bestand, hat den Honeckers keine Wohnung gegeben und auch keinen Polizeischutz. Der Pastor Holmer hat sie aufgenommen, obwohl er selbst ein Opfer war, verfolgt vom Regime, Repressalien ausgesetzt war, seine Kinder durften nicht auf die weiterführende Schule, nicht auf die Oberschule gehen. Ich glaube, die große Motivation von Pastor Holmer war zu sagen, wenn wir einen Neuanfang wollen, wenn wir eine friedliche Revolution wollen, wenn wir eine Umstrukturierung unseres Landes wollen, wenn wir auch einen Übergang in die Wiedervereinigung haben wollen, dann darf das nicht blutig passieren. Und meine Überzeugung ist, dass dieser Pastor Holmer einen großen, großen Beitrag dazu geleistet hat, dass auch diese Revolution friedlich geblieben ist, denn wäre dem Honecker was passiert - und nach polizeilichen Angaben hätte ihm was passieren können -, wer weiß, wie dann diese friedliche Revolution ausgegangen wäre.

    Schäfer-Noske: Das war Eric Friedler, der Regisseur der Fernsehdokumentation "Der Sturz - Honeckers Ende". Der Film ist heute Abend um 21 Uhr im Ersten zu sehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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