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Die Athener Kulturoase Embros vor dem Aus

Das Theaterhaus Embros in Athen ist so etwas wie eine Oase mitten im Krisengebiet: Die Künstlerinitiative Kinisi Mavili hat das leer stehende Theater im vergangenen Winter besetzt und dort einen Ort der Begegnung und des Austauschs zwischen den Kunstsparten geschaffen. Aber Griechenland privatisiert im Moment, was das Zeug hält, auch auf Druck der europäischen Geldgeber. Und das Embros ist eine der Immobilien, die verkauft werden. Morgen droht die Zwangsräumung, aber noch kämpft das Künstler-Kollektiv für seine Oase, bisher haben mehr als 1700 Künstler und Intellektuelle eine Petition zugunsten des Embros unterschrieben.

Von Alkyone Karamanolis | 24.10.2012
    Vassilis Noulas sitzt an einem mehrere Meter langen Refektoriumstisch - um diesen Tisch herum haben im vergangenen Jahr unzählige Diskussionen und Workshops stattgefunden. Heute ist das Theater leer, die zwei Vorstellungen, die diese Tage noch stattfinden werden, könnten die letzten sein, befürchtet der Regisseur. In zwei Briefen der griechischen Privatisierungs-Behörde werden die Künstler aufgefordert, das besetzte Theater freizugeben, andernfalls drohe am Donnerstag die Zwangsräumung. Vassilis Noulas vom Künstlerkollektiv Kinisi Mavili ist nachdenklich. Dies seien schwierige Tage. Die Re-Aktivierung des Embros-Theaters, wie sie es nannten, war ein Experiment, das ihnen am Herzen lag:

    "In Athen fehlt ein Ort für die Avantgarde, ein Ort, für interdisziplinäre Kunstprojekte aber auch ein Ort, an dem Kunsttheorie und Praxis zusammenfinden können. Das war das eine, was wir hier versucht haben. Ganz wichtig war aber auch, dass wir aus diesem Projekt neue Hoffnung bezogen haben. Zuvor haben wir alle isoliert voneinander gearbeitet. Hier ist ein kreatives und soziales Netzwerk entstanden."

    Die Re-Aktivierung des Theaters war zunächst als temporäre Aktion geplant. Doch die Vorstellungen, Performances und Diskussionen fanden einen so großen Widerhall bei Publikum und Presse, dass die Künstler weiter machten. Dass die Veranstaltungen umsonst waren, war dabei sicher der geringste Anreiz. Im wiederbelebten Embros-Theater, das zuvor Jahre lang brachgelegen hatte, fand - im positiven Sinn - eine intellektuelle Elite zusammen. Im Winter saßen die Zuschauer in Mänteln im viel zu kalten Zuschauerraum, aber sie kamen jedes Mal, wenn die Kinisi Mavili einlud. Das Embros-Theater war nämlich vor allem eins: ein Laboratorium für neue Ideen, eine Zone für freies Denken, ein Ort, an dem im weitesten Sinne Perspektiven, künstlerische, gesellschaftliche, gesucht und diskutiert wurden. Sagt ein weiteres Mitglied des Kollektivs, Gigi Argyropoulou:


    "Es war auch der Versuch, diesem Gefühl des Verfalls und des Untergangs etwas entgegenzusetzen. Zu sagen: doch, wir können etwas tun. Wir haben viele Theater, aber wir haben keine Orte, wo ein Dialog und Experimente stattfinden können, wo das Geld keine Rolle spielt und der Kreativität keine Grenzen gesetzt sind."

    Die Kultur in Griechenland leidet besonders unter der Finanzkrise. 573 Millionen Euro, so viel - oder so wenig - hat das griechische Kulturministerium heuer in der Kasse. Das sind 74 Millionen weniger als 2011, als auch schon gespart wurde. Oder anders gesagt: Es sind weniger als 0,3 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts. Selbst etablierte Kultureinrichtungen spüren das. Sie müssen ihr Programm anpassen und sind oft ausschließlich auf private Sponsoren angewiesen, die vielfach selber in Geldnöten sind. Für die Theater ist es besonders schwierig. Seit 2009 sind keine staatlichen Subventionen mehr ausbezahlt worden. Der Regisseur Vassilis Noulas hatte die Zusage, für eine seiner Produktionen 30.000 Euro aus dem staatlichen Subventionstopf zu erhalten, doch bislang hat er keinen Cent gesehen; die Vorstellung hat er nun im Embros-Theater auf die Bühne gebracht:

    "Das Problem für uns als Künstler ist, dass uns dieser Geldmangel zu Amateuren degradiert. Ich habe oft Schwierigkeiten, professionelle Schauspieler zu engagieren, weil ich ihnen kein Geld bieten kann. Die meisten kellnern ja inzwischen zum Überleben. Sie machen trotzdem mit - aber wie sollen sie nach einem Tag hinterm Tresen die Energie und die Begeisterung eines Profis aufbringen?"

    Trotzdem sind in den vergangenen zwölf Monaten wichtige Dinge im Embros-Theater passiert. Manch einer, wie etwa Vassilis Noulas selbst, hat durch die Diskussionen hier die Kraft des Politischen wieder entdeckt. Natürlich sei das Projekt nicht an den Ort gebunden. Natürlich könnten sie es woandershin verlegen, wenn sie die Energie dazu finden, sich wieder aufzurappeln, sinniert der Regisseur. Doch immer öfter überlege er, nach Paris zurückzukehren, wo er studiert hat:

    "Die ersten Jahre der Krise hatte ich weniger Zweifel. Plötzlich herrschte in der gesamten Gesellschaft die Unsicherheit, die für gerade für uns Performance- und Avantgardekünstler in Griechenland immer schon Realität war. Damals hatte ich eher das Gefühl, dass meine Lebenswirklichkeit und die der übrigen Gesellschaft endlich zusammenpassen. Aber je mehr sich die Krise vertieft, schiele auch ich ins Ausland. Es ist einfach aussichtslos. Auch viele meiner Kollegen wollen mittlerweile weg. Wenn wir zum Beispiel aus dem Embros rausfliegen, werden wir wieder auf Veranstaltungsorte angewiesen sein, die Miete kosten. Aber es gibt kein Geld, es gibt nichts. Nichts."

    Griechenland verliert schon seit Jahren seine Wissenschaftler ans Ausland. Wenn nun auch die kreative Elite geht, die Menschen mit Visionen, dürfte es dunkel werden im Land. Es ist sinnbildlich, dass vom Athener Embros-Theater - Embros heißt übrigens "Vorwärts" - in wenigen Tagen nur die erloschene Leuchtschrift an der Fassade übrig sein dürfte.