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Die Auferstehung nach dem Kriege

Neben der Feier zu den 100. Bayreuther Festspielen wird auf dem Grünen Hügel auch an ein anderes Jubiläum erinnert. 1951 begannen die ersten Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg. Bundespräsident Heuss glänzte durch Abwesenheit.

Von Jürgen Liebing | 29.07.2011
    Mit Beethovens 9. Symphonie wurden die ersten Bayreuther Festspiele nach dem Krieg am 29. Juli 1951 eröffnet.

    "Wilhelm Furtwängler wandelt den Augenblick der Festspieleröffnung in Bayreuth mit Beethovens Neunter in eine Beethoven-Deutung von entscheidender Gültigkeit.

    Schrieb ein Kritiker. Beethovens 9. ist das einzige Werk, das neben Wagners Opern regelmäßig in diesem besonderen Theater aufgeführt wird. Zum ersten Mal war das 1933 der Fall, unter der Leitung von Richard Strauss. Aber nicht an dieses fatale Jahr wollten die neuen Herren auf dem Grünen Hügel, die Wagner-Enkel Wieland und Wolfgang anknüpfen, sondern daran, dass Richard Wagner bei der Grundsteinlegung für das Festspielhaus im Mai 1872 diese Symphonie im markgräflichen Opernhaus der Stadt aufgeführt hatte, weil er sich selbst als Vollender und Überwinder Beethovens sah.
    Die Pläne ihres in der Schweiz lebenden "unbelasteten" Vetters Franz Wilhelm Beidler, der die Festspiele in eine Stiftung überführen wollte, unter anderem unter Beteiligung der UNESCO und mit Thomas Mann als Schirmherren, hintertrieben die beiden Brüder. Zudem war ihre Mutter Winifred 1947 in einem Spruchkammerverfahren als Nazi-Mitläuferin eingestuft und gezwungen worden, sich zurückzuziehen. So konnten sich Wieland und Wolfgang 1949 daran machen, die Festspiele zu neuem Leben wiederzuerwecken.

    1951 war es dann soweit, 75 Jahre nach den ersten 1876, und sieben Jahre nach der letzten Aufführung am 9. August 1944, die überhaupt der letzte Opernabend im Dritten Reich war.

    "Es ist rückblickend fast ein Wunder, dass man nach dieser Katastrophe des Zweiten Weltkrieges, diesem Gesichtsverlust, diesem Trauma schon 1951 tatsächlich weitermachen konnte."
    Sven Friedrich, Leiter des Richard-Wagner-Museums in Bayreuth.
    "Das war eine kluge Einsicht vor allen Dingen auch der amerikanischen Besatzung, dass man im Zusammenhang mit dem Marshallplan gesehen hat, dass es hohen Sinn macht in Deutschland nach diesem Zweiten Weltkrieg so schnell wie möglich wieder eine funktionierende kulturelle und politische Infrastruktur zu etablieren, und dazu gehörten eben auch die Bayreuther Festspiele. Das hat man verstanden."

    Auf dem Programm der ersten Festspiele nach dem Krieg standen das Bühnenweihfestspiel Parsifal, das einzige Werk, das Wagner speziell für dieses Haus komponiert hat, "Der Ring des Nibelungen" sowie die "Meistersinger".
    Über den "Parsifal" am 30. Juli schrieb Ernest Newman in der "Sunday Times":

    Das war nicht nur der beste 'Parsifal‘, den ich je gesehen habe, sondern auch eines der drei oder vier bewegendsten geistigen Erlebnisse meines Lebens.

    Und Bernard Gavoty vom "Figaro" urteilte:

    Bayreuth ist wieder auferstanden: Die Aura des Geheimnisvollen, die Bayreuth umgibt, ist keine Illusion. Wagner lebt noch; seine Botschaft ist nicht tot.

    "Die Stunde Null ist natürlich ein Mythos, den man brauchte, um überhaupt irgendwie wieder anzufangen. Es ist natürlich gar kein Geheimnis, dass das Publikum in den 50er-Jahren im Festspielhaus genau das gleiche war wie in den 40er-Jahren, sicherlich zum Teil auch mit den gleichen Ansichten, man hat halt das Parteiabzeichen nicht mehr getragen. Und da gibt es schon Kontinuitäten auch in der Person Wieland Wagners, der als Kronprinz und erklärter Liebling Hitlers durchaus auch von seiner herausgehobenen Stellung in den 40er Jahren profitiert hat, dann sicherlich innerlich einen Damaskusweg vollzogen hat, aber gleichwohl auch als belastet zu gelten hat."

    Im Interesse einer reibungslosen Durchführung der Festspiele bitten wir von Gesprächen und Debatten politischer Art auf dem Festspielhügel freundlichst absehen zu wollen. HIER GILT'S DER KUNST!

    Das stand auf Plakaten rings um das Festspielhaus. Zur Eröffnung waren die Hohen Kommissare der drei westlichen Besatzungsmächte gekommen. Durch Abwesenheit glänzte Bundespräsident Theodor Heuss. Er hatte sich in den Urlaub verabschiedet.