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"Die Aufgaben sind gigantisch"

Rainer Stinner betont, dass die Koalition in der Krise um den Verteidigungsminister "gut zusammengehalten" habe. Der FDP-Politiker forderte die Union nun dazu auf, für das "mit Abstand schwierigste Ministerium" einen geeigneten Nachfolger zu finden.

Rainer Stinner im Gespräch mit Dirk Müller | 01.03.2011
    Dirk Müller: Der Rücktritt des Verteidigungsministers wird uns weiterhin beschäftigen. Am Telefon ist nun Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Tag.

    Rainer Stinner: Hallo! Grüß Gott!

    Müller: Herr Stinner, die Union oder die Unions-Politiker Markus Ferber, Wolfgang Bosbach, die wir eben im Deutschlandfunk gehört haben, sagen nach wie vor, dieser Schritt heute war nicht notwendig. War er aus Ihrer Sicht notwendig?

    Stinner: Nun, also zunächst mal: Er ist erfolgt und der Bundesminister zu Guttenberg – und ich habe seine Erklärung jetzt zweimal mir angehört – hat deutlich den Eindruck erweckt und gegeben, dass das aus eigenem Antrieb erfolgt ist. Der Rücktritt ist erfolgt, der verdient unseren Respekt, und das ist das, was man dazu sagen kann. Ich glaube, wir sollten uns jetzt auf die wichtigen Aufgaben konzentrieren, die vor seinem Nachfolger liegen.

    Müller: Haben Sie zu ihm gehalten in den vergangenen Wochen?

    Stinner: Es geht nicht darum, zu ihm zu halten, sondern es geht darum, dass er das komplexeste Amt der Bundesrepublik Deutschland führt. Das ist vielen nicht bewusst. Das Verteidigungsministerium ist mit Abstand das schwierigste Ministerium, das es gibt in Berlin, und das ist hoch komplex und das braucht den ganzen Mann, oder auch die ganze Frau, wenn es eine Nachfolgerin wird – das wissen wir ja noch nicht -, und darauf kommt es entsprechend an. Diese Kraft hat er offensichtlich nicht mehr gehabt, und deshalb ist er zurückgetreten, und das verdient Respekt.

    Müller: Jetzt möchte ich von Ihnen noch mal wissen: Waren Sie für zu Guttenberg?

    Stinner: Ich will das so nicht beantworten. Es gibt zunächst mal ja sehr deutlich – und das halte ich auch für richtig – den Koalitions-Common, dass jede Partei für ihre eigenen Minister verantwortlich ist und es nicht gut ist – und daran halte ich mich auch -, dass Politiker von Koalitionsparteien über Politiker ihrer Kollegen richten, sie bewerten. Das tun wir intern und nicht öffentlich.

    Müller: Tun Sie das auch als Politiker, oder als Mensch? War das richtig, wie er vorgegangen ist, wie er sich verhalten hat?

    Stinner: Er hat ja nun selber zugegeben und sehr deutlich gemacht, dass er gravierende Fehler begangen hat, und die Meinungen über diese Fehler sind ja ziemlich eindeutig. Die Meinungen über die zu ziehenden Konsequenzen waren sicherlich unterschiedlich, wie man heute auch noch der Umfrage in der Bevölkerung entnehmen kann. Aber ich plädiere wirklich nachhaltig dafür, nachdem wir jetzt so riesige Aufgaben vor dem Verteidigungsministerium haben, dass wir uns jetzt nach diesem Rücktritt, den ich voll respektiere, dass wir nach diesem Rücktritt wirklich jetzt zu den wichtigen Aufgaben übergehen.

    Müller: Aber es ist ja heute erfolgt, Rainer Stinner, Sie haben da sicherlich Verständnis, dass wir das noch ein bisschen vertiefen müssen: der Rücktritt des Verteidigungsministers. Wäre er als Minister noch handlungsfähig gewesen?

    Stinner: Nein, offensichtlich nicht. Das hat er ja auch gesehen, denn es hat ja durchaus eine Zweispaltung gegeben. Es hat ja heute Morgen noch Umfragen gegeben, die ich gesehen habe, dass über 70 Prozent der Bevölkerung einen Rücktritt nicht für richtig halten. Andererseits haben sich aber nicht nur in der wissenschaftlichen Community, sondern auch in der Politik durchaus so viele Fragezeichen ergeben, dass, ich glaube, er gemerkt hat, der Druck ist für ihn nicht mehr haltbar, und deshalb ist er zurückgetreten.

    Müller: Also ist es besser für die Bundesregierung, dass er gegangen ist?

    Stinner: Ich glaube, dass es eine Befreiung für die Bundesregierung ist, denn ich glaube, dass unter diesem enormen Berg, der jetzt vor ihm lag und vor der Bundesregierung lag, die objektive und die nachhaltige und die schlagkräftige Bearbeitung der dringenden Probleme darunter gelitten hätte.

    Müller: Sie blicken, Rainer Stinner, wie so oft im Deutschlandfunk nach vorne. Wer wird Nachfolger?

    Stinner: Da habe ich keine Ahnung, auch hier. Ich habe wirklich keine Ahnung. Es werden jetzt Namen kolportiert, die ich aber gar nicht nennen will. Die würde ich ja damit beschädigen, wenn ich das tun würde. Wir haben hier ja in der Bundesregierung die Situation, dass wir Parteienzuordnungen zu Ministerien gegenwärtig haben. Ich plädiere an alle, die entscheiden, in erster Linie an die Bundeskanzlerin, jetzt in allererster Linie darauf zu achten, dass wir jemand berufen, ob Frau oder Mann, von dem wir oder von der wir fest überzeugt sind, dass der/die diese unglaublichen wahnsinnigen Aufgaben in der Zukunft bewältigen kann. Das ist das Allerwichtigste und ich plädiere an alle, dass dahinter alle anderen Überlegungen, ob das regionale Herkunft ist oder wie auch immer, zurückstehen müssen. Ich weiß, das ist vielleicht ein frommer Wunsch, aber ich plädiere trotzdem dafür. Die Aufgaben sind gigantisch. Ich bin, Herr Müller, der Meinung, dass in der Öffentlichkeit die Mächtigkeit dieser Aufgabe bisher zu wenig bekannt ist, und deshalb beharre ich darauf, dass wir uns möglichst diesen schweren Aufgaben zuwenden.

    Müller: Dann muss das ja ein sehr guter Mann oder eine sehr gute Frau sein. Aber die Union hat da Vorgriffsrecht?

    Stinner: Die Union hat Vorgriffsrecht, auf jeden Fall.

    Müller: Werden Sie darauf achten, dass der neue Mann, die neue Frau möglichst keine Promotion hat?

    Stinner: Nein! Das ist völlig gleichgültig und hat damit nichts zu tun. Ich glaube, die Frage haben Sie auch nicht ernst gemeint.

    Müller: Nicht ganz. Die nächste schon: Wie groß ist der Schaden für die Koalition?

    Stinner: Es ist natürlich eine Spannung drin. Ich glaube aber, die Koalition als Koalition hat in diesem Spannungsverhältnis, was wir natürlich die letzten Wochen hatten, gut zusammengehalten, gut durchgehalten. Es hat keinerlei Ausbrüche gegeben. Und ich glaube, das gibt zu der Hoffnung Anlass, dass wir in dieser Koalition weiter erfolgreich arbeiten können.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Rainer Stinner (FDP), außenpolitischer Sprecher der Partei im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Stinner: Danke schön!