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Die Aussöhnung zieht Kreise

Schulischer und außerschulischer Austausch, interkulturelle Projekte, Sprachförderung: Das mit dem Elysée-Vertrag initiierte Deutsch-Französische Jugendwerk ist längst in ganz Europa aktiv. Nun feiert es 50-jähriges Bestehen. Ein Blick in die Arbeit der Pariser Niederlassung.

Von Ursula Welter | 05.07.2013
    In Deutschland gibt es ständig Butterbrote und in Frankreich wird schon mittags Wein gereicht - zwei der häufigsten Vorurteile, welche das Deutsch-Französische Jugendwerk aus den Köpfen junger Menschen bekommen will. Millionen junger Menschen haben das jeweilige Nachbarland über diese 1963 im im Elysée-Vertrag initiierte Organisation kennengelernt.

    "Da wird was geschaffen."

    Das Büro von Anne atmet den Charme der 70er-Jahre. Ein Doppelschreibtisch, Telefon, Aktenordner.

    "Und manchmal habe ich das Glück, vor Ort mitzuarbeiten. Und das ist dann immer sehr, sehr motivierend"."

    Anne bringt junge Menschen zusammen. Ihr Schreibtisch steht in Paris, Berlin ist das zweite Standbein des Deutsch-Französischen Jugendwerks. 70 Mitarbeiter insgesamt. Touristen kommen eher nicht hierher, ins 13. Arrondissement der französischen Hauptstadt. Ein altes Arbeiterviertel, Wohnblocks, ein Park. Auch die politischen Schaltstellen liegen nicht gerade um die Ecke. Dabei wird hier Geschichte geschrieben.

    Der Eingang zum Jugendwerk ist kein Blickfang, begrünter Hof, mit Zahlencodes gesicherte Türen auf allen Etagen, im Kern ein altes Treppenhaus, das nach langer Zeit saniert wurde:

    ""Also, ich bin jetzt schon fast 20 Jahre dabei."

    Schulischer und außerschulischer Austausch, interkulturelle Projekte, Sprachförderung - die Liste des Angebots ist lang, Anne betreut die "trinationalen Programme".

    "Ich kümmere mich besonders um die Sonderfonds für Südosteuropa und Mittelosteuropa."

    Kosovo, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina:

    "Da versuchen wir also so, Einiges in Gang zu bringen."

    Die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland zieht Kreise.

    "Das kann Anstoß geben, das kann inspirieren, und das kann Hoffnung geben."

    An den Schreibtischen wird angestoßen und umgesetzt, was politisch gewünscht war: das einander Verstehen. Tägliche Übung für die Mitarbeiter, Franzosen und Deutsche.

    "Das ist wirklich das, was mir am meisten Spaß macht, wenn ich hier morgens zur Arbeit gehe: Franzosen, Deutsche, alle zusammen, wenn das Telefon klingelt, weiß man nie, ob man jetzt Deutsch oder Französisch sprechen muss oder auch englisch, wenn jemand aus Mazedonien anruft, das ist sehr, sehr bereichernd, auch noch nach zwanzig Jahren."

    Gibt es viele Missverständnisse im binationalen Team?

    "Es sind keine Missverständnisse, wir haben nur nicht immer die gleiche Art zu arbeiten. Aber wenn man das weiß, akzeptiert man das, und das läuft eigentlich ganz gut."

    Im Zimmer nebenan kümmert sich Valérie um soziale Medien. Was heißt es für die junge Frau, in einer Institution zu arbeiten, die so deutsch wie französisch ist, deren Mitarbeiter ständig in zwei Welten denken müssen?

    "Als ich hierher kam, war ich recht überrascht: Obwohl ich in der Pariser Niederlassung des Jugendwerks arbeite, ist die Arbeits-Atmosphäre hier doch eher deutsch, jedenfalls anders, als ich es in Frankreich gewohnt bin."

    Was bedeutet das?

    "Eine größere Ungezwungenheit vielleicht, die Kollegen gehen offener miteinander um, hier wird auch viel deutsch gesprochen, ein Arbeitstag heißt jedenfalls, dass wir hier nahezu minütlich die Sprache wechseln müssen, das ist eine Herausforderung."

    Selbst für Valérie. Wo hat sie deutsch gelernt?

    "Hier in Paris, ich war in einem deutschen Gymnasium in Sèvres in der Nähe von Paris."

    Hinter einer anderen Tür die bescheidenen Büros der beiden Generalsekretäre des Jugendwerks, ein Deutscher, eine Französin. Markus Ingenlath ist dienstlich unterwegs, überhaupt müssen die Chefs viel Reisen, Béatrice Angrand hält die Stellung:

    "Der Alltag besteht auch darin, dass man sich erst mal zu zweit abstimmt, die Agenda diskutiert. 'Wo gehst du hin, wo geh ich hin'; man lernt ständig über den anderen und natürlich auch über sich selbst."

    Was die jungen Leute in den Austausch-Programmen erleben, ist Arbeitsalltag im Jugendwerk. Interkulturelle Herausforderungen eben:

    "Man denkt nicht jeden Tag dran, langsam hat man auch Reflexe und instinktiv weiß man, dass man vielleicht mit einem Deutschen ein bisschen direkter sein kann als mit einem Franzosen."

    Im Erdgeschoss kämpft sich ein junges Team durch das Festprogramm für den 50. Geburtstag des Jugendwerks. Nina, Clothilde und Chloé sitzen in einem verglasten Büro.

    "Das ist hier ein bisschen wie der Krisenstab für die 50-Jahr-Feiern."

    Wenn der Jubel vorbei ist, die Festreden gehalten, die Auszeichnungen verliehen, wird es wieder stiller werden hinter den Fassaden im 13. Arrondissement von Paris. Acht Millionen junge Leute hat das Jugendwerk mit seinen 7000 Partnern im Laufe der Jahre zusammengebracht, Viele wurden zum engagierten Pfeiler der deutsch-französischen Freundschaft. Haben die Mitarbeiter an den Schreibtischen der Aussöhnungen auch das Gefühl, Geschichte zu schreiben?

    "Ach, nee, das ist ein bisschen zu pompös, aber ich habe das Gefühl, hier nützlich zu sein."
    Dr. Markus Ingenlath, Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerkes
    Dr. Markus Ingenlath, Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerkes (Florence Chaperon)