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Die Ausstellung „Brainwashed“ in München
Gehirnwäsche durch Massenmedien

Vor dem Internet waren wir Manipulierte der Massenmedien. Heute sind wir es, die über soziale Netzwerke manipulieren. Die Ausstellung "Brainwashed" in München zeigt Videos von internationalen Künstlern, die die Mechanismen eines manipulierten Sehens und Fühlens hinterfragen.

Von Andi Hörmann | 03.02.2020
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In seiner Videomontage "The Oral Thing" inszeniert sich der Videokünstler Bjørn Melhus als Talkshow-Prediger (© VG BILD-KUNST Bonn, 2020 (Courtesy Sammlung Goetz, München))
Zwei Töne auf der Slide-Guitar genügen, und schon ziehen vor unserem inneren Augen die überromantisierten Bilder aus einem 1991 erschienen Musikvideo vorüber:
Jana Baumann: "Man hört diese Musik, hat diese Assoziation an das Szenenbild mit dem Strand und dem Liebespaar in den heranrollenden Wellen."
Meerschaum und Quellwolken, dazwischen das Supermodel Helena Christiansen — oben ohne — im lasziven Liebesreigen mit dem schmachtenden Popstar Chris Isaak. Die Schweizer Multimedia-Künstlerin Pipilotti Rist nutzt diesen gefühlsduseligen Musikclip und bricht die Bilder in ihrer Videoarbeit "I am a victim of this song" künstlerisch auf.
Die Anfänge der Manipulation durch Massenmedien
"Pipilotti Rist greift eigentlich dieses klassische, klischeebehaftete Rollenverhältnis auf und überspielt und überlagert in Collagetechniken ihren eigenen Alltag in diese Wolkeninszenierung des Strandes." Zum Beispiel durch Bilder aus dem ganz banalen Lebensalltag der Künstlerin, hineinmontiert in die vorbeiziehenden Wolken: Kellnern im Café, um die Miete zu bezahlen, im Kontrast zur schwelgerischen Strandliebelei.
In der Ausstellung "Brainwashed" steht diese Arbeit aus dem Jahr 1995 exemplarisch für das Manipulative der Medienwelt um die Jahrtausendwende — die Zeit der Heimvideos, der Reality-TV-Formate, lange vor dem Siegeszug des Internets. "Ende der 1990er Jahre ist glaube ich ein sehr interessantes Moment, weil wir an der Schnittstelle zwischen Fernsehkultur und Anbeginn der Digitalisierung stehen," so Kuratorin Jana Baumann.
Trashiger VHS-Charme
"Brainwashed" reflektiert die Anfänge der Manipulation durch Massenmedien. Gehirnwäsche durch Videos aus den 1990er und frühen 2000er Jahren. 13 Arbeiten, in ebenso vielen Räumen im ehemaligen Luftschutzbunker im Haus der Kunst in München. Mit aus heutiger Sicht schon fast trashigen VHS-Charme durch ihre teils kriselige Auflösung.
"Beispielsweise Werbestrategien, wo es eben auch um die Konsumenten geht und auch Rollenbilder, die immer auch einem Klischee folgen, gewisse Stereotype, Schönheitsvorstellungen, die in den Arbeiten auftauchen. All das sind Vorgaben, die durch die Medien kommen, und auch ein Selbstgefühl, Körpergefühl, Körperbilder sehr stark beeinträchtigen."
Vom deutschen Videokünstler Bjørn Melhus etwa läuft mit "The Oral Thing" eine Arbeit aus dem Jahr 2001: Er klont sich durch Videomontage selbst, inszeniert sich in Prediger-Pose in einer Art Talkshow und macht sie zum Beichtstuhl.
Ekelhaft oder erotisch?
Oder eine Art Musikvideo im Stil der 1990er Jahre: Grunge-Rock zu hypersexualisierten Bildern. "The Head" von Cheryl Donegan "…zeigt eine junge Frau in einem leuchtend lilanem Sport-BH bekleidet, die aus einem Behälter einen Strahl Milch auffängt und wieder in den Behälter hinein zurück spuckt." Eine selbst diskriminierende, aber auch emanzipierte Selbstinszenierung. Die Message: sex sells. Und der Betrachter ist irritiert: ekelhaft oder doch erotisch?
"Es sind sicherlich alles Arbeiten, die ein große Anziehungskraft und Attraktivität mit der Musik und den Bildern haben, die uns aus dem Alltag und den Medien vertraut sind, aber sie aufs Schärfste auch kritisieren."
Die Ausstellung "Brainwashed" zeigt eindrucksvoll: Vor dem Internet waren wir noch die Manipulierten, denen die Massenmedien ihr Weltbild aufdrängten. Heute sind wir es, die über soziale Netzwerke manipulieren — mit jedem Post, jeder Story, jedem Influencer-Gedöns. Sehenswert!
Die Ausstellung "Brainwashed läuft vom 31.01.2020 bis 28.06.2020 im Haus der Kunst in München.